Nicht mehr in ihrer Funktion: Als Rudolf Anschober an seinem letzten Tag als Gesundheitsminister zurückblickte, erwähnte er jene Amtskolleginnen und Kollegen aus den anderen EU-Ländern, die er bei seinem ersten Ratstreffen in Brüssel getroffen hatte und die längst nicht mehr Amtskolleginnen und Kollegen sind. Sie mussten zurücktreten oder sind freiwillig gegangen, politische Opfer der Seuche.

Das weckt Erinnerungen, auch hier. Ich bin Anschober zweimal in Brüssel begegnet, das erste Mal ist schon etwas länger her. Anschober war damals noch Grüner Umweltlandesrat in Oberösterreich und er kam ins EU-Zentrum mit einem wichtigen Anliegen. Im Raum „Anna Politkovskaya“ (PHS 0A50), das ist der Pressesaal im EU-Parlament, präsentierte er mit der deutschen EU-Abgeordneten Rebecca Harms, auch eine Grüne, die erste internationale Studie über die Risiken von Laufzeitverlängerungen alter Kernkraftwerke.

Das war noch vor dem „Green Deal“, nahm aber bereits eine wesentliche Problematik vorweg. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist eher schwierig als leicht geworden – die Klimaziele wären damit halt leichter zu erreichen. Und wenn man schon keine neuen baut, lässt man halt die alten viel länger am Netz. In manchen Kraftwerken soll es noch Armaturen geben wie in Fritz Langs „Metropolis“.

Jedenfalls war Anschober in seinem Element, ein Verfechter der Sache. Er selbst war als Initiator der „Allianz der Regionen für einen europaweiten Atomausstieg“ nach Brüssel gekommen, es war ein überaus interessanter Termin.

Etwa ein Jahr später, Anschober war gerade Gesundheitsminister geworden, ergab es sich wieder, bei besagten Ratstreffen. Die Pandemie war noch am Anfang, aber sie war schon sehr nahe, wie düstere Gewittertürme am Horizont. Die EU-Gesundheitsminister hielten bereits erste Sondertreffen ab. Weltweit zählte man gerade 100.000 Erkrankte, berichtete Anschober im offiziellen Teil damals. Österreich kam an diesem Tag auf 47 Erkrankungen. Der Minister sprach von starkem Anstieg, aber auch der Hoffnung auf abnehmende Zuwachsraten in China, er versuchte vor den Kameras Optimismus zu verbreiten: 80 Prozent der Erkrankungsfälle würden mild verlaufen, es gebe bereits 53.000 Genesene – weltweit.

Als die Scheinwerferlichter aus waren und die Kameraleute samt ihren geschulterten Aufnahmegeräten den Raum verlassen hatten, kam das, was fast immer in solchen Fällen kommt, wenn Zeit ist. Der Minister blieb noch eine Weile und sprach mit uns über das Ratstreffen, er gab ein wenig Einblick in das, was man nicht einfach so im Fernsehen erzählen kann. Den Schwur, den die EU-Länder drei Wochen davor getan hatten – keine Einzelmaßnahmen zu treffen – hatten die ersten bereits gebrochen. Wir sprachen über die Schweiz, die soeben Veranstaltungen mit mehr als 1000 Menschen untersagt hatte, und über die Lombardei, in der das Virus schon seine bösen Folgen zeigte.

In diesem Augenblick, im ruhigen Gespräch am Beginn einer weltweiten Katastrophe, deren Ausmaße sich niemand der Anwesenden auch nur im Geringsten vorzustellen vermochte, wirkte der Minister besorgt. Es sehe nicht gut aus, sagte er irgendwann, das sei sehr ernst, was da auf uns zukommen könne, und wirkte bleich dabei, noch stark verankert in der Erinnerung, auch wenn ein Jahr vergangen ist inzwischen. Leider hat er recht behalten.

Keine Laufzeitverlängerung: das gibt es nicht nur für Minister, sondern auch für Journalisten. Der erste Beleg für Pandemiefolgen am Nebenschauplatz ergab sich letzte Woche, als der EU-Kommission ein Fehler passierte (nicht zum ersten Mal übrigens, aber wir sind da nicht nachtragend). Bei einem der E-Mails, die man als Journalist täglich von der Kommission bekommt, waren die Adressaten nicht ausgeblendet. Man konnte also alle Mailempfänger sehen, an die das Schreiben geschickt worden war. Von A bis Z.

Während einige Kollegen etwas vom „Datenschutz“ murrten (welcher Journalist hat etwas dagegen, dass andere Journalisten eine Mailadresse erkennen können, an die eine offizielle EU-Einrichtung offizielle Massenpost schickt?) stießen andere schnell auf jene kleine Anzeige im Mailprogramm, die angibt, an wie viele Personen das Stück geschickt wurde: knapp 400 waren es und sofort schrieb einer: was, gibt es nicht mehr von uns?

Die Journalistenorganisation API-IPA schaute nach und stellte Bestürzendes fest. Offiziell akkreditiert sind derzeit 1049 Journalisten in Brüssel – vergangenes Jahr waren es noch 1272. Fast ein Fünftel der Kollegen ist derzeit also nicht da; manche haben vielleicht ihre Akkreditierung noch nicht geholt und kommen im Lauf des Jahres doch wieder, aber manche kommen vielleicht nie wieder. Kostendruck und Homeoffice zeigen ihre Folgen. Wenn die riesigen EU-Gebäude leer stehen und nicht einmal die Staats- und Regierungschefs kommen können… es wird Zeit, dass eine weitere Laufzeit nicht mehr verlängert wird: die der Pandemie.