29. April, 22.00 Uhr - 15 Jahre Erweiterung

Während in Berlin Merkel und Macron über die Westbalkanerweiterung diskutieren (interessanter Weise ohne Österreich, das sich gerade während des Ratsvorsitzes für das Thema sehr stark gemacht hat) wird ganz allgemein eines Jubiläums der EU gedacht: Am 1. Mai ist die große EU-Erweiterung 15 Jahre her. Damals, 2004, traten am 1. Mai gleich zehn Staaten der EU bei, darunter die "Ostländer" Polen, Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Slowenien sowie auch Malta, Zypern, Litauen, Estland, Lettland.

Die Bilanz ist durchwachsen; zwar haben alle wirtschaftlich aufgeholt, aber noch nicht das Rest-europäische Level erreicht. Alle zehn Beitrittsländer sind immer noch Nettoempfänger, in Ungarn und Polen macht die politische Situation durch rechte Tendenzen vielen Kopfzerbrechen.

Die Bevölkerungsmeinung hat sich in den letzten Jahren sogar leicht gebessert, konnte nun die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) in einer Umfrage belegen. Tenor: "Die Österreicherinnen und Österreicher bilanzieren positiver, als dies noch in den letzten Jahren der Fall war. Neue Erweiterungsrunden sehen die Befragten hingegen nach wie vor skeptisch", sagt Paul Schmidt, ÖGfE-Generalsekretär. Eine Mehrheit von 55 Prozent der Österreicher ist der Ansicht, dass die Erweiterung der EU um unsere Nachbarländer eine "gute Entscheidung" gewesen ist.

Indirekt kann dieser großen Erweiterung auch eine Auslöserrolle für den Brexit zugeschrieben werden; rund eine Million Polen wanderte seither auf Arbeitssuche nach Großbritannien aus, was dort für die EU-Gegner das Fass zum Überlaufen brachte.

25. April, 23.30 Uhr - Wieder ein Gipfel

Fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit wurde heute in Brüssel wieder ein Gipfel abgehalten - die EU und Japan haben sich auf noch engere Zusammenarbeit geeinigt. Beide Seiten haben vereinbart, gemeinsam in der Welthandelsorganisation WTO auf strengere Regeln zu Industriebeihilfen zu drängen. Kooperationen gibt es auch beim Umweltschutz und bei Sicherheit und Verteidigung. Der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe sagte: "Die Beziehungen zwischen Japan und der EU vertiefen sich kontinuierlich." Für Ratspräsident Donald Tusk ist klar: "Japan ist der engste Freund und Partner in Asien und wird es auch bleiben."

Seit Februar gilt ein neues Wirtschaftsabkommen - es ist die größte offene Handelszone der Welt, von der 625 Millionen Menschen profitieren können. Gemeinsam will man übrigens auch die dringend nötig WTO-Reform voranbringen.

Erst vor Kurzem hatte es in Brüssel einen China-Gipfel gegeben, der ebenfalls als extrem wichtig einzustufen ist (siehe "Neue Seidenstraße"), aber ebenso wie der heutige im Schatten der andauernden Diskussionen um Brexit, Rechtsruck und Migration steht. Dabei ist der Ferne Osten einer der Dreh- und Angelpunkte für die nächsten Jahrzehnte.

Schmieden an der Zukunft: Shinzo Abe, Donald Tusk, Jean-Claude Juncker
Schmieden an der Zukunft: Shinzo Abe, Donald Tusk, Jean-Claude Juncker © AP

25. April, 11.30 Uhr - Die Einflussreichsten

"VoteWatch Europe" ist eine überparteiliche NGO, die unter anderem auch für die europäischen Wirtschaftskammern das Abstimmungsverhalten der EU-Abgeordneten unter die Lupe nimmt. In einer Gesamtauswertung der letzten Jahre hat sich die Organisation nun mit der Frage beschäftigt, welche der 751 Abgeordneten den größten Einfluss auf das Geschehen in Europa haben - und kam zu einem überraschenden Ergebnis. ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas schaffte es auf den sechsten Platz. Vor ihm liegen Parlamentspräsident Antonio Tajani (EVP), EVP-Fraktionschef und Spitzenkandidat Manfred WeberRoberto Gualtieri (S+D), Adina-Ioana Valean (EVP) und Udo Bullmann (S+D) Begründet wird das mit der  Anzahl der durchgesetzten Gesetzesänderungen, gewonnenen Abstimmungen, verfassten Parlamentsberichte, dem persönlichen Netzwerk, Vorsitz in Parlamentsgremien, Anwesenheit bei Abstimmungen und anderen Kriterien. Andere österreichische Abgeordnete sind weit und breit nicht zu finden. Auf Platz 79 liegt die FPÖ-Abgeordnete Barbara Kappel, die zur Europawahl nicht wieder aufgestellt wurde. Karas, der auch die Russland-Delegation des EU-Parlament leitet, war unter anderem für die neue europäische Bankenregulierung, für die Beschränkung der Banker-Boni, die neue EU-Finanzmarktaufsicht und die Einführung mehrerer milliardenstarker Investitionsprogramme verantwortlich. Beim letzten Ranking, das 2017 veröffentlicht wurde, lag er noch auf Platz 11 von 751.

Platz sechs unter 751 Abgeordneten: Othmar Karas gilt als besonders einflussreicher EU-Abgeordneter
Platz sechs unter 751 Abgeordneten: Othmar Karas gilt als besonders einflussreicher EU-Abgeordneter © Screenshot VoteWatch

Hier noch ein Hinweis in eigener Sache: Mit Anfang Mai starten wir einen wöchentlichen EU-Newsletter mit aktuellen Berichten zur EU-Wahl aus Brüssel und blicken hinter die Kulissen. Für das kostenlose Angebot kann man sich hier anmelden.

23. April, 12.30 Uhr - Junckers Empfehlung

Über das Osterwochenende hat es Noch-Kommissionschef Jean-Claude Juncker wieder einmal mit einem Nebensatz geschafft, für Aufregung zu sorgen. "Ab Mittwoch nach Ostern wird zurückgeschossen", kündigte er an und meinte damit natürlich nicht, dass er morgen zur Waffe greifen oder einen Krieg auslösen möchte, sondern dass er sich in der letzten Phase seiner Amtszeit und wenige Wochen vor den EU-Wahlen nicht mehr jede falsche Behauptung gefallen lassen will. Es geht um Manipulationsversuche (Fake News) und gezielte Kampagnen und Juncker hat in erster Linie Regierungen einzelner Mitgliedsländer im Sinn - so wie Ungarn.

Rund um diese Wortmeldung ist eine andere fast untergegangen. Nicht zum ersten Mal hat sich Juncker dafür ausgesprochen, dass die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in Zukunft eine Hauptrolle auf der europäischen Bühne einnimmt. Nachdem er selbst auf eine zweite Periode verzichtet, stehen alle Top-Jobs zur Disposition - Parlament, Rat, Kommission und diverse weitere Schlüsselpositionen wie jene der Hohen Repräsentantin Federica Mogherini. Merkel selbst hat bisher derartige Ambitionen bestritten. Dazu kommt, dass sich der Bayer Manfred Weber als EVP-Spitzenkandidat immer noch die größten Chancen auf die Juncker-Nachfolge ausrechnet (Weber stellt heute Abend offiziell sein aktuelles Wahlprogramm in Athen vor) - und wenn Merkel zum Beispiel Donald Tusk als Ratspräsidentin beerben würde, wären gleich zwei Deutsche ganz oben.

Andererseits: Derzeit gibt es einen gewissen Italien-Überhang, kommen doch gleich drei Spitzenkräfte (neben Mogherini sind das Zentralbank-Chef Mario Draghi und Parlamentspräsident Antonio Tajani) aus unserem südlichen Nachbarland, was offensichtlich auch kein Erdbeben ausgelöst hat.

Interessant dazu ist eine Wortmeldung aus Österreich; ÖVP-Kandidatin Karoline Edtstadler, die immer wieder als Nachfolgerin von Johannes Hahn als EU-Kommissarin genannt wird, unterstützt ebenso wie Kanzler Sebastian Kurz offiziell Manfred Weber und spricht von einem dringend notwendigen Generationswechsel auf EU-Ebene - und somit ein Szenario ohne Merkel: „Den Wunsch von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, dass Angela Merkel in Zukunft eine Rolle auf europäischer Ebene übernimmt, teilt ganz offensichtlich nicht einmal Angela Merkel selbst. Am Ende ihrer beeindruckenden politischen Karriere, in der sie nicht nur viele Verdienste um Deutschland, sondern auch um Europa erworben hat, betont sie selbst, dass sie keine anderen politischen Ämter mehr anstrebt. Auch der scheidende Kommissionspräsident Juncker sollte akzeptieren, dass jetzt einzig und alleine die Wählerinnen und Wähler am Wort sind", so Edtstadler.

18. April, 15.45 Uhr - Schluss in Straßburg

Die letzte Plenarsitzung vor den EU-Wahlen geht im Augenblick in Straßburg zu Ende, alle machen sich auf den Heimweg. Für viele ist es die letzte solcher Reisen, zahlreiche Abgeordnete werden dem neuen Parlament nicht mehr angehören. SPÖ-Abgeordneter Eugen Freund zum Beispiel verarbeitete das in einem Gedicht: eine launige englischsprachige Hommage an die Parlamentsmitarbeiter, darunter jene "down in the basement, the garage, providing cars, driving Farage". Freund spielte damit auf den britischen EU-Gegner Nigel Farage an und weckte Erinnerungen an jenes Gedicht, mit dem er die Briten vor der Volksabstimmung im Jahr 2016 zum Verbleib in der Europäischen Union überreden wollte. Lojze Peterle, von 1990 bis 1992 erster Ministerpräsident im unabhängigen Slowenien und nun für die EVP im EU-Parlament, verabschiedete sich musikalisch: "Es ist unsere Aufgabe, Europa zusammenzuhalten. Lasst uns Notre-Dame wieder aufbauen. Und frohe Ostern", rief er ins Straßburger Plenum, ehe er zur Mundharmonika griff und die Europahymne "Ode an die Freude" spielte. Fast alle Abgeordneten erhoben sich und applaudierten (einen detaillierteren Bericht dazu finden Sie hier).

Die Parlamentarier haben noch einmal ordentlich Gas gegeben, zahlreiche Abstimmungen gingen durch. Keine schlechte Bilanz für eine Sitzung - hier ist eine Auswahl:

  • Schärfere Abgas-Bestimmungen für Lastwagen
  • Milliardenschwere Investitionsprogramme (das neue InvestEU-Programm bis 2027 und der noch aktuelle Juncker-Fonds umfassen rund 1200 Milliarden Euro)
  • Neuer Verteidigungsfonds ab 2021 mit 13 Milliarden Euro
  • Frontex-Stärkung,
  • Besserer Verbraucherschutz für Kunden des Online-Handels
  • Mehr Transparenz bei der Zulassung von Pestiziden und Zusatzstoffen sowie bei der Lebensmittelsicherheit
  • Verbot des Elektrofischens
  • Bessere Vernetzung von Sicherheitsdatenbanken
  • Einrichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde
  • Verpflichtung zum Einsatz neuer Sicherheitstechnologien in Neuwagen (Stichwort Notbremsassistent) sowie Abbiegeassistenten für Lkw
  • Bessere Arbeitsbedingungen für Beschäftigte von Lieferservicefirmen
  • Besserer Schutz von Whistelblowern
  • Reform der Finanzmarktaufsicht

Ganz schön viel, oder? Ach ja, zwischendurch hielt Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine berührende Abschiedsrede samt Liebeserklärung, ("Europa muss man lieben. Wenn man es nicht liebt, ist man zur Liebe nicht fähig. Ich liebe Europa, es lebe Europa.") und die junge Umweltaktivistin Greta Thunberg war auch da und sprach im Umweltausschuss, bevor sie zum Papst nach Rom weiterreiste (natürlich mit der Bahn).

