Die Abschiebung von Migranten ohne Recht auf Asyl soll nach dem Willen der EU-Kommission europaweit vereinfacht werden. Entsprechende Vorschläge für "klare, harmonisierte Regeln" stellt EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker heute in seiner Rede zur Lage der Union in Straßburg vor.

Juncker begann zunächst mit einem Rückblick auf die vergangenen Jahre, sprach von der Bewältigung der Wirtschaftskrise und vom guten Weg, auf dem etwa Griechenland sei.

Dann wird er konkreter, sagt, Europa sei zu klein, um an neue Aufteilungen zu denken; die Differenzen zwischen Ost und West, Süd und Nord müssten beigelegt werden.

Die Kommission, so Juncker, sei besonders in der Migrationsfrage ebenso wie das Parlament oft der Sündenbock. Er sei gegen Binnengrenzen und die Solidarität der Länder untereinander müsste wachsen. Es könne nicht sein, dass jedes einzelne Flüchtlingsschiff im Mittelmeer zum Ad-Hoc-Problem werde. Die Staaten hätten nicht das richtige Verhältnis zueinander gefunden, das müsse sich ändern.

Dafür sollen illegale Migranten schneller wieder in ihre Herkunftsländer gebracht werden, gleichzeitig will Juncker aber die Tore für legale Zuwanderer offen halten: "Wir brauchen qualifizierte Migranten." Den österreichischen EU-Ratsvorsitz fordert er auf, zukunftsfähige Lösungen in der Migrationspolitik auszuarbeiten.

Wie erwartet, bestätigt der Präsident die Aufstockung der Frontex-Mitarbeiter auf 10.000 Mann und den Ausbau der europäischen Asylagentur.

Juncker kommt auf den Klimawandel zu sprechen, fordert weitere Maßnahmen, die alle mittragen sollen. Und sagt einen Satz, der für dieses Thema, aber auch für die Politik gelten kann: "Wenn es in einem Land brennt, brennt es in allen."

Relativ klar sagt er - offensichtlich in Hinblick auf Ungarn - das Artikel-7-Verfahren müsse dort zur Anwendung kommen, wo die Rechtsstaatlichkeit in Gefahr sei. Juncker warnt vor "krankem Nationalismus" und sagt "Ja" zu "aufgeklärtem Patriotismus".

Die Rede wandert rasch von einem Thema zum anderen, einer der Schwerpunkte ist Afrika. Bis 2050 würden dort 2,5 Milliarden Menschen leben, Europa müsse die Verbindungen zum Kontinent stärken. Unter anderem dadurch, dass immer mehr afrikanische Studenten an europäischen Bildungsprogrammen teilnehmen können. Eine Initiative soll bis zu zehn Millionen Arbeitsplätze in naher Zeit schaffen.

Generell fordert Juncker eine Abkehr von polemischen und verletzenden Worten im politischen Dialog; das sei zunehmend zu registrieren und bringe niemanden weiter.

Schließlich erneuert Juncker seine Forderung, in der Außenpolitik und auch in Steuerfragen vom Prinzip der Einstimmigkeit abzukehren und auf Mehrheitsrecht umzuschwenken.

Das Thema Brexit streift er nur an, wiederholt schon bekannte Standpunkte. Er bedauert den Abgang der Briten, man müsse das aber respektieren. Die Briten könnten nicht davon ausgehen, dass sie auch weiterhin alle Vorteile genießen könnten, die sie als Mitglieder haben würden. Aber: "Das Vereinigte Königreich wird für Europa immer ein enger Partner sein, wir werden es nicht wie jedes andere Drittland behandeln."

Reaktionen

Im Anschluss an die Rede sind die Fraktionen am Wort, die Juncker generell Respekt zollen, aber auch mit Kritik nicht sparen. "Haben wir die Krisen wirklich überstanden?" fragt etwa Gabriele Zimmer von den Linken und gibt gleich die Antwort: "Nein." Heftig angegriffen wird Juncker von Ryszard Legutko (ECR), der von einer zerfallenden Union spricht und sagt, alles sei seit dem Amtsantritt Junckers schlechter geworden. Prompt handelt er sich dafür eine wütende Attacke vom wie üblich wortgewaltigen Liberalen Guy Verhofstadt ein, der die aktuellen Probleme hauptsächlich auf die Umtriebe der Nationalisten und Populisten zurückführt.

Staatssekretärin Karoline Edtstadler, die für den Rat spricht, bezeichnet Frontex als eines der Hauptthemen des EU-Gipfels kommende Woche in Salzburg. Sie verweist auch auf den Afrika-Gipfel, der für Dezember ins Auge gefasst wurde.

Der österreichische FPÖ-Abgeordnete Georg Mayer spart nicht mit Kritik. Solidarität könne keine Einbahnstraße sein, die Migrationskrise verändere Europa nachhaltig. Mayer ortet Versäumnisse der Kommission und stellt die Frage, was aus dem im vergangenen Jahr präsentierten "Weißbuch" geworden sei.