Als wäre es eine Prophezeiung gewesen, die sich nun selbst erfüllt: „Ein Europa, das schützt“ lautet das Motto der österreichischen Ratspräsidentschaft, die an diesem Wochenende beginnt. Europa soll Schutz bieten und braucht nun selbst Schutz. Innen wie außen kommen Bruchlinien wie nie zuvor zum Vorschein; der Handelskrieg mit den USA und damit einhergehend der Beinahe-Verlust des wichtigsten (strategischen) Partners, die gestörten Beziehungen zu Russland, die Begegnung mit dem immer schneller wachsenden China, die Konflikte im Nahen Osten - und dazu die Regierungs- und damit Orientierungswechsel in Mitgliedsländern, der Siegeszug des rechten Lagers selbst in so großen Ländern wie Italien, der lange und schmerzhafte Abschied Großbritanniens, die innerdeutsche Krise mit einem möglichen Abgang von Angela Merkel, der Schockwellen über ganz Europa senden würde. Das ist die Zeit, in der Österreich den Ratsvorsitz übernimmt.

Österreich als "Brückenbauer"

Die Ratspräsidentschaft ist eine für jeweils sechs Monate geltende Führungsrolle eines EU-Landes, festgelegt im EU-Vertrag. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wird nicht müde, angesichts der Bruchlinien in der EU - zuletzt warnte Europaparlamentspräsident Antonio Tajani vor einem „Auseinanderbrechen“ - Österreichs Rolle als „Brückenbauer“ hervorzuheben.

Gelegenheit dazu gibt es reichlich. Österreich richtet fast alle Ratsformationen aus. Geplant sind 33 Fachministerräte - die offiziellen Tagungen finden in Brüssel oder Luxemburg statt, 13 informelle Treffen gehen in Österreich über die Bühne. Dazu kommen insgesamt etwa 300 kleinere Vorsitzveranstaltungen, die in Österreich stattfinden sollen. Das wird auch als wichtiges Signal für die Bürger gesehen - ein Zeichen, dass ihr eigenes Land (und damit sie selbst) Mitentscheider in der EU ist. Gefordert ist nicht nur das Regierungsteam, sondern auch die Beamtenschaft; an ihr liegt es, in den kommenden sechs Monaten Gespräche des Rates weiterzubringen, in denen es um bis zu 200 EU-Rechtsvorschriften gehen wird. Dem Vorsitzland kommt auch die Aufgabe zu, die Verbindungen zum Europäischen Parlament zu pflegen. Die Minister werden in die Fachausschüsse und ins Plenum eingeladen, und bei wichtigen Weichenstellungen für Gesetzesakte, den „Trilogen“ zwischen Rat, Parlament und EU-Kommission, vertritt der Vorsitz die Mitgliedsstaaten. Beamte sind es, die die Vorbereitungen für alle Dossiers erarbeiten.

In Brüssel tagen auf dieser Ebene ständig Arbeitsgruppen. Bevor die Akte dann auf Ministerebene diskutiert werden, befassen sich die EU-Botschafter im Ausschuss der Ständigen Vertreter (Coreper) damit. Österreichs Ständige Vertretung ist die größte heimische Auslandsvertretung, Botschafter Nikolaus Marschik leitet ein Team von über 200 Mitarbeitern. Allerdings bringt der Ratsvorsitz auch Einschränkungen mit sich. Denn immerhin gibt es neben dem derart Vorsitzenden ja auch weiterhin einen Ratspräsidenten, nämlich Donald Tusk. Seit dem „Vertrag von Lissabon“ (siehe unten) ist der Wirkungsbereich des Vorsitzlandes beschränkt; vielmehr wird, wie es Paul Schmidt, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik, ausdrückt, sogar erwartet, „dass das Vorsitzland in diesen sechs Monaten als neutraler Vermittler auftritt und seine eigenen Positionen zurückstellt“.

Tusk ist es somit auch, der die „großen“ EU-Gipfel ausrichtet, ebenso die gewichtigen Eurogruppen-Treffen. Mit der Installierung einer Hohen Vertreterin für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (Federica Mogherini) sind auch wesentliche Belange aus diesen Themenkreisen nicht in der Kompetenz des Vorsitzlandes. Die Vorsitzkosten werden übrigens offiziell mit 43 Millionen Euro angegeben; die Ministerien nutzen aber auch eigene Budgets, die tatsächliche Summe dürfte deutlich höher liegen.

Kommende Woche werden Kanzler und Regierungsmitglieder ihre Aufwartung bei der Sitzung des Europaparlaments in Straßburg machen - auf die Rede des Kanzlers sind die Parlamentarier sehr gespannt. Am 5. und 6. Juli wird die gesamte EU-Kommission zu Gast in Wien sein. Sicher ist, dass auch das Medieninteresse an und in Österreich sehr groß sein wird. Allein für den informellen Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Salzburg am 20. September rechnet man mit 1500 Akkreditierungen.