Passend zum Ausklang gibt es seit heute eine aktuelle Wahlprognose, die wieder aus zahlreichen europäischen Umfragen destilliert wurde und nun notgedrungen berücksichtigt, dass die Briten nun doch wieder dabei sein sollen. Kurze Zusammenfassung:

Mögliche Sitzverteilung nach jüngster Prognose
Mögliche Sitzverteilung nach jüngster Prognose © Screenshot EP

Die konservative Europäische Volkspartei (EVP) kommt demnach auf 180 Sitze, die Sozialdemokraten auf 149 Sitze und die Liberalen auf 76. Konservative und Sozialdemokraten würden demnach eine Mehrheit mehr in der 751-köpfigen EU-Volksvertretung klar verfehlen. Sie wären auf die Unterstützung anderer Fraktionen angewiesen. Sollten die drei rechten, EU-kritischen Fraktionen ENF (ihr gehört derzeit die FPÖ an), ECR und EFDD eine gemeinsame Allianz bilden, würden sie zusammen auf 173 Sitze kommen und damit knapp an die EVP heranrücken. 

Prognose, Stand 18. April
Prognose, Stand 18. April © Screenshot EP

Für Österreich schaut es so aus: Die ÖVP käme auf 28,5 Prozent, gefolgt von SPÖ (27 Prozent) und FPÖ (23,5 Prozent). Dahinter rangieren die Grünen (8,5 Prozent) und Neos (7,5 Prozent) sowie die Liste Jetzt (2,5 Prozent) Umgerechnet auf Mandate würde dies bedeuten, dass die ÖVP auf sechs Sitze kommt, SPÖ und FPÖ auf jeweils fünf sowie Grüne und NEOS je auf einen Sitz. Die Liste Jetzt (früher Liste Pilz) würde demnach den Einzug ins EU-Parlament nicht schaffen.

Und das wäre die Aufteilung der Österreicher auf die Fraktionen - gerechnet wieder mit 18 statt 19 Mandaten
Und das wäre die Aufteilung der Österreicher auf die Fraktionen - gerechnet wieder mit 18 statt 19 Mandaten © Screenshot EP

14. April, 22.30 Uhr - Luxemburg

Am Montagvormittag gibt es in Luxemburg eine interessantes Phänomen aus der komplizierten Welt der Entscheidungsabläufe in der Europäischen Union zu beobachten. Es treffen sich dort nämlich die Landwirtschaftsminister der Mitgliedsländer zum "AgriFish"-Rat, also jenem Gremium, das sich mit Landwirtschaft und Fischerei in der EU beschäftigt. Unter anderem geht es dabei um die Reform der europäischen Agrarpolitik nach 2020 oder um eine klimaneutrale Landwirtschaft.

Einer der ersten Punkte am Montag, angesetzt für 10 Uhr, ist aber die Abstimmung über das umstrittene Urheberrechtspaket.

Falls sich jetzt jemand fragt, was Landwirtschaftsminister mit Uploadfiltern und Leistungsschutzrecht zu tun haben: an sich natürlich nichts. Aber die zehn Ratsformationen, die sich regelmäßig treffen und die im Wesentlichen den Ressorts der einzelnen Regierungen entsprechen (also etwa zu den Themen Finanzen, Verkehr, Umwelt...) gelten rechtlich als ein einziges Gremium. Wenn die Zeit drängt oder es den Umständen abverlangt wird, kann jede dieser Formationen einen Gesetzgebungsakt des Rates verabschieden, auch wenn dieser in die Zuständigkeit einer anderen Formation fällt.

Interessant ist, wie sich Deutschland verhält, dort war es wegen der Filter zu heftigen Diskussionen gekommen und es wurde deshalb noch an Zusatzerklärungen gefeilt. Österreich hat sich für die Reform ausgesprochen. Nimmt die Reform auch noch diese Hürde, haben die Länder zwei Jahre Zeit für die nationale Umsetzung.

11. April, 17.00 Uhr - Schlussfolgerung

Es war eine lange Nacht. Und es war ein wenig die Luft draußen aus allem. Vor drei Wochen, beim regulären Frühjahrsgipfel der EU, hatte noch ein riesiger Ansturm geherrscht, hektisches Treiben über eineinhalb Tage. Man schrieb den 21. und 22. März, eine Woche, bevor es zum No-Deal-SuperGAU hätte kommen können. Dann die Verschiebung und jetzt wieder eine Verschiebung und wer weiß ob es die letzte war. Diesmal, in der Nacht auf heute, schien das Interesse geringer, die Stimmung weniger aufgeheizt. Man wusste, es würde keine Katastrophe geben.

Viele Kameras beim Gipfel. Aber die Aufregung hielt sich in Grenzen.
Viele Kameras beim Gipfel. Aber die Aufregung hielt sich in Grenzen. © Andreas Lieb

Großbritannien soll also nun doch bei der EU-Wahl mitmachen und sich bei all den wichtigen Entscheidungen im Anschluss daran nobel zurückhalten. Das ist nichts, was man frei gewählten Abgeordneten anschaffen kann. Die EU-27 versuchen es, indem sie einen entsprechenden Passus in die Abschlusserklärung aufgenommen haben - Punkt sieben. Gefragt danach, versucht Ratspräsident Donald Tusk gegen zwei Uhr früh eine Erklärung: "Wir erwarten ernsthafte und aufrechte Zusammenarbeit. Wir haben bisher gute Erfahrungen gemacht, wenn es um loyales Verhalten geht. Das Vereinigte Königreich ist nach wie vor Mitglied der EU, mit allen Rechten und Pflichten. Uns ging es um eine politische Erklärung, dass das UK nicht Entscheidungen blockiert oder destruktive Tricks als politisches Element anwendet." Kommissionschef Jean-Claude Juncker ergänzt: "Das ist ein Verweis auf unseren Vertragsgrundsatz, darauf baut unser Zusammenleben auf. Auch wenn es in UK Stimmen gibt, die alles blockieren wollen, sollten wir das de-dramatisieren." Immerhin, so Juncker, können alle wichtigen Entscheidungen des nächsten Halbjahres mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden: "Die Möglichkeiten der Briten sind begrenzt".

Falls sich jemand für die Details von Punkt sieben und den Rest der Schlussfolgerungen des Gipfels im Detail interessiert (auf Deutsch) - hier ist der Link.

10. April, 11.30 Uhr - Am Gipfel

Gestern ein dunkler Regentag wie im allerärgsten November, heute Frühlingssonne über blühenden Sträuchern in Brüssel - ein Vorzeichen? Am Abend also wieder ein Sondergipfel zum Brexit, Beginn um 18 Uhr. Der letzte hat nur kurz gedauert, heute ist alles offen. Rasche Einigung oder heftige Diskussionen bis in die Morgenstunden. Letzteres hätte durchaus einen Effekt; so manche Entscheidung, so erzählte es uns ein Regierungschef, sei schon zu später Stunde gefallen, weil die Herrschaften müde waren und endlich ins Bett wollten. Staatsgeschäfte können durchaus anstrengend sein.

Kurzer Schauplatzwechsel in die Steiermark, wo der EU-Wahlkampf interessante Blüten treibt. FPÖ-Kandidat Georg Mayer hat zum Thema gemacht, dass Verkehrssünder mit ausländischen Kennzeichen ihre Strafen nicht bezahlen, Österreicher würden umgekehrt sehr wohl zur Kasse gebeten. Das Land Steiermark hat bestätigt, dass in den letzten drei Jahren 10,6 Millionen Euro an Strafen nicht bezahlt worden seien. Mayer wird mit diesem Satz zitiert: „Statt sich um Gurkenkrümmung, Glühbirnen-Verbot oder Pommes-Verordnungen zu kümmern, sollte es endlich eine wirksame Regelung geben, die Mitgliedstaaten verpflichtet, unsere Strafmandate bei ihren Bürgern einzutreiben.“ 

Mehr hätte es nicht gebraucht. ÖVP-Kandidat Othmar Karas erinnert Mayer daran, dass die FPÖ es selbst gewesen sei, die gegen die Weitergabe der Fahrzeugdaten gestimmt hat. Wörtlich sagt Karas zur Kleinen Zeitung: "Auch bei den ausländischen Rasern gilt: Bitte bei der Wahrheit bleiben und aufhören, den Menschen Sand in die Augen zu streuen. EU-Vorschriften zur Gurkenkrümmung gibt es seit zehn Jahren nicht mehr. Die Europäische Union steht dafür, dass das Recht für alle vollzogen wird – unabhängig von der Staatsbürgerschaft und dem Wohnsitz. Für die Eintreibung der Strafen sind die Mitgliedstaaten zuständig, aus denen die Verkehrssünder kommen. Herr Mayer hat gemeinsam mit der gesamten FPÖ-Delegation im Europaparlament im Februar 2015 dagegen gestimmt, dass ausländische Raser auf Österreichs Straßen verfolgt werden können."

Austausch der Verkehrssünder-Dateien: FPÖ war 2015 geschlossen dagegen
Austausch der Verkehrssünder-Dateien: FPÖ war 2015 geschlossen dagegen © Screenshot ÖGFE

Mayer weist in seiner Antwort darauf hin, dass die FPÖ dafür zwei Jahre später sehr wohl für die Datenweitergabe gestimmt habe, bei den Einzelabstimmungen zu den Länderabkommen. Ja schon, heißt es von der ÖVP - dabei sei es aber eigentlich um grenzüberschreitende Terrorismusbekämpfung gegangen und die Fahrzeugdaten wären halt im Paket drinnen gewesen.

Soviel steht fest: In Sachen EU ist es mit der auferlegten Freundschaft der Koalitionsparteien tatsächlich nicht weit her... (Einen Kommentar dazu finden Sie hier)

4. April, 18.30 Uhr - Das Gesicht

Kommenden Montag, Mailand. Italiens Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega wird in einer Pressekonferenz eine Allianz der europäischen Rechtspopulisten präsentieren - ein Ereignis mit weitreichenden Konsequenzen. Oder auch nicht.

Alle Umfragen weisen derzeit darauf hin, dass die rechten Parteien bei den EU-Wahlen zulegen werden. Ist der Brexit um längere Zeit verschoben und machen die Briten doch noch bei der Wahl mit, könnte das Ergebnis sogar dramatisch ausfallen: Das Wiener Projekt "Poll of Polls pollofpolls.eu by POLITICO - politico.eu" hat für die APA hochgerechnet, dass in diesem Fall alle rechtspopulistischen und europakritischen Parteien zusammen zur stärksten Kraft in der EU-Volksvertretung werden könnten.

Mit 183 von 751 Mandaten würden diese Parteien die Europäische Volkspartei (EVP) überholen, die 174 Sitze hätte. Derzeit sind die EU-Kritiker und Rechtspopulisten auf drei Fraktionen im Europaparlament verteilt. Die größte Fraktion ECR käme durch die Teilnahme der britischen Konservativen auf 81 Mandate (um 17 Mandate mehr), die Fraktion ENF rund um die FPÖ dank der europaskeptischen UKIP auf 70 Mandate (um zehn mehr). Schlechter abschneiden würde einzig die kleinste europaskeptische Fraktion EFDD rund um die italienische Fünf-Sterne-Bewegung mit 32 Mandaten (eines weniger).

