Das umstrittene EU-Renaturierungsgesetz wird weiter verhandelt. Zu Beginn einer mehrstündigen, hochnervösen Abstimmung im zuständigen Umweltausschuss des Europäischen Parlaments in Straßburg ist am Donnerstag die glatte Ablehnung des Kommissionsvorschlags abgelehnt worden, mit dem denkbar knappsten Ergebnis: 44 zu 44. Die von der Europäischen Volkspartei (EVP) heftig propagierte Ablehnung hätte eine Mehrheit finden müssen. Über Kompromisse wird am 27. Juni weiter abgestimmt.

Offene Bausteine bleiben unverlegt

Bei der mehrstündigen Abstimmung von Änderungsanträgen und zuvor ausgehandelten Kompromissen waren die Waagschalen häufig auf gleicher Höhe. Befürworter und Gegner des Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law), mit dem u. a. die Biodiversität verbessert werden soll und das neben dem neuen Pestizid-Gesetz (Sustainable Use Regulation – SUR) als einer der wesentlichen noch offenen Bausteine des "Green Deal" der Kommission von Ursula von der Leyen gilt, hatten noch am Vortag mobil gemacht und sparten nicht mit Vorwürfen gegen die jeweils andere Seite.

Nachdem gegen EVP-Chef Manfred Weber Vorwürfe laut geworden waren, mögliche Abstimmungsabweichler seiner Fraktion unter Druck zu setzen, konterte CDU-Europaabgeordnete Christine Schneider am Mittwoch mit Anschuldigungen gegen Kommissionsvizepräsidenten Frans Timmermans, zu unlauteren Methoden bei der Beeinflussung von Abgeordneten gegriffen zu haben. So habe die Kommission Lobbying-Plattformen zugunsten der von ihr vorgelegten Vorschläge gegründet und finanziert. "Da ist eine rote Linie überschritten worden", sagte Schneider in einem Online-Gespräch mit Journalisten.

Wissenschaftler wollen vermitteln

Am Abend hatten Wissenschaftler unterschiedlichster Fachrichtungen auf einen von über 3000 Kolleginnen und Kollegen unterschriebenen offenen Brief hingewiesen, in dem versucht wurde, die häufigsten Einwände gegen das Renaturierungsgesetz wie die Gefährdung von Ernährungssicherheit oder Arbeitsplätzen zu widerlegen. "Diese Einwände sind alle nicht richtig. Sie sind gegen jede wissenschaftliche Evidenz", hieß es unisono. Die größten Gefahren für Ernährung und Landwirtschaft gingen vom Klimawandel selbst aus, dessen Auswirkungen man sofort und mit einem breiten Mix an Maßnahmen abschwächen müsse. Umweltkatastrophen sind für Sebastian Lakner von der Uni Rostock auch deutlich stärkere Faktoren für Steigerung der Nahrungsmittelpreise als eine mögliche Rücknahme von Anbauflächen zugunsten einer Verbesserung der Ökosysteme.

Nach fast vier Stunden und der Verschiebung einer Plenarsitzung hatte man im Umweltausschuss noch immer nicht zu einer abschließenden gemeinsamen Meinung gefunden. Die Weiterführung der Abstimmung wurde auf die nächste Ausschusssitzung am 27. Juni vertagt. Im Juli wird der Gesetzesvorschlag im Plenum des EU-Parlaments behandelt. Schon vorher soll der Umweltrat in Luxemburg am 20. Juni eine allgemeine Ausrichtung dazu beschließen. Auch unter den EU-Mitgliedsstaaten wird der Kommissionsvorschlag heftig diskutiert. Am Donnerstag wurden jedoch Befürchtungen laut, das Thema könne von der schwedischen Ratspräsidentschaft kurzfristig von der Tagesordnung gestrichen werden.