Der Vertrag, den EU-Chefverhandler Michel Barnier nun an EU-Rat und EU-Parlament übergeben hat und der in Großbritannien politische Schockwellen auslöst, ist die Grundlage für einen geordneten Ausstieg der Briten aus der EU – wäre er nicht zustande gekommen oder wird er jetzt noch abgelehnt, hätte das den gefürchteten „Hard Brexit“ mit schweren Auswirkungen für Wirtschaft und Bevölkerung zur Folge. Doch nach mehr als 17 Monaten zäher Verhandlungen ist er nun da; und doch nicht mehr als „nur“ der nötige Rahmen für die unfassbar große Zahl an Verknüpfungen, die nun entflochten werden sollen, ohne den Schaden noch größer zu machen, als er ohnehin schon ist. Es steht also auf jeden Fall noch viel Arbeit bevor.

Ganz konkrete Verhandlungen mit den technischen Details, vom späteren Personenverkehr bis zu Medikamentenzulassungen oder Abwicklung von Rechtsverfahren, können erst nach dem Austrittsdatum, dem 29. März 2019, beginnen. Davor ist es juristisch unmöglich, mit dem EU-Mitgliedsland Großbritannien eine Verhandlung zu führen, als wäre es bereits Drittstaat. Daher musste man sich zunächst in dem Plan auf die gemeinsamen Ziele einigen, die dann innerhalb einer gewissen Frist umzusetzen sind. Hier die wichtigsten:

1 Eine Übergangsfrist läuft bis Ende 2020 und kann, falls wichtige Punkte noch offen sind, einvernehmlich verlängert werden. In dieser Zeit werden alle formalen Arbeiten erledigt, das Vereinigte Königreich kann dafür in dieser Zeit noch im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion bleiben. Die Brexit-Befürworter müssen allerdings nun in der Realität zur Kenntnis nehmen, dass das Königreich in dieser Zeit alle EU-Rechte und -Pflichten anerkennt und auch die Mitgliedsbeiträge zahlt, aber kein Mitspracherecht mehr hat.

2 Die Briten sollen alle finanziellen Verpflichtungen auch nach dem Brexit ohne Zeitlimit erfüllen, die sie bisher eingegangen sind (ein Beispiel wären Gelder für den Regionalfonds oder das Galileo-Satellitenprojekt). Die Gesamtsumme für diese Zahlungen wird auf 45 Milliarden Euro geschätzt.

3 Für die Zukunft wird die Schaffung einer Zone angestrebt, in der ein möglichst reibungsloser Warenhandel ohne Zölle und Gebühren stattfinden kann. Das gilt als Beleg für die Absicht guter politischer Beziehungen auch nach dem Ausstieg der Briten aus der EU.

4 Der vielleicht wichtigste Punkt ist die Irlandfrage. Laut Vertrag besteht Einigkeit, dass eine „harte Grenze“ mit Personen- und Warenkontrollen zwischen Nordirland und der Republik Irland vermieden werden soll. Die Frage soll bis Sommer 2020 mit neuen Handelsabkommen geklärt werden. Klappt das nicht, kann man sich auf eine Fristverlängerung einigen oder aber es kommt doch zur „Backstop“-Notfalllösung, die aber im Grunde niemand will, weil Nordirland dann einen unklaren Sonderstatus bekäme. Schon jetzt gibt es Proteste aus Schottland, weil dort befürchtet wird, die Nordiren könnten durch ihre stärkere Anbindung an die „alte“ EU Wettbewerbsvorteile lukrieren. Beginn und Ende des Backstops sollen nur beiden Parteien gemeinsam beschließen können, die Briten hatten das zuletzt für sich allein reklamiert.

5 Aufatmen können rund drei Millionen EU-Bürger, die derzeit in Großbritannien leben, und eine Million Briten, die sich in einem EU-27-Land niedergelassen haben. Sie können auch in Zukunft dort leben, arbeiten oder studieren, alle bisherigen Ansprüche aus Versicherungen, Sozialleistungen oder Renten bleiben erhalten.

6 Ein eigenes Schiedsgericht soll in der langen Austrittsphase für die Schlichtung von Streitfällen zuständig sein, auch der Europäische Gerichtshof kann von dem Gremium angerufen werden. Als Sanktionen sind Geldstrafen vorgesehen oder das teilweise Aussetzen von Punkten aus dem Austrittsabkommen.

7 Ein neues Fischereiabkommen soll die Zugänge zu Fischgründen und die Fischereirechte absichern. EU-Fangflotten sind derzeit in britischen Gewässern unterwegs und wollen das auch weiterhin sein, umgekehrt liefert Großbritannien große Mengen Fisch an EU-Länder.

8 Urheberrechte und Markenrechte sollen gewahrt werden, vom Feta-Käse über Champagner, vom Steirischen Kürbiskernöl bis zum Tiroler Speck bleiben bestehende Marken in Großbritannien geschützt, neue hingegen nicht mehr verpflichtend.

9 Eigene Kapitel des Vertrages beschäftigen sich mit den „Sonderfällen“ Zypern und Gibraltar. So sollen die Rechte der Zyprioten, die in den britischen souveränen Militärgebieten Zyperns leben und arbeiten, gewahrt bleiben. Für die Bewohner Gibraltars sieht das Papier eine enge Zusammenarbeit und neue Übereinkünfte zwischen den Ländern Spanien und Großbritannien vor.

10 Ebenfalls ein eigener Punkt ist der Umgang mit Atommüll aus Kraftwerken und medizinischen Geräten, die spaltbares Material enthalten. Die Briten verlassen mit der EU auch die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom).

11 Unzählige weitere Themen müssen einzeln neu verhandelt werden. Der Vertrag enthält unter anderem polizeiliche Zusammenarbeit (Interpol, Europol, Fahndungssysteme), Strafverfolgung bzw. die Anerkennung der Rechtssysteme, Energielieferungen oder den Luftverkehr. Sicher ist, dass die Briten von allen EU-Datensammlungen und -Netzwerken abgekoppelt werden.

Falls sich jemand in die 585 Seiten des Vertragswerks vertiefen möchte: Hier ist der Link dazu.