Die Ärmel aufgekrempelt: Matteo Salvini will die Rechtsparteien zumindest strategisch vereinen
Die Ärmel aufgekrempelt: Matteo Salvini will die Rechtsparteien zumindest strategisch vereinen © APA/AFP/FILIPPO MONTEFORTE

Das entscheidende Wort ist zusammen. Denn es entspricht dem Naturell national denkender Politiker, dass sie nicht unbedingt auch mit den Interessen anderer Länder kompatibel sind.

Die Frage ist also, was genau passiert am Montag in Mailand und wer ist dabei. Harald Vilimsky, FPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, hat mehrfach gesagt, Matteo Salvini werde nicht Spitzenkandidat, sondern "das Gesicht" der Bewegung. Eigentlich war angedacht, dass ein FPÖ-Vertreter am Montag in Mailand dabei ist - jüngsten Meldungen zufolge wird die FPÖ nicht anreisen, obgleich sie sich als "selbstverständlicher Teil" des Bündnisses sieht. Weder der ungarische Regierungschef Viktor Orban, noch die Chefin der Nationalen Sammlungsbewegung aus Frankreich, Marine Le Pen, werden am Montag kommen. Immerhin ist die AfD unter den rund 20 teilnehmenden Parteien.

Vilimsky geht aber davon aus, dass die Briten nicht mehr wählen und will sich deshalb auf keine weiteren Spekulationen einlassen. Das Angebot an Fidesz, im Falle eines EVP-Ausschlusses ins FPÖ-Lager zu wechseln, hat er mehrfach erneuert; eine weitere Allianz mit der polnischen PIS gehört ebenfalls zu den Zukunftsszenarien.

2. April, 11.00 Uhr - Gefragter Mann

Einladung zum Frühstück mit EU-Brexit-Chefverhandler Michel Barnier im Hotel Thon im Brüsseler EU-Viertel. Da geht man gerne hin, Barnier ist der Mann der Stunde. Unter sich bleibt man freilich nicht: zum frühmorgendlichen Treffen, das vom Thinktank "European Policy Centre" (EPC) veranstaltet wird, kommen noch 300 andere Menschen. Es gibt Schinken und Käse, Butter und Marmelade, Kaffee, Tee und Orangensaft und natürlich Croissants. Man beeilt sich, ein paar Happen zu sich zu nehmen; Barnier ist pünktlich da, setzt sich nur kurz an den gedeckten Tisch und referiert dann über das Dauerthema "Deal or no Deal", ehe er sich zum Podiumsgespräch mit EPC-Chef Fabian Zuleeg wieder setzen kann.

Warten auf den Frühstücksgast: EPC-Einladung in Brüssel
Warten auf den Frühstücksgast: EPC-Einladung in Brüssel © Andreas Lieb

Er sei letzte Nacht wieder lange aufgewesen, erzählt Barnier, schauen, was in Westminster passiert. Schnell kommt er zum Kern der Sache: Es blieben nur noch drei Möglichkeiten übrig. Entweder der Deal geht in letzter Sekunde doch noch durch, oder es gibt einen harten Brexit - oder es gibt eine maßgebliche Verschiebung des Austrittstermins, falls die Briten einen triftigen Grund (also Neuwahlen oder ein zweites Referendum) nennen können. Diese Variante birgt aber viele Probleme in sich. Großbritannien müsste bei den EU-Wahlen mitmachen, würde viel länger als gewünscht in der EU bleiben und es können während dieser Zeit wieder keine Verhandlungen über die künftigen Beziehungen geführt werden. Barnier ist sehr deutlich: "Der Brexit ohne Vertrag wird von Tag zu Tag wahrscheinlicher."

Freundliche Geste: Gastgeber EPC-Chef Fabian Zuleeg schenkt Michel Barnier Kaffee ein
Freundliche Geste: Gastgeber EPC-Chef Fabian Zuleeg schenkt Michel Barnier Kaffee ein © Andreas Lieb

Am Vertrag wird nicht mehr gerüttelt, dabei bleibt es. Die politische Deklaration hingegen, die Barnier demonstrativ in der Hand schwenkt, böte Möglichkeiten. Kein anderes Land außerhalb der EU bekäme so ein Angebot, sagt der Chefverhandler, der einst Kommissar war und immer noch als theoretisch möglicher Juncker-Nachfolger gehandelt wird. Den in Großbritannien regelmäßig wahrgenommenen Vorwurf, er sei arrogant, weißt der stets besonnen agierende Franzose zurück, der Saal gibt ihm recht.

Worauf es ankommt: Zuleeg und Barnier, in der Hand die politische Deklaration zum Brexit-Deal
Worauf es ankommt: Zuleeg und Barnier, in der Hand die politische Deklaration zum Brexit-Deal © Andreas Lieb

Am Ende des Frühstücks blickt Barnier in die Zukunft. Es gäbe in der EU so viel zu tun, man dürfe sich nicht länger vom Brexit lahmlegen lassen. Auch was England betrifft wären eigentlich die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen viel wichtiger als der Deal. Aber man sollte sich genau damit befassen, was schief gelaufen ist, warum 52 Prozent der Briten lieber hinaus wollten, als drinnen zu bleiben. Warum seien so viele junge Menschen, die bleiben wollten, nicht zum Referendum 2016 gegangen? Er habe sich, sagt Barnier, in seinem Heimatland angeschaut, was die Wähler zu den Rechten treibt, konkret zu Marine LePen. Der Reihe nach weisen die Analysen vier Gründe aus: Die Person LePen an sich, Arbeitslosigkeit, schlechte Bahnverbindungen und schlechte medizinische Versorgung. Die Menschen haben Angst vor der Globalisierung, sie fühlten sich in Europa nicht beschützt genug, wird der Politiker nachdenklich; vielleicht habe sich die EU zu sehr auf wirtschaftliche Themen fokussiert als auf den sozialen Wandel.

1. April, 12.00 Uhr - Meinungsschwenk

Das beschlossene Ende der Zeitumstellung ist ein gutes Thema für den 1. April. Nicht nur - wir haben es an dieser Stelle schon früh unterstellt und bleiben dabei -, weil die ganze Geschichte ein Populismus-Lehrstück ist, mit dessen Hilfe uns Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eindringlich zeigt, wie eine Minderheit ein kleines Problem zu einem vermeintlich großen macht und letzten Endes die Staaten, die so gerne alles selber entscheiden möchten, ja doch um eine Einigung mit den anderen nicht herumkommen. Es passt auch zum Tag, weil die österreichische Bundesregierung in ihre Entscheidungsabläufe tief blicken lässt.

Das Thema, unter österreichischem Ratsvorsitz auf Schiene gebracht, geht in Österreich zwei Minister etwas an. FPÖ-Verkehrsminister Norbert Hofer (für die Abschaffung an sich) und ÖVP-Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck, die sich nun mit den anderen Staaten darauf einigen muss, ob es bei uns ab 2021 dauerhaft Normalzeit (Winterzeit) oder Sommerzeit gibt. Von Anfang an hatte sich Schramböck für die dauerhafte Sommerzeit ausgesprochen, was seit letztem Sommer auch unwidersprochen als offizielle Regierungsmeinung galt. Hofer hatte in den Monaten danach allerdings auf Gespräche mit den Nachbarländern verwiesen. Da waren aber die tatsächlichen Auswirkungen, die nun zu schwierigen Diskussionen innerhalb der Mitgliedsstaaten führen, offensichtlich noch nicht überlegt worden. Im Interview mit oe24.TV erklärte Hofer nun, ihm sei doch die dauerhafte Winterzeit lieber. Mit entwaffnender Argumentation, was etwa die Anbindung an den großen Nachbarn betrifft: "Wenn sich Deutschland für die Sommerzeit entscheiden würde, wäre es nicht klug, wenn sich Österreich für die Normalzeit entscheidet. Es ist schon wichtig, dass wir in einem Block mit den Nachbarstaaten sind."

Und wie ist man letztes Jahr so schnell auf die Sommerzeit gekommen? Hofer: "Ja, es war verlockend zu sagen, wir wollen die Sommerzeit, weil es im Sommer viele Vorteile mit sich bringt, etwa am Abend länger draußen zu sitzen." Und jetzt der Meinungsumschwung?  "Aber denken Sie an die Schulkinder, die dann, wenn Sommerzeit auch im Winter wäre, den halben Vormittag in der Schule im Finstern sitzen. Das wäre unangenehm."

Ja, das sind schlüssige Argumente.  Das würde jedem einfallen, der sich fünf Minuten lang mit der Frage befasst. Warum die Regierung dafür ein Dreivierteljahr braucht? Eine Scherzfrage, passend zum Tag.

29. März, 11.30 Uhr - Überraschung

Gerade eben hat das EU-Parlament die allerneueste Prognose zur EU-Wahl veröffentlicht. Diese Information kommt derzeit alle zwei Wochen und ist eine Zusammenfassung von einer Reihe derartiger Erhebungen in allen EU-Ländern (keine davon allerdings vom Parlament selbst in Auftrag gegeben), ausgewertet von "Kantar Public". Natürlich ist das noch relativ fern der Realität (die Wahl ist vom 23. bis 26. Mai), aber doch ein interessanter Anhaltspunkt - mit einem Überraschungsmoment. Demnach würden in Österreich die drei größeren Parteien jeweils ein Mandat dazugewinnen - ÖVP und SPÖ hätten dann statt wie bisher fünf jeweils sechs Abgeordnete im Parlament, die FPÖ käme auf fünf statt bisher vier. Die Grünen würden laut dieser Auswertung von drei Mandaten auf eines schrumpfen, die Neos bleiben bei einem Mandat (bei der Auswertung davor lagen sie noch bei zwei Mandaten). Die Liste Jetzt von Peter Pilz würde es demnach nicht schaffen. Kommt es tatsächlich zum Brexit (wer weiß das schon...) schrumpft ja die Gesamtzahl der Abgeordneten von 751 auf 705, durch das neue Berechnungsmodell würde Österreich jedoch 19 statt wie bisher 18 Volksvertreter entsenden können.

So würden sich nach jüngster Prognose die Fraktionen nach der EU-Wahl aufteilen (die FPÖ ist derzeit bei der ENF)
So würden sich nach jüngster Prognose die Fraktionen nach der EU-Wahl aufteilen (die FPÖ ist derzeit bei der ENF) © Andreas Lieb (Sreenshot EP)

Die Frage ist, ob sich die rechten EU-kritischen Fraktionen zusammenschließen. Simpel zusammengezählt kämen ECR, EFDD und ENF (dort ist derzeit die FPÖ verankert) auf 144 Mandate und wären damit nach der EVP auf Platz zwei und noch vor den Sozialdemokraten. EVP und SPE hätten laut dieser Prognose jedenfalls ihre Mehrheit eingebüßt und würden einen Partner brauchen.

Zugewinne würden die Rechten der Prognose nach vor allem in Frankreich und Italien haben. Die Lega von Matteo Salvini in Italien könnte gleich 21 Sitze dazugewinnen, Rassemblement national in Frankreich (Marine LePen) würde sechs Mandate mehr erzielen. Die AfD in Deutschland könnte mit neun weiteren Sitzen rechnen.

Falls sich jemand für die gesamte Prognose mit allen Details interessiert: Hier ist der Link dazu.

27. März, 14.45 Uhr - Angespannt

Der Reigen der Abstimmungen geht weiter. Bloß ein Akt, in dem es um die Arbeitsbedingungen der Fernfahrer geht, ist wegen rund 1400 Abänderungsanträgen verschoben worden, dafür wird heute noch über das Einwegplastik und über die CO2-Grenzwerte für Pkw abgestimmt - in beiden Fällen eine "gmahte Wiesn", denn hier hier wurde im Vorfeld schon viel diskutiert und im Grunde ist man sich einig. Außerdem wird heute noch über die Parlamentsposition zum Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und den Kohäsionsfonds abgestimmt. Mit fast 200 Milliarden Euro in der derzeitigen Förderperiode ist der EFRE mit Abstand der größte der Struktur- und Investitionsfonds der EU.

