Viele Entscheidungen in der Europäischen, Union – nahezu alle – bedürfen langer Vorlaufzeiten und zäher Verhandlungen. Eine aber, noch dazu eine sehr wichtige, wurde an einem einzigen Tag getroffen: Die Deutsche Ursula von der Leyen, damals noch Verteidigungsministerin, wurde im Juli beim EU-Gipfeltreffen zu ihrer eigenen Überraschung zur Nachfolgerin von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker auserkoren. Kaum zwei Wochen später musste sie bereits ihr Programm vor dem EU-Parlament präsentieren und wurde knapp, aber doch von den Volksvertretern bestätigt.

Seither geht alles Schlag auf Schlag, die künftige Chefin der wichtigsten EU-Behörde mit mehr als 30.000 Beamten erarbeitete die neuen Dossiers des Führungsteams und ließ sich von jedem Mitgliedsland Kandidaten für die Kommissarsposten vorschlagen. Am 1. November schon sollte die Amtsübergabe erfolgen, für diesen Tag war auch der Ausstieg der Briten aus der EU fixiert. Alles musste schnell gehen. Am Ende war es zu schnell und mittlerweile ist nicht einmal sicher, ob die Präsidentin ihre Arbeit heuer noch aufnehmen kann.

Eine der Tücken liegt darin, dass von der Leyen von Beginn an festlegte, in der Kommission gleich viele Frauen wie Männer zu haben. Das fand in ganz Europa viel Beifall, allerdings hielt sich mit Ausnahme Rumäniens zunächst einmal kein Land daran, jeweils einen weiblichen und einen männlichen Kandidaten zu nominieren. Dann kam, was kommen musste: Das EU-Parlament, das die neue Kommission annehmen oder in Bausch und Bogen ablehnen kann, warf drei Kandidaten, darunter zwei Frauen, wegen des Vorwurfs mangelnder Integrität aus dem Rennen: Rovana Plumb (Rumänien), László Trócsányi (Ungarn) und eher überraschend auch die Französin Sylvie Goulard.

Missstimmung mit Frankreich

Die Folge war eine diplomatische Überwerfung von der Leyens mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der ihr die Schuld in die Schuhe schieben wollte, und ein ins Stocken geratender Prozess, weil mittendrin in Rumänien die Regierung stürzte. Von der Leyens Appell an Rumänien, möglichst rasch Ersatzkandidaten zu nennen, ging in dieser Phase nach hinten los: Die abgewählte Regierung nominierte in letzter Sekunde den ehemaligen Europaminister Victor Negrescu, wogegen der designierte neue Regierungschef Ludovic Orban sofort Sturm lief und noch am selben Abend eigene Vorschläge machte. Seit gestern steht nun fest, dass die EU-Abgeordnete Adina Valean das neue Ticket bekommt.

Als wäre das nicht genug, hat die Brexit-Verschiebung zur Folge, dass auch die Briten noch einen Kommissar vorschlagen müssen. Bisher nahm man an, dass der aktuelle Kommissar Julian King weiter im Amt bleiben könnte, nun hat Ursula von der Leyen aber darum gebeten, auch aus London eine Frau vorgeschlagen zu bekommen. Grüne und Sozialdemokraten wiesen mit Nachdruck darauf hin, dass die Parität eine „klare Bedingung“ für die Unterstützung sei. Alle Nachnominierten müssen nun die Hearings im Parlament passieren, die Rede ist von 14. und 18. November. Falls sich die Abstimmung in der November-Sitzung in knapp drei Wochen nicht ausgeht, kann Juncker erst am 1. Jänner in Pension gehen.

Wohnen im Elfenbeinturm

Solche Verzögerungen hat es auch bisher schon gegeben; allerdings muss die neue Präsidentin auch noch den Dossiers ihres Teams ein klares Profil geben, viele Themen erscheinen Beobachtern schwammig oder nicht ausgereift, etwa der „Green Deal“. Kritische Stimmen gibt es auch zu kleinen Details, etwa jenem, dass Ursula von der Leyen keine private Unterkunft in Brüssel haben wird, sondern in ein 25 Quadratmeter großes Zimmer im Kommissionsgebäude ziehen will. Was die einen als arbeitseifrig empfinden, sehen andere als „Rückzug in den Elfenbeinturm“.