Am Schloss hart an der ungarischen Grenze weht eine blau-weiße Fahne. Das bedeutet: Der Graf ist zu Hause. Muss er auch, denn ein Gericht hat ihm enge geografische Grenzen gesetzt. Die drei Monate Haft, zu denen Graf Mensdorff-Pouilly wegen Untreue verurteilt wurde, darf er im Schlossarrest verbringen – mit Fußfesseln. Das sei nicht lustig, hat „Graf Ali“ moniert, aber es gibt wohl Schlimmeres.

Denn es ist schön hier im südlichen Burgenland, wenn man herbe Abgeschiedenheit und tiefenentspannte Landschaften mag. Vor dem Schloss lassen die grafeigene Pferde die Köpfe hängen, nicht weit von hier haben Weidegänse – noch – ein feines Leben, und dass nur einen Steinwurf entfernt der Eiserne Vorhang verlief, ist schon unter Zeitgeschichte katalogisiert. „Aber er ist sehr nett, der Herr Graf“, sagt Isabella Laky und setzt sich ans Steuer des nigelnagelneuen Polizeibusses, der eigens für die EU-Ratspräsidentschaft Österreichs angeschafft wurde, auf dass auch der Fuhrpark glänzen möge.



Isabella Laky ist eine temperamentvolle, zielstrebige Frau, die genau weiß, was sie will – und was nicht. Gemeinsam mit 21 Kolleginnen und Kollegen versieht sie Dienst auf der Polizeiinspektion Strem in der Nähe von Güssing. Seit 1998 ist sie Polizistin. „Eigentlich durch Zufall. Ich habe die Krankenpflegerschule besucht, wurde dann aber schwanger. Später habe ich eine Ausschreibung gesehen und mich als Polizeischülerin beworben. Das war keine schlechte Entscheidung.“

Laky ist eine „Hiesige“. Aufgewachsen und auch heute noch wohnhaft im nahegelegenen Moschendorf. Ein Leben an der Grenze also, oder, früher, am Eisernen Vorhang, dessen Fall sie als Schülerin miterlebt hat und woran sie heute noch diese Erinnerung verbindet: „1989 kam eine Familie aus Ostdeutschland nahe unseres Ortes über die Grenze. Meine Eltern haben diesen total erschöpften Menschen ein Frühstück gegeben. Jahre später ist diese Familie zu uns nach Hause gekommen und hat sich dafür noch einmal bedankt.“

Grenzerfahrungen

Grenzerfahrungen sollten auch das Berufsleben von Isabella Laky bestimmen. 2015, als sich der große Flüchtlingsstrom über Österreich ergoss, war sie in Nickelsdorf im Einsatz. Zweierlei verbindet sie mit dieser Zeit: „Chaos und Stress“. Laky war 36 Stunden im „Dauerbetrieb“ und wieder an einer Grenze angelangt, jener der Belastbarkeit. „Wir mussten die Menschen durchlassen, sonst hätte es eine Katastrophe gegeben.“ Der Blick zurück ist ein zwiespältiger, und der Spalt geht mitten durch die Person. Die Polizistin Laky sagt: „Nicht alle diese Menschen haben bei uns Platz, das geht nicht!“ Der Privatmensch Laky fühlte: „All diese armen Menschen! Wir leben in einem gelobten Land – und dorthin wollen natürlich viele.“

Aus der Zeit gefallen

Das Südburgenland ist wie aus der Zeit gefallen. In den Ortschaften sieht man fast nur ältere Menschen, die Geschäfte haben über Mittag zugesperrt. Ist man hier unterwegs, glaubt man noch daran, dass die Erde eine flache Scheibe ist. Nur ab und zu stechen Kirchtürme in den taubengrauen Himmel. „Man hat uns vergessen“, lacht Isaballa Laky. „Keine Zugverbindung, keine Autobahn.“

Was der Besucher als anachronistisches Idyll empfinden mag, ist für die Menschen, die hier leben, weniger lustig. Die Jungen pendeln nach Wien aus, dafür kommen die Ungarn ins Burgenland arbeiten. Die „kleine Grenzverkehr“ verläuft wie eh und je. Die Burgenländer fahren zu ungarischen Friseuren und Zahnärzten, die Ungarn fahren ins Burgenland, um hier Lebensmittel und Bekleidung einzukaufen.

Dornröschenschlaf

Aber das „vergessene“ Südburgenland wird gerade aus dem Dornröschenschlaf geküsst. Eine internationale Ferienhäuser-Agentur vermietet wildromantische Kellerstöckl, auch die Grundstückpreise steigen, und immer mehr Aussteiger aus der Stadt steigen in dieses Leben am Land ein, das – noch – so viel Entschleunigung bietet.

Auch wenn sie zwischendurch gefallen sind, die Grenzen, Isabella Laky entkommt ihnen offenbar nicht. Nach der Flüchtlingswelle 2015 wurde das Schengenabkommen temporär und an bestimmten Schnittstellen außer Kraft gesetzt. Die Grenze zwischen Ungarn und dem Burgenland ist eine davon. „Seither führen wir hier wieder Grenzkontrollen durch“, erzählt die Polizistin. Konkret an den Übergängen in Moschendorf, Eberau und Heiligenbrunn. Dort versehen je zwei Polizeibeamte Dienst, abwechselnd mit Kollegen vom Bundesheer.

„Ordnung und Struktur müssen sein“, sagt Laky in einem Ton, der kein Wenn und Aber gelten lässt. „Sonst würde ein so großes Gebilde wie die EU nicht funktionieren.“ Und Grenzen? „Ja, auch Grenzen müssen sein. Ein Leben ohne Grenzen ist eine schöne Vorstellung, aber Utopie. Vielleicht sind spätere Generationen fähig, ohne Grenzen zu leben, wir sind es, glaube ich, noch nicht.“

Mehr Kontrolle, mehr Sicherheit

Die Realität an der Grenze gibt Isabella Laky Recht. Seit wieder kontrolliert wird, ist die Kriminalität zurückgegangen und das Sicherheitsgefühl der Menschen gestiegen. „Da geht es vor allem um Diebstähle und Einbrüche. Und das Problem ist ja nicht nur, dass jemanden etwas weggenommen wird. Das viel größere Problem für die Menschen ist das Gefühl, dass da jemand ins Haus eingedrungen ist, in die Intimsphäre also, die jeder beschützt wissen will.“

Isabella Laky und ihre Kollegen kontrollieren nicht nur die Grenze, sondern sind im Rayon regelmäßig auf Streife unterwegs – Tag und Nacht. Allein diese Präsenz zeigt Wirkung. Die letzten Flüchtlinge hat Laky vor einem Monat aufgegriffen. „Die haben schon auf uns gewartet. Wir haben sie ins Erstaufnahmezentrum überstellt, dort wird dann das Asylverfahren eingeleitet.“ Mitleid? „Ja, natürlich. Es muss schon viel passieren, dass jemand von zu Hause weggeht.“

Die Heimat, ein Luxus

Am Schloss an der Grenze weht die blau-weiße Fahne. Der Graf ist also noch immer zu Hause. Muss er ja auch. Nach Hause, ins nahe Moschendorf, wird die Polizistin nach Dienstende auch gehen. In ihren Heimatort also. Und was bedeutet das für sie persönlich, Heimat? Revierinspektorin Isabella Laky denkt lange nach. „Luxus“, sagt sie dann. „Heimat ist ein Luxus, den sich viele nicht leisten können.“

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