Am Vormittag ging es um Thema Nummer eins, den Brexit. Ratspräsident Donald Tusk wiederholte seinen Vorschlag, man sollte den Briten eine deutlich längere Frist gewähren (ein Jahr oder mehr) und sie sollten somit doch noch an der EU-Wahl teilnehmen. Sein Argument: die Millionen Briten, die für einen Verbleib in der EU sind, seien "Europäer" und man sei es ihnen einfach schuldig. Tusk hat aber leicht reden, er ist quasi schon auf dem Sprung zurück nach Polen, wo Wahlen ins Haus stehen, und die Suppe muss dann der nächste Ratspräsident auslöffeln. Tusk erinnerte aber Brexiteer Nigel Farage daran, dass das Austritts-Referendum 2016 ja nicht das erste und einzige gewesen sei, sondern das zweite: die Briten hätten bereits 1975 abgestimmt und sich damals für die EU entschieden.

Die Sitzordnung führt zu interessanten Kontakten: Farage, Juncker im EU-Parlament in Strassburg
Die Sitzordnung führt zu interessanten Kontakten: Farage, Juncker im EU-Parlament in Strassburg © APA/AFP/FREDERICK FLORIN
...freundlich grüßen wird man sich wohl dürfen...
...freundlich grüßen wird man sich wohl dürfen... © APA/AFP/FREDERICK FLORIN

Charmant-unnachgiebig wie immer war dann EU-Chefverhandler Michel Barnier, der keinen Zweifel aufkommen ließ: niemand in Brüssel wolle an der Entscheidung des britischen Volkes zweifeln. Es gehe jetzt darum, die Rechte der Bürger zu wahren und an der Zukunft zu arbeiten. Das Karfreitagsabkommen für Nordirland werde auch bei einem ungeregelten Brexit weiter gelten. Die EU-Kommission werde dafür auch weitere Ressourcen zur Verfügung stellen, sagte Barnier.

26. März, 19.30 Uhr - Entscheidungen

Vorletzte Plenarsitzung in Straßburg und es geht zu wie in einem Bienenstock. Tatsächlich ist das Bedürfnis groß, alles, was geht, noch vor dem Ende der Legislaturperiode unter Dach und Fach zu bringen.

So wie heute die Sache mit dem Ende der Sommerzeitumstellung (da herrschte weitgehend Einigkeit) oder der Reform des Urheberrechts. Hier gingen die Risse quer durch alle Fraktionen - schön zu sehen am "bunten" Abstimmungsbild:

Ein buntes Bild: Die Abstimmung zum Urheberrecht ließ Gräben durch alle Fraktionen erkennen
Ein buntes Bild: Die Abstimmung zum Urheberrecht ließ Gräben durch alle Fraktionen erkennen © Andreas Lieb (Screenshot)

Interessant übrigens, dass sowohl bei der Sommerzeit als auch bei der Urheberrechtsreform ausgerechnet Deutschland und Österreich extreme Betroffenheit zeigten - man hatte das Gefühl, in allen anderen EU-Ländern wird das nicht besonders wahrgenommen. (Details zur Urheberrechtsreform finden Sie hier) Unmittelbar vor Beginn der Abstimmung lag es letztlich auch an zwei österreichischen Abgeordneten, zumindest einen Augenblick lang im Fokus zu stehen. Erst meldete sich der Grün-Abgeordnete Michel Reimon zu Wort und bat Parlamentspräsident Antonio Tajani um ein Machtwort. Zum einen, weil laut Reimon auch am Abend vor der Abstimmung noch Treffen mit Lobbyisten stattgefunden hätten und zum anderen, weil junge Demonstranten, die sich gegen die Reform wenden, als "bezahlte Demonstranten" bezeichnet worden seien. Tajani sagte knapp, er wolle sich in die Angelegenheiten der Abgeordneten nicht einmischen.

Danach meldete sich auch SPÖ-Delegationsleiterin Evelyn Regner zu Wort, die eine Abstimmung darüber wollte, ob für den vorliegenden Text noch Änderungen möglich sind. Knapp, aber doch wurde das abgelehnt und die Abstimmung wurde durchgezogen.

23. März, 19.00 - Folgen immer schlimmer

Samstag Abend in Brüssel. Die Zierkirschen und Forsythien blühen, aber besonders warm ist es nicht und schon wieder hat leichter Regen eingesetzt. Der Rasen gehörte längst gemäht, aber das Wetter lässt das kaum zu.

London ist zweieinhalb Stunden entfernt, das geht super mit dem Eurostar. Einsteigen am Gare de Midi in Brüssel, aussteigen in St. Pankras, mitten in London. Dort sind gerade Hunderttausende auf der Straße, um gegen den Brexit zu demonstrieren. Mehr als vier Millionen Menschen haben seit Freitag an einer entsprechenden Online-Umfrage teilgenommen. Jetzt, wo fast alles schon zu spät ist. Warum nicht früher? Vielleicht, weil niemand wirklich wusste, was wirklich auf das Land zukommt.

Zwei Gedanken dazu. 1.) Die Wirtschaft: Zwei Jahre lang war der 29. März der "Tag X". In allen Ländern der EU mit ihren 512 Millionen Einwohnern hat man sich mehr oder weniger auf diesen Tag vorbereitet, notgedrungen. Große Konzerne mit ihren wichtigen juristischen Abteilungen und kleine Familienbetriebe mit 15 Monteuren. Brexit mit Vertrag oder böser Brexit ohne Deal. BMW hat für vier Werke in Großbritannien eine Werkspause eingeplant. Nahversorger haben Lager angemietet. Es gibt Urlaubssperren. Und jetzt? Hat der EU-Gipfel am Donnerstag eine Verschiebung auf 12. April festgelegt, weil die britische Regierung und das Parlament bis jetzt nicht imstande waren, einen brauchbaren Vorschlag zu machen. Der 12. ist der Stichtag und es ist noch unklar, ob ein harter Brexit in der Nacht auf 13. passiert oder ob es noch eine weitere Verzögerung geben wird. Wie soll man sich darauf einstellen? Der Schaden wird immer größer.

Jetzt gehen Hunderttausende auf die Straße. Es ist fast zu spät
Jetzt gehen Hunderttausende auf die Straße. Es ist fast zu spät © APA/AFP/NIKLAS HALLE'N

2.) Der Ausstiegs-Ansatz: Wenn Hunderttausende auf der Straße sind und Millionen in der EU bleiben wollen, wenn die Abstimmung 2016 relativ knapp ausgegangen ist - warum geht es jetzt immer nur um eine "Ganz-oder-gar-nicht"-Lösung? Offensichtlich gibt es zwei große Bevölkerungsgruppen im Vereinten Königreich, die unterschiedlicher Meinung in einer Ja-oder-Nein-Frage sind. Warum hat man also nicht von Anfang an versucht, auf einen Kompromiss hinzuarbeiten, der beiden Gruppen entgegenkommt (ohne Rosinenpicken)? Also raus aus der EU, ihr aber in vielen wesentlichen Dingen verbunden bleiben (und auch dafür zahlen). Norwegen-plus hat Fantasie, scheint aber inzwischen genauso unmöglich, wie alles andere. May wollte den Hardlinern bei den Tories einen Gefallen tun.

So sieht das jetzt aus: es sind die Hardliner und Populisten, die den Karren in den Dreck gefahren haben und sogar jetzt noch mit aller Kraft versuchen, ihn dort zu lassen. Leute wie sie werden bei den EU-Wahlen regen Zuspruch haben. Warum?

Der Wunsch: das Volk soll noch einmal entscheiden - jetzt, wenn man weiß, worum es wirklich geht
Der Wunsch: das Volk soll noch einmal entscheiden - jetzt, wenn man weiß, worum es wirklich geht © APA/AFP/NIKLAS HALLE'N

22. März, 11.45 Uhr - Wie es weitergeht

Auch am zweiten Tag des EU-Frühjahrsgipfels ist der Brexit Thema Nummer eins. Jetzt wieder im spekulativen Bereich: Tritt May zurück? Stimmt das Unterhaus dem Vertrag doch noch zu? Was passiert, wenn die Briten bis 12. April gar nichts tun? Hat es Sinn, dass sie notfalls doch noch EU-Wahlen durchführen, um einen harten Brexit zu verhindern? Der Ausstieg aus der EU ist dermaßen komplex, dass es kaum noch zu beschreiben ist. Dass inzwischen innerhalb kürzester Zeit mehr als 2,2 Millionen Menschen in Großbritannien eine Petition ans Unterhaus unterzeichnet haben, die sich für einen Verbleib in der EU ausspricht, macht die Angelegenheit nicht einfacher.

Jedenfalls ist es bedauerlich, dass dieses eine Thema viele andere völlig überdeckt. So steht auf der Agenda neben Klimawandel, Desinformation oder Binnenmarkt auch die (künftige) Beziehung zu China auf dem Programm - ein Land, das auf dem Weg zur größten Wirtschaftsmacht der Welt ist, dass seine Fühler überall hin ausstreckt und mit seiner Wirtschaftspolitik (Stichwort neue Seidenstraße) beinahe unbemerkt einen Keil zwischen die europäischen Länder treibt.

Gipfelbeobachtung am Rande: EU-Abgeordnete zeigen sich bei den Gipfeln eher selten (gerade eben ergab sich ein kurzes Gespräch mit S&D-Fraktionsvorsitzendem Udo Bullmann), aber einer, der immer im Ratsgebäude anzutreffen ist, ist Ober-Brexiteer und Ex-Ukip-Chef Nigel Farage. Ein Mann, der weiß, wie man sich in Szene setzt.

Immer bei den Gipfeln dabei und gerade zum Thema Brexit entsprechend gefragt: Nigel Farage
Immer bei den Gipfeln dabei und gerade zum Thema Brexit entsprechend gefragt: Nigel Farage © Andreas Lieb

22. März, 00.25 Uhr - "No Deal" im März abgewendet

Nun ist es nach stundenlangen Verhandlungen also geschafft, der EU-Gipfel hat den Briten einen neuen Vorschlag gemacht. Gerade eben gibt Theresa May ihre Pressekonferenz und wird gefragt, was sie von den fast zwei Millionen Menschen hält, die am Donnerstag für einen Verbleib Großbritanniens in der EU demonstriert haben. Sie hält am Brexit fest, fühlt sich an ihren Auftrag nach dem Referendum gebunden und verweist auf all die Wähler, die sich 2016 für den Brexit entschieden haben.

Kurz davor hat auch Bundeskanzler Sebastian Kurz laut aufgeatmet, hat gemeint zumindest der "Hard Brexit" kommende Woche sei einmal verhindert und die Briten hätten nun wieder Zeit gewonnen, um sich mit den weiteren Möglichkeiten zu beschäftigen.

Sebastian Kurz: Harter Brexit nächste Woche abgewendet
Sebastian Kurz: Harter Brexit nächste Woche abgewendet © Andreas Lieb

Ähnlich argumentieren kurz darauf auch Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Tusk sagt, bis 12. April seien nun alle Optionen offen. Wenn sich Großbritannien bis dahin nicht entscheidet (oder einen Ausstieg ohne Vertrag vorzieht), dann sei jede weitere Art der Verlängerung unmöglich. Juncker erinnert daran, dass man nun dringend wieder zur Tagesordnung übergehen sollte; der Brexit überlagere ständig alle wichtigen Themen: "Wir sind am Ende einer langen Strecke angekommen und jetzt müssen wir auch wieder in die Zukunft schauen." Etwa, was die zukünftigen Beziehungen zu China betrifft - das wäre das eigentliche Thema beim Abendessen gewesen.

Donald Tusk: Alle Optionen offen
Donald Tusk: Alle Optionen offen © Andreas Lieb

21. März, 18.30 Uhr - Ein Entwurf

Hinter den Kulissen am EU-Gipfel feilen die 27 Staats- und Regierungschefs an der Formulierung der Brexit-Schlussfolgerung. Bei solchen Texten kommt es auf jedes einzelne Wort an, sie verkörpern das, was die obersten Vertreter aller Mitgliedsländer unterschreiben (können), deshalb dauert es mitunter recht lange, bis die letzten Endes dann kurzen Absätze fertig sind. Ein Entwurf für diese Erklärung, die den 22. Mai als endgültigen Brexit-Tag definiert, erreichte einen Kollegen vom Nachrichtenportal "Politico". Ob es letzten Endes genau dabei bleibt, wird sich zeigen - hier ist jedenfalls einmal der Tweet (wie meist auf Englisch):

21. März, 16.15 Uhr - Andrang

Brexit, Rechtsruck, EU-Wahlen, Klimawandel - was auch immer es ist, derzeit schaut in Brüssel vieles danach aus, dass das öffentliche Interesse an EU-Themen deutlich ansteigt. Festzustellen unter anderem am überbordenden Medieninteresse in den Pressesälen. Wie gestern zum Beispiel bei der EVP-Vorstandssitzung, bei der es um den weiteren Umgang mit Victor Orbans Fidesz ging; erst musste das Treffen selbst in einen größeren Saal verlegt werden, dann war das Gedränge der Kamerateams und Journalisten so groß, dass die Teilnehmer am Treffen kaum vorbeikamen, und auch bei der abschließenden Pressekonferenz quoll der Pressesaal im EU-Parlament über.

Voller Saal: Pressekonferenz von Viktor Orban nach der Fidesz-Suspendierung
Voller Saal: Pressekonferenz von Viktor Orban nach der Fidesz-Suspendierung © Andreas Lieb

Heute, beim EU-Gipfel im Ratsgebäude, ist es nicht anders; jeder freie Platz ist belegt.

Voller Saal: Pressebereich im Ratsgebäude beim EU-Gipfel
Voller Saal: Pressebereich im Ratsgebäude beim EU-Gipfel © Andreas Lieb

Wie üblich versuchen alle, schon Tage zuvor einen Platz per Namensschild zu reservieren, das schaut dann so aus:

Ein Zettel rettet den Platz - sonst wirds schwierig...
Ein Zettel rettet den Platz - sonst wirds schwierig... © Andreas Lieb

20. März, 12.00 Uhr - Arbeit für Postboten

Heute Vormittag, Pressesaal im Ratsgebäude. Vor EU-Gipfeln trifft man sich üblicherweise zu einem Hintergrundgespräch; diesmal wurde der Termin zweimal verschoben, dafür ist es nun so voll, dass der sonst oft nur schütter besetzte Raum aus allen Nähten platzt.

Voller Saal: Man merkt, wie sehr sich der Brexit jetzt zuspitzt
Voller Saal: Man merkt, wie sehr sich der Brexit jetzt zuspitzt © Andreas Lieb

Keine Frage, der Brexit-Showdown steht unmittelbar bevor und die Augen der (halben) Welt werden morgen Nachmittag nach Brüssel gerichtet sein, wo erstens Theresa May noch einmal vor den anderen Staats- und Regierungschefs spricht (und hoffentlich einen Vorschlag äußert, mit dem man etwas anfangen kann) und wo zweitens dann alle auf die Entscheidung der EU-27 warten.

Auch in Zeiten der Digitalisierung kommt man im Umfeld von Gipfeln nicht davon ab, Briefe zu schreiben - was diesmal gar nicht so einfach ist. Denn, so erfährt man aus Ratskreisen, bis jetzt (Mittwoch, 12 Uhr) ist noch kein Brief von Theresa May in Brüssel eingetroffen. Jede Art von weiterer Spekulation über Bitten nach Fristverlängerung ("kurz, lang, superkurz, superlang" sagt ein Diplomat) sei damit hinfällig, ebenso was mögliche Antworten der EU-27 betrifft. Solange sie die Frage nicht kennen, können sie auch nicht antworten. Während also dieser Brief noch nicht da ist, wartet man auch auf einen anderen, nämlichen den üblichen "Gipfelbrief" von Ratspräsident Donald Tusk. Eigentlich müsste der schon längst draußen sein, aber vielleicht will er noch kurz einmal den Posteingang überprüfen, ob nicht doch was aus London gekommen ist. Dafür ist gerade ein anderer Brief eingetroffen - der von Parlamentspräsident Antonio Tajani. Zwar mit einem kleinen Hoppala (die erste Version wurde zurückgezogen), aber immerhin. Tajani schreibt, dass vor allem den 3,5 Millionen Europäern, die in Großbritannien leben, ebenso wie der Million Briten in der EU höchste Priorität zukomme. Die Bürgerrechte müssten so oder so gewahrt bleiben, dafür werde das Parlament kämpfen. Aber natürlich hofft auch er, dass es nicht zu einem Ausstieg ohne Vertrag kommt.

19. März, 23.00 Uhr - Juncker-Nachfolge

Man hatte damit gerechnet, nun scheint die Katze aus dem Sack zu sein: Die liberale Fraktion im EU-Parlament schickt laut einer AFP-Meldung die dänische EU-Kommissarin Margrethe Vestager ins Rennen um die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Die Wettbewerbskommissarin, die einen erfolgreichen Feldzug gegen die US-Internetgiganten führt und auch in Europa einen konsequenten Kurs fährt, wenn es um den Handel geht (zuletzt auch mit Steiermark-Bezug wegen des Fürstenfelder Nidec-Werkes) soll offiziell am Donnerstag nominiert werden. Im Wahlkampfteam der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) ist auch Fraktionschef Guy Verhofstadt, die FDP-Generalsekretärin und EU-Spitzenkandidatin ihrer Partei, Nicola Beer, die slowenische EU-Kommissarin für Verkehr, Violetta Bulc, die frühere italienische Außenministerin und Ex-EU-Kommissarin Emma Bonino, der Spanier Luis Garicano von der Partei Ciudadanos und die Ungarin Katalin Cseh von der Partei Momentum.

Mischt nun auch mit: Margrethe Vestager
Mischt nun auch mit: Margrethe Vestager © APA/AFP/JOHN THYS

Derzeit deutet alles darauf hin, dass die EVP mit Spitzenkandidat Manfred Weber und die Sozialdemokraten mit Frans Timmermans ihre gemeinsame Mehrheit im EU-Parlament verlieren werden. Somit kommt anderen Fraktionen, konkret aber besonders den Liberalen, bei der Postenbesetzung eine entscheidende Rolle zu. Kommt es zu einer Patt-Situation, hat Vestager sehr gute Chancen auf einen Top-Job. Weber hat zwar die besten Aussichten, aber in einem Abtausch der Positionen könnte er - theoretisch - genauso gut Parlamentspräsident statt Kommissionschef werden.

18. März, 23.00 Uhr - Kopfschütteln

Fragt man in Brüssel jemand, was er von der aktuellen Brexitentwicklung hält, ist die Reaktion fast immer die selbe: Kopf schütteln, Augen rollen, lachen. Das Chaos und der irrwitzige Umgang der Briten damit lassen fast nur noch eine Art Verzweiflungshumor als Reaktion zu. So war es auch heute, als der muntere und stets zum Witz neigende Parlamentspräsident John Bercow der Premierministerin einen Strich durch die Abstimmungs-Rechnung machte, wie Journalistenkollege Samuel Stolton twitterte:

Ein kollektiver Aufschrei und hysterisches Lachen im Pressezentrum... Das Internet ging sogleich über vor lustigen und halblustigen Kommentaren dazu, wie etwa der Independent meldet:

Und klar, trotz all der Dramatik und der möglichen Folgen gibt es auch von höheren Stellen Statements, wie etwa jenes der französischen EU-Ministerin: Laut diversen Meldungen hat sie ihre Katze "Brexit" getauft: "Sie miaut immer laut, weil sie hinaus will, aber wenn die Tür offen ist, geht sie nicht hinaus." Wenns nicht wahr ist, ist es wenigstens gut erfunden.

14. März, 12.00 Uhr - Am Nebenschauplatz

Der Brexit-Wirrwarr hat wieder einmal eine ganze Reihe anderer wichtiger Themen auf Nebenschauplätze verbannt. Dazu gehört auch die innerhalb der EVP geführte Diskussion um einen möglichen Ausschluss der ungarischen Fidesz von Ministerpräsident Viktor Orban, der zuletzt einige seiner Fraktionspartner "nützliche Idioten" genannt und einen extrem aggressiven Wahlkampf mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker als Zielscheibe gestartet hat, der ebenfalls der EVP angehört. Nun ist Orban offensichtlich dabei, die Wogen zu glätten. Wie man hört, soll er die Chefs der EVP-Parteien durchtelefonieren, außerdem hat er wegen des "Idioten-Zitats" einen Entschuldigungsbrief verfasst, den der Vorsitzende der flämischen EVP-Partei, Wouter Beke, nun veröffentlicht hat:

Kommenden Mittwoch wird im EVP-Vorstand in Brüssel über einen Ausschluss der Fidesz aus der EVP beraten, entsprechende Anträge liegen vor; wir werden dabeisein.

14. März, 11.00 Uhr - Verschubarbeiten

Letzter der Tag der Plenarsitzung in Straßburg. Ein Großteil der Journalisten ist schon abgereist, im Plenarsaal laufen noch Debatten und Abstimmungen bis kurz nach Mittag, dann schließt der Gebäudekomplex wieder seine Pforten - diesmal nur kurz, schon in zwei Wochen gibt es die nächste Sitzung und dann bloß noch eine vor den Wahlen.

Gesprächsthema Nummer eins in den Gängen und Sitzungssälen ist und bleibt das Brexit-Chaos, in das die Briten alle hineintheatert haben. Deal geht nicht, kein Deal geht auch nicht und heute Abend soll über eine Verschiebung des Austrittstermins (29. März) abgestimmt werden. Immer wieder haben die EU-27 ihre Bereitschaft dazu erklärt, aber nur dann, wenn die Briten einen konkreten Vorschlag nennen können, wofür die Zeit genutzt werden soll. Einfach nur weiterwurschteln kommt nicht infrage. Eine Möglichkeit wäre ein zweites Referendum, das erstens verbindlich ist und zweitens als Alternative die Zustimmung zum Deal oder den Verbleib in der EU aufweist. So etwas braucht aber Zeit - Zeit, die man nicht hat, weil von 23. bis 26. Mai EU-Wahlen sind und niemand britische Abgeordnete im Saal haben will, die über die Zusammensetzung der Kommission und die Zukunft der EU mitentscheiden sollen, dabei aber nur darauf warten, aus der EU austreten zu können.

Kommende Woche ist der nächste EU-Gipfel und es sieht so aus, als würde auch dieser einmal mehr im Zeichen des Brexit stehen. Aufhorchen ließ heute Vormittag Ratspräsident Donald Tusk, der sich für eine lange Verschiebung des Austrittstermins aussprach. Was viele mit Kopfschütteln quittierten, muss man doch befürchten, dass die gesamte EU damit noch länger in einer Art Geiselhaft durch die entscheidungsunfähigen Briten genommen wird.

13. März, 14.30 Uhr - Die Reaktionen

Zum Schluss der Brexit-Debatte hat Kommissions-Vizepräsident und S+D-Spitzenkandidat Frans Timmermans noch eine recht emotionale Bewertung der verfahrenen Lage vorgenommen. Auch er wendet sich direkt an Nigel Farage: "Ohne Abkommen gehen 9,3 Prozent Wirtschaftsleistung verloren. Was bringt das, wenn Sie weiterträumen? Sie sprechen von der Wiedererlangung der Freiheit, das sei wichtiger - dann haben Sie den Mut und fahren nach Irland und sagen dort, meine Freiheit ist wichtiger und mein Luftschloss. Oder fahren Sie nach Sunderland zu Nissan." (Anm.: Nissan hat gestern bekanntgegeben, im dortigen Werk die Infinity-Produktion zu stoppen sowie den geplanten Bau des X-Trail zu verlagern. Nissan beschäftigt in Sunderland rund 7000 Mitarbeiter).

Fast allen Rednern gemein ist die Forderung an Großbritannien, endlich zu sagen, was das Verhandlungsziel ist. Viele verlangen nun ein zweites Referendum: Eine Auswahl: SPÖ-Europamandatar Josef Weidenholzer forderte eine "letzte Chance" für die Briten. Sie könnten gerne bleiben, ein neues Referendum sollte verbindlichen Charakter haben. Der ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas sagte, wer nicht bereit sei, parteiübergreifend miteinander zu reden, könne keine Probleme der Gegenwart und der Zukunft lösen.  FPÖ-EU-Abgeordneter Harald Vilimsky hingegen verlangt den Respekt vor dem Ergebnis des Referendums für einen Ausstieg. Man solle nicht versuchen, "mit Tricksereien über den Umweg der Hintertür ein zweites Referendum in die Wege zu leiten". Piernicola Pedicini von der rechtsextremen EFDD warf Deutschland und Frankreich vor, die EU zu "kolonialisieren. Wenn die Sparpolitik fortgesetzt wird, wird der Brexit ein Präzedenzfall sein und die EU wird sich auflösen". Jill Evans von den Grünen meinte, da das britische Parlament zu keinen sinnvollen Schlussfolgerungen kommen könne, müsse das Volk wieder befragt werden. "Wenn die Dinge sich ändern, ändern die Menschen auch ihre Meinung und das ist ihr Recht."

Stand wieder einmal im Mittelpunkt: Abgeordneter Nigel Farage
Stand wieder einmal im Mittelpunkt: Abgeordneter Nigel Farage © APA/AFP/FREDERICK FLORIN

13. März, 12.00 Uhr - Die Fraktionen

Wie zu erwarten, gibt es auch bei den Wortmeldungen der Fraktionssprecher im EU-Parlament eindeutige Statements. Manfred Weber (EVP) spricht von einer "Katastrophe", eine ganze Generation junger Menschen werde unter den Brexit-Folgen zu leiden haben. Wenn das Parlament zu keiner Entscheidung imstande sei, wäre es eine logische Folge, das Volk zu befragen (was später auch Udo Bullmann von den Sozialdemokraten und der konservative Abgeordnete Hans-Olaf Henkel verlangen). Er weist darauf hin, dass die EU Gefahr laufe, von anderen wichtigen Themen abgelenkt zu werden und mahnte ein, auch den Gipfel kommende Woche nicht völlig in den Schatten des Brexit zu stellen.

Launig wie immer Guy Verhofstadt (ALDE), der sich direkt an den nur wenige Meter entfernt sitzenden Nigel Farage wendet: "Keine Verlängerung, die über die EU-Wahlen hinausgeht! Dann wird einer wie Farage wiedergewählt - und wer will das schon? Er kann dann weiter sein Gehalt beziehen und an sein Offshore-Unternehmen weiterleiten, dann kann er weiter seine schmutzige Arbeit leisten – er will die EU von innen zersetzen." Das Argument der Brexit-Befürworter laute darauf, die Kontrolle wiederzugewinnen: "Ich habe das Gefühl, dass Großbritannien gerade die Kontrolle völlig verliert."

Farage berief sich in seiner Reaktion auf die öffentliche Meinung, genug sei genug: "Ich hoffe, dass das meine letzte Rede im EU-Parlament ist und dass ich im Juli nicht wiederkomme."

13. März, 10.30 Uhr - Barniers Bittere Bilanz

Im EU-Parlament in Straßburg zieht Chefverhandler Michel Barnier eine bittere Bilanz nach der jüngsten Bexit-Abstimmung von Dienstagabend. Kernaussagen: Die Verantwortung für das Desaster trifft allein das Vereinigte Königreich, und nur von dort können jetzt Vorschläge kommen, wie man sich aus der Sackgasse wieder herausmanövrieren kann. Der Ausstiegsvertrag, der nach eineinhalb Jahren Verhandlungen zustande kam, ist der einzig mögliche - er wird weder aufgeschnürt noch durch einen neuen ersetzt. Am Montagabend habe man beim Treffen mit Theresa May in Straßburg maximales Entgegenkommen gezeigt. Barnier wörtlich: "Weiter können wir nicht gehen." Eine Verlängerung der Verhandlungszeit kann es nur geben, wenn Großbritannien einen plausiblen, konkreten Vorschlag macht. Und: London muss sagen, was es will. Man müsse sich jedenfalls auf einen harten Ausstieg vorbereiten.

Die Abstimmung vom Dienstag verlängere die seit fast drei Jahren bestehende Unsicherheit weiterhin. Ob er, Barnier, enttäuscht sei? "Wir respektieren das Vereinte Königreich und seine Bürger, wir bleiben entschlossen, ruhig und geeint. Wir werden auch weiter gelassen sein und die Interessen aller EU-Bürger verteidigen."

12. März, 20.22 Uhr - Wieder abgelehnt

Dieser Deal ist tot, sagt Oppositionsführer Jeremy Corbyn. Soeben ist Theresa May im Unterhaus wieder gescheitert, 242 stimmten für, 391 gegen den Ausstiegsvertrag. Es geht also weiter. Der "Durchbruch", von dem die gesundheitlich schwer angeschlagene May bei ihrem nächtlichen Besuch in Straßburg gesprochen hatte, hat nicht gereicht.

12. März, 19.30 Uhr - Blick nach London

Den ganzen Tag über war natürlich auch hier im EU-Parlament in Straßburg der Brexit und die abendliche Abstimmung im Unterhaus eines der Hauptthemen. Die meisten haben inzwischen auf die Live-Streams auf ihren Laptops geschaltet, im Pressesaal läuft vor einem wachsenden Publikum eine Live-Übertragung auf einem großen Screen. Die Wetten laufen auf Ablehnung, wenn auch knapp.

Liveschaltung nach London. Die Spannung wächst...
Liveschaltung nach London. Die Spannung wächst... © Andreas Lieb

12. März, 1.30 Uhr - Letztes Aufgebot

Jetzt wissen wir mehr. In einer hochdramatisch wirkenden Last-Minute-Aktion ist die britische Premierministerin Theresa May in den Abendstunden von Dublin nach Straßburg gekommen, zur Geisterstunde verkündeten sie und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker einen "Durchbruch", was wenige Stunden vor der Abstimmung im britischen Unterhaus mehr als gelegen kommt.

Ob es wirklich der ersehnte Schnitt durch den gordischen Knoten ist, wird man sehen. Denn so wirklich klar ist zumindest in den späten Nachtstunden nicht, was nun Sache ist. Der entscheidende Satz, wonach Großbritannien einseitig aus dem Backstop aussteigen könne, wenn bis Ende 2020 keine Einigung erzielt werden kann, kam von May und überrascht tatsächlich, denn an sich ist das ja der Haupt-Knackpunkt für die EU; was das dann bedeutet, blieb sie uns zunächst noch schuldig. Und auch, ob die Formulierung wirklich korrekt ist. Da klingt die davor von Juncker über Twitter ausgesandte Erklärung weitaus plausibler: Die Vereinbarung biete Klarstellungen und "rechtliche Garantien" zum Brexit-Abkommen und zum umstrittenen Backstop. Den originalen Juncker-Text finden Sie hier. Juncker wies mehrmals deutlich darauf hin, dass sich am 585-Seiten-Vertrag gar nichts geändert habe

Die Labour-Partei erklärte postwendend, auf keinen Fall zuzustimmen, May sei neuerlich gescheitert. Die irische DUP will die neue Vereinbarung noch genau prüfen. Heute Abend wissen wir, obs was genutzt hat.

11. März, 19.30 Uhr - Wer sich zuerst bewegt

Inzwischen gilt es als bestätigt, dass Theresa May auf dem Weg nach Straßburg ist. Irgendwann später in der Nacht soll es dazu noch eine offizielle Stellungnahme geben, aber zunächst ist nicht einmal klar, wen genau sie für welche Gespräche treffen wird. Angeblich gibt May ein Statement ab, aber nicht im Gebäudekomplex des EU-Parlaments.

Laut "Daily Mail" kommt May direkt aus Irland - aber EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker müsse sich "zuerst bewegen"; dabei war noch nicht einmal klar, ob Juncker überhaupt schon in Straßburg ist. Und nicht nur er hatte zuletzt überaus deutlich festgestellt, dass es nun ausschließlich an den Briten liege, wie alles weitergeht.

Ob mehr als Kosmetik bei so einem Treffen herauskommt?

11. März, 16.30 Uhr - Kommt sie her?

Straßburg hat wieder seine Arbeit aufgenommen, im Parlamentsgebäude beginnt demnächst die vor-vor-letzte Sitzung vor den EU-Wahlen. Klar, der Brexit ist hier eines der Hauptthemen. Mit zunehmender Dramatik, die irische Außenminister Simon Coveney ausgelöst hat. Theresa May werde am Vorabend der Brexit-Abstimmung (also heute Abend - der neue Abstimmungsreigen beginnt ja am Dienstag) zu letzten Gesprächen nach Straßburg kommen. Bestätigt ist das nicht, aber immerhin tagt ja nicht nur das Parlament, sondern die gesamte Kommission auch hier. Die Hauptfrage bleibt natürlich: Wozu eigentlich? Das Wort "Backstop" kann kaum noch jemand aussprechen, ohne dabei die Fäuste zu ballen.

Dabei waren erst am Wochenende Gespräche ohne Fortschritt abgebrochen worden und die Kommission gab mit bereits leicht gereiztem Unterton bekannt, es werde vorerst keine weiteren Gespräche auf hoher Ebene geben. Ein EU-Vertreter: "Da ist nicht mehr viel Geduld oder guter Wille auf unserer Seite." May habe sich immer mehr selbst in eine Ecke gedrängt. "Selbst eine Verschiebung wird kein Ausweg aus der Sackgasse sein." 

Das Nachrichtenportal Politico sieht die Sache so: "Das ist die wichtigste Woche für den Brexit - seit letzter Woche."

10. März, 22.00 Uhr - Tage der Entscheidung

Der Brexit-Krimi hat in diesen Tagen wieder einige spannende Wendungen zu bieten, eine dreiteilige Serie gewissermaßen. Dienstag - Mittwoch - Donnerstag ist der Brexit zum gefühlt hundertsten Mal Thema im britischen Unterhaus und langsam wird es wirklich Zeit. Am 29. März ist offizieller Austrittstermin - und das ist in zweieinhalb Wochen...

Was steht also an? Am Dienstag will Theresa May ein weiteres Mal über den Vertrag abstimmen lassen. Ist beim ersten Mal trotz Verschiebung gescheitert, wird vermutlich auch diesmal so sein (außer es geschieht ein Wunder und eine ausreichende Zahl der Abgeordneten hat über Nacht eine Erleuchtung). Am Mittwoch wird über den "No Deal" abgestimmt; auch hier ist nicht zu erwarten, dass sich eine Mehrheit für den Untergang mit wehenden Fahnen findet. Am Donnerstag sodann geht es um eine Verschiebung des Brexit. Das ist denkbar; aber es bedarf der Zustimmung der EU-27 und ist auf jeden Fall bis längstens Juni möglich, wegen der EU-Wahl Ende Mai. Vor allem aber geht es nur dann, wenn May endlich einen konkreten Vorschlag macht, wozu es gut sein soll. Sonst wirds nix.

Der Brexit wird nicht nur das Außenministertreffen überlagern, das diesen Montag und Dienstag in Bukarest stattfindet, sondern auch die vorvorletzte Plenarsitzung des EU-Parlaments in Straßburg von Montag bis Donnerstag. Von dort aus wird man nicht nur die Entwicklung in London mitverfolgen, sondern parallel dazu weitere Vorkehrungen für den harten Brexit treffen. Wir sind dabei.

6. März, 18.00 Uhr - Stimmverhalten

Christoph Leitl, einst Wirtschaftskammerboss, ist nach wie vor Chef der "Eurochambres", der Dachgesellschaft der europäischen Wirtschaftskammer, und als solcher in Hochform. Er steht somit an der Spitze von rund 800 einzelnen Kammern, die zusammen 20 Millionen Unternehmen vertreten. Kein Wunder, dass diese mächtige Gruppe auch das EU-Parlament bzw. die EU-Wahlen genauestens unter die Lupe nimmt. Nun hat Leitl und sein Team eine neue Website vorgestellt, die allgemein zugänglich ist. Unter VoteWatch Europe (ein Unternehmen, das schon bisher ein Abgeordneten-Monitoring betreibt) bzw. einer Folgeseite ist es damit möglich, das Abstimmungsverhalten aller 751 EU-Abgeordneten in Bezug auf Wirtschaftsthemen nachzuverfolgen. Mit einer gewissen Unschärfe zwar (es kann ja bei bestimmten Themen auch Detailgründe geben, die das Abstimmungsverhalten beeinflussen) lassen sich die Abgeordneten gruppieren - nach Fraktion, Geschlecht, Nationalität usw. und das Stimmverhalten analysieren. Wenig überraschend: EVP-Mitglieder agieren demnach eher wirtschaftsfreundlich, Grüne eher nicht so. Interessante Einblicke zeigt eine Ländergrafik: Im Sinne der Wirtschaftstreibenden stimmen vor allem jene Länder, die im Osten liegen. Dass Großbritannien nicht einmal im Mittelfeld liegt, schreibt man dem eher trotzigen Stimmverhalten der UKIP-Abgeordneten zu. Absolutes "Schlusslicht" in diesem Ranking ist Griechenland.

Im Sinne der Wirtschaftstreibenden stimmen vor allem Abgeordnete aus dem Osten der EU. Schlusslicht ist Griechenland.
Im Sinne der Wirtschaftstreibenden stimmen vor allem Abgeordnete aus dem Osten der EU. Schlusslicht ist Griechenland. © Screenshot

5. März, 10.30 Uhr - Fidesz und die Folgen

Viktor Orban hat es geschafft. Der ungarische Premier und Chef der rechtsnationalen Regierungspartei Fidesz hat keine Gelegenheit zur Provokation ausgelassen und sammelt damit in seinem Land einen Punkt nach dem anderen. Die schmutzige Kampagne gegen Soros, Juncker und demnächst Timmermans bringt ihm Stimmen für den EU-Wahlkampf - Stimmen, auf die die EVP-Parteifamilie, zu der die Fidesz (noch) gehört, nur ungern verzichten möchte. Lange hat man beschwichtigt und zugesehen; als es um den Platz des EVP-Spitzenkandidaten ging, hat der später unterlegene Alexander Stubb von Beginn an mit dem Ausschluss der Fidesz gedroht, während der als Sieger hervorgegangene Manfred Weber eher auf den Dialog mit Orban setzte.

Inzwischen ist ja bekannt, dass am 20. März, einen Tag vor dem nächsten EU-Gipfel, in der EVP über das weitere Vorgehen abgestimmt wird, zumal Orban erst am Wochenende seine Kritiker in den eigenen Reihen als "nützliche Idioten" klassifizierte. Die Frage ist nun: Ausschluss oder Suspendierung? Die ÖVP ist eher für die gemäßigte, zweite Variante, was vermutlich in diesem Fall der bessere Weg ist. Je härter man mit Orban umspringt, desto eher wird sein Status als "Märtyrer im Kampf gegen Brüssel" gefestigt. Und, wir haben das berichtet, das rechte Lager freut sich schon öffentlich auf einen Mitstreiter von einem Kaliber Orbans. Er würde Orban in seiner Fraktion "Europa der Nationen und der Freiheit" (ENF) "mit offenen Armen empfangen", sagte etwa FPÖ-EU-Abgeordneter Harald Vilimsky in der heutigen "Presse". Es deutet also vieles darauf hin, dass das "Problem Orban" erst nach den EU-Wahlen und den folgenden Entscheidungen ernsthaft angegangen wird.

3. März, 20.00 Uhr - Entspannung?

Am Wochenende waren im Brexit-Wirrwarr erstmals wieder versöhnliche Töne wahrnehmbar. Etwa von Michel Barnier, der meinte, man könne noch an weiteren Klarstellungen zum Backstop-Limit feilen. In London sagte Graham Brady von der regierenden Konservativen Partei, das Land sei müde von der Unschlüssigkeit und Verzögerung". "Wenn der richtige Kompromiss gefunden wird, sollten wir uns hinter Premierministerin Theresa May stellen und ihr bei unserem Austritt aus der EU am 29. März helfen." Sogar die Hardliner rund um Jacob Rees-Mogg zeigten Entgegenkommen und legten ein Papier vor, das angeblich auch mit der irischen DUP abgesprochen ist - sollten die Bedingungen erfüllbar sein, will man sich hinter May stellen.

Am wahrscheinlichsten ist derzeit diese Variante: Der Brexit wird verschoben - aber nur vom 29. März auf Ende Juni, unmittelbar bevor die konstituierende Sitzung des neu gewählten Europaparlaments ansteht. Somit wird ausgeschlossen, dass sich die Briten noch einmal (sinnlos) an den EU-Wahlen beteiligen und es wird die nötige Zeit gewonnen, um doch noch alles unter Dach und Fach zu bringen. Mitte März finden in London die entscheidenden Sitzungen statt, dann wissen wir mehr.

28. Februar, 17.30 Uhr - Immer komplizierter

Wer gedacht hatte, der Brexit an sich sei schon eine komplizierte Angelegenheit, der hat wohl nicht die irrwitzige Zuspitzung in diesen Tagen im Sinn gehabt - es ist, so lernen wir, alles noch steigerungsfähig. Gerade einmal vier Wochen trennen uns vom Austrittsdatum 29. März, und klar ist genau: nichts. Treten sie aus mit Vertrag? Treten sie aus ohne Vertrag? Treten sie irgendwann später einmal aus? Oder doch nicht? Wer weiß...

Das Europaparlament weiß zumindest eines, wie ÖVP-Abgeordneter Othmar Karas (der im beginnenden Wahlkampf schon von einem Termin zum anderen eilt) in Brüssel berichtet: "Solange es offiziell keine Verschiebung gibt, wird der Ausstiegsvertrag wie vorgesehen vom Parlament ratifiziert." Das soll in der zweiten März-Sitzung passieren, die Vorbereitungen dafür beginnen aber schon in der ersten Sitzung in eineinhalb Wochen. Damit, so Karas, werde auch klargestellt, dass Nachverhandlungen nicht möglich sind.

Das sieht er so wie auch Chefverhandler Michel Barnier, der heute in Wien sagte, eine Verlängerung der Verhandlungszeit sei nach wie vor möglich, es stelle sich aber die Frage "wofür und wozu". Technisch gesehen einfach ist eine Verlängerung um einige Wochen bis maximal zur EU-Wahl am 26. Mai (etwa, um letzte strittige Details zu klären). Wirklich verrückt aber wird es, wenn von einer Verlängerung über die Wahlen hinaus die Rede ist. Dann müsste nämlich eigentlich Großbritannien an der EU-Wahl teilnehmen.

Aber falls UK das nicht tut - wären dann die EU-Wahlen ungültig? Experten sind der Auffassung, dass das nicht sein kann. Selbst wenn jenseits des Ärmelkanals nicht gewählt wird, obwohl die Briten formal noch Mitgliedsland sind, könnte sich das neue Parlament konstituieren und seine Arbeit aufnehmen - halt ohne die 73 MEPs von der Insel. Die Idee, dass die Briten "Beobachter" anstelle von richtigen Abgeordneten schicken (das kommt an sich Staaten zu, die kurz vor der Aufnahme in die EU stehen), kann demnach nicht funktionieren.

Und was, wenn der tatsächliche Austritt erst im nächsten Jahr stattfindet? Dann gibt es ab Juli wie bisher 751 Abgeordnete und ab dem Austritt erst die neue Anzahl 705. Das hieße in dem Fall auch für einen österreichischen Abgeordneten, auf der Wartebank Platz zu nehmen. Und wäre an Kuriosität kaum zu überbieten.

25. Februar, 18.00 Uhr - Briefe an Vestager

Die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager gehört zu jenen Spitzenleuten in Brüssel, die eigentlich über jeden Zweifel erhaben sind. Ihre harte Linie besonders gegenüber den US-Megakonzernen (Stichwort: 4,3 Milliarden Euro Strafe wegen der Marktdominanz von google) hat ihr viel Sympathie eingebracht und sie wird nach wie vor als mögliche Spitzenkandidatin der Liberalen für die Nachfolge von Jean-Claude Juncker für das Amt des Kommissionspräsidenten genannt. Doch jetzt hat es sich die Dänin ausgerechnet mit den Steirern verscherzt. Ihre Behörde stellte, wie wir vor einigen Wochen exklusiv berichteten, dem Nidec-Werk in Fürstenfeld (Hersteller von Kompressoren für Haushaltsgeräte, früher Zanussi) keine gute Zukunft in Aussicht. Der japanische Nidec-Konzern arbeitet an einem Merger mit der zu Whirlpool gehörenden Embraco-Gruppe und die Kommission hat wegen drohender Marktbeherrschung die Bedingung gestellt, dass das Fürstenfelder Werk verkauft wird - was, wie man in der Steiermark fürchtet, die rund 400 Arbeitsplätze massiv gefährden würde.

Hinter den Kulissen versucht man nun schon seit geraumer Zeit, Vestager bzw. ihre Behörde umzustimmen. Es hat ein wildes Briefeschreiben eingesetzt. Post bekam die Kommissarin inzwischen von Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer, Wirtschaftslandesrätin Barbara Eibinger-Miedl, Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck und dem EU-Abgeordneten Lukas Mandl, die allesamt auf die Gefahr hinweisen und um ein Überdenken der Argumente ersuchen. Nun kam ein konkreter Vorstoß, wie berichtet, auch vom EU-Abgeordneten Othmar Karas, der eine parlamentarische Anfrage an Vestager richtete. Diese muss sie nun innerhalb von sechs Wochen beantworten. Karas: "Ich will, dass die Auswirkungen der anstehenden Entscheidung auf Wachstum, Beschäftigung und Investitionen in der Region besser berücksichtigt werden. Karas will von der EU-Kommission aber auch generell wissen, wie die EU-Behörde die Wettbewerbsfähigkeit Europas bei der Auslegung des Wettbewerbsrechts berücksichtigt, und wie sie das Entstehen neuer europäischer Weltmarktführer unterstützen will. 

Karas, Vestager: Kampf gegen den sinnlos erscheinenden Verkauf des steirischen Nidec-Werks
Karas, Vestager: Kampf gegen den sinnlos erscheinenden Verkauf des steirischen Nidec-Werks © Stavros Tzovaras, EPP

Die Entscheidung der Kommission soll bis 15. April erfolgen.

22. Februar, 20.30 Uhr - Zu lange gewartet

Ausgerechnet Deutschland. Die EU-Wahlen sind ein weltweit einzigartiger Vorgang, gilt es doch, in 27 (oder doch 28, wer weiß) Ländern Kandidaten für ein transnationales Parlament zu wählen, dies aber ohne transnationale Listen. Was schon für das Prinzip der Spitzenkandidaten nicht ganz einfach ist, macht auch auf anderen Ebenen Probleme. So gelang es immer wieder Spaßlisten oder extremen Gruppen, ein Mandat zu ergattern (und damit nicht selten Schindluder und Unfug in Straßburg und Brüssel zu treiben). Um hier einen Riegel vorzuschieben, haben sich die Mitgliedsländer letztes Jahr darauf geeinigt, eine Hürde einzuführen. Mindestens zwei, höchstens fünf Prozent sollte sie sein, damit nur ernst zu nehmende Parteien mit einem Mindest-Background ein Mandat erhalten können.

Wie üblich, muss so etwas in jedem Land ratifiziert werden. Alle größeren Länder mit mehr als 35 Mandaten haben das gemacht, bloß zwei nicht: Spanien und Deutschland. Wie der "Spiegel" berichtet hat, haben die deutschen Grünen, die für eine Zweidrittelmehrheit nötig sind, nicht mitgespielt. Sie berufen sich auf die Leitlinien der "Venedig-Kommission" des Europarates, die unter anderem besagen, dass zwölf Monate vor einer Wahl keine grundlegenden Änderungen des Wahlrechts mehr kommen sollen. Derzeit besetzen diverse Kleinstparteien sieben der 96 deutschen Sitze im Europaparlament. Das könnte sich also auch in der kommenden Periode so halten. Österreich hat übrigens eine Sperrklausel von vier Prozent, wegen des Wahlverfahrens ist für die Erringung eines Mandats aber ein noch höherer Wert erforderlich.

18. Februar, 18.00 Uhr - Planspiele

Vielleicht sind Sie heute schon einmal auf diese Meldung gestoßen: 97 Tage vor den EU-Wahlen hat das EU-Parlament eine erste Hochrechnung veröffentlicht, wie die Sitzverteilung aussehen könnte. In der Planung geht man nur von einem einzigen Szenario aus - nämlich, dass der Brexit (wie auch immer) passiert und das neue Parlament ohne die Briten auskommt. Das heißt unter anderem eine Reduzierung der Sitze von derzeit 751 auf 705. Österreich bekommt mit 19 einen mehr als jetzt. Auf weitere Spekulationen (etwa eine Verlängerung der Verhandlungszeit, die über die Wahlen hinausginge), will man sich auf keinen Fall einlassen, sagte Kommunikations-Generaldirektor Jaume Duch Guillot. Die Presse- und Informationsabteilung startet damit eine Info-Offensive, die die Wahlen begleitet. Alle zwei Wochen (ab Mai dann wöchentlich) soll eine Umfrage über die mögliche Sitzverteilung veröffentlicht werden, die sich aus einer großen Menge von Umfragen und Studien in allen Mitgliedsländern speist.

Der ersten dieser Prognose zufolge käme die EVP auf 183 Sitze, die Sozialdemokraten auf 135 und die Liberalen auf 75 Sitze. Wie schon seit Längerem diskutiert würde sich somit eine große Koalition wie bisher nicht mehr ausgehen, die EVP und die S+D müssten eine Einigung mit Liberalen oder Grünen (Prognose: 46 Sitze) suchen.

Erste Hochrechnung - weitere werden folgen
Erste Hochrechnung - weitere werden folgen © EP

In Österreich werden der ÖVP derzeit 27 Prozent prognostiziert, der SPÖ 26 Prozent, der FPÖ 22 Prozent, den Neos 9 Prozent, den Grünen 8 Prozent und der Liste Jetzt 3 Prozent. Die Stimmung gegenüber der EU ist in Österreich deutlich besser als bei der letzten Wahl, so das Eurobarometer: 40 Prozent der Befragten in Österreich antworteten, die EU habe im Allgemeinen ein positives Image, 37 Prozent bewerteten es als neutral und 22 Prozent als negativ

Zulegen würden nach der Umfrage die beiden rechten europakritischen Gruppierungen und zwar von zehn auf 14 Prozent. Die fremdenfeindliche italienische Lega könnte mit 21 Sitzen rechnen. Die AfD käme auf elf, die rechtsradikale Rassemblement National von Marine Le Pen in Frankreich auf sechs Sitze. Von einem "Kampf um Platz zwei", wie neulich in Straßburg von FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky formuliert, ist demnach keine Rede. Aber bis Ende Mai kann sich vieles ändern.

13. Februar, 19.00 Uhr - Nichts geht mehr

In Straßburg wird im EU-Parlament getagt, was das Zeug hält; im 400 Kilometer entfernten Brüssel geht inzwischen nichts mehr. Es gab - wieder einmal - einen Generalstreik. Busse, Züge, Flugzeuge, U-Bahnen und auch sonst allerhand sind den ganzen Tag lahmgelegt. Die Gewerkschaften fordern höhere Löhne und Pensionen sowie eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Allein am Flughafen Zaventem fielen fast 600 Flüge aus (darunter auch alle Österreich-Verbindungen), 60.000 Passagiere waren betroffen. In Belgien nimmt man solche Tage dennoch recht unbekümmert in Kauf. Jene, bei denen es möglich ist, machen mit ihrem Arbeitgeber Telearbeit aus, andere versuchen mit eigenen Fahrzeugen zur Arbeit zu kommen - oder eben nicht.

Aber zurück nach Straßburg. Gut 100 Tage sind es noch bis zu den EU-Wahlen und langsam beginnt die gigantische technische und organisatorische Maschinerie sichtbar zu werden, die zur Abwicklung nötig ist. Natürlich gibt es allerhand Hürden zu meistern; so wird etwa in den Niederlanden schon am 23. Mai gewählt, in Irland am 24., in Lettland, Malta und Slowakei ebenso wie in Tschechien am 25. und im Rest der Länder am 26. Bis zuletzt wird viel offen sein, da in Italien die Wahllokale am Sonntag sehr spät schließen.

Von Montag an werden laufend Umfragen veröffentlicht, die mögliche Sitzverteilungen abbilden und es wurden mehrere Websites freigeschaltet. Unter www.european-elections.eu geht es um die Wahlen an sich und die Arbeit des Parlaments, eine Kampagne für eine höhere Wahlbeteiligung läuft unter www.thistimeimvoting.eu und www.das-tut-die-eu-fur-mich.eu soll den Bürgern erklären, was die EU in ihrem Umfeld für sie tut.

12. Februar, 20.00 Uhr - Häusernamen

Während im Parlament heftig diskutiert wird - gerade eben war der italienische Premier Giuseppe Conte da und musste sich wegen des Budgets und vor allem wegen der Abweisung von Flüchtlingsschiffen so einiges anhören - muss auch noch Zeit sein für anderes. Zum Beispiel für eine der Eigenheiten im EU-Getriebe, Sälen und vor allem Gebäuden Namen zu geben. Kann natürlich hilfreich sein, wenn man etwas sucht, ist aber auch eine Gelegenheit, historischen Persönlichkeiten etwas Ehre zuteil werden zu lassen.

Und so darf man - aus dem Straßburger Louise-Weiss-Gebäude, kurz LOW -  feierlich vermelden, dass ein EU-Gebäude am Brüsseler Square de Meeûs (deshalb bisher unter dem Kürzel SQM verwaltet) von nun an nach Helmut Kohl benannt ist, dem früheren deutschen Kanzler, dessen Verdienste um die deutsche Einheit und die Einführung des Euro damit in Erinnerung gerufen werden. Das bisherige Atrium (ATR) neben dem EU-Parlament trägt ab sofort den Namen eines berühmten Österreichers: Stefan Zweig. Die Umbenennung ging auf eine Initiative des SPÖ-Abgeordneten Josef Weidenholzer zurück.

11. Februar, 19.00 Uhr - Straßburg und Fußball

Mit dem Auto von Graz nach Brüssel; weite Strecke, aber in einem halben Tag gut zu schaffen. Auf dem Weg zur deutschen Grenze berichtet der Verkehrsfunk von stundenlangen Wartezeiten an den Grenzübergängen in Salzburg und Tirol - wegen der Grenzkontrollen. In Suben/Passau hingegen: freie Fahrt, keine Wartezeit. Im Schritttempo an den Grenzbeamten vorbei und man denkt sich: das darf doch alles nicht wahr sein im geeinten Europa.

Jetzt aber wieder Straßburg, das Parlament will noch viele Dossiers auf Kurs bringen, bevor es in die Zielgerade geht. Heute Abend Frontex zum Beispiel, die Empfehlung geht klar auf Aufstocken (vielleicht noch ein, zwei Jahre vor 2027 auf 10.000 Mann). Ach ja, die Wahlen: Am Dienstag Vormittag steht auf dem Terminkalender von Parlamentspräsident Antonio Tajani eine Unterschrift. Er unterzeichnet ein "memorandum of understanding" mit der FIFPro Europe. Schon davon gehört? Der internationale Profi-Fußballerverband vertritt rund 65.000 Spieler. Das gemeinsame Engagement soll helfen, die Wahlbeteiligung bei den EU-Wahlen am 26. Mai zu erhöhen. Das Match um Europa hat ja längst schon begonnen.

7. Februar, 22.00 Uhr - Dublin calling

In der endlosen Brexit-Diskussion waren bisher die Verhandlungspartner recht leicht auszumachen. Auf der einen Seite Großbritannien, vertreten durch Theresa May und wechselnde Unterhändler, auf der anderen Seite die Europäische Union mit Jean-Claude Juncker und Donald Tusk, vor allem aber konzentriert in der Person von Chefverhandler Michel Barnier. Die EU-27 sind sich bis heute einig, einmal abgesehen von einzelnen Wortmeldungen - etwa zuletzt aus Polen oder aus Deutschland -, die aber bestenfalls als Kommentare zählen. Da half auch nicht, dass May immer wieder versuchte, die Phalanx der Staats- und Regierungschefs durch bilaterale Gespräche aufzuweichen.

Aber weil halt zumindest nach außen hin der "Backstop", die Notfallslösung, mit der im Falle des (ohnehin unwahrscheinlichen) Falles eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland verhindert werden soll, zur alles entscheidenden Frage geworden ist, ist die "Grüne Insel" in den Fokus geraten - und damit auch Regierungschef Taoiseach Leo Varadkar.

Diesem ist natürlich am meisten daran gelegen, dass ihm die übrigen EU-Länder zur Seite stehen; er wird also wohl kaum auf Angebote aus London einsteigen, so verlockend sie auch sein mögen. May probierts trotzdem. Nachdem sie erst am Donnerstag ein weiteres Mal in Brüssel war und wieder abgeblitzt ist, will sie sich am Freitag doch wieder mit Varadkar treffen - also beeilte sich dieser, noch schnell am Mittwoch eine gemeinsame Erklärung mit Juncker zu veröffentlichen, in der zum x-ten Mal festgehalten wird, dass die EU-27 bei ihrer Linie bleiben werden und nicht im Traum daran denken, daran zu rütteln. Da kann May noch so oft zum Tee vorbeikommen. Schützenhilfe bekam Varadkar (der übrigens von Beruf Arzt ist und dessen Mutter aus Irland stammt, der Vater aus Indien) auch gleich noch von Philippe Lamberts, dem Vorsitzendem der Grünen/EFA im Europäischen Parlament und Mitglied der Brexit-Steuergruppe, der heute in Dublin seine Aufwartung machte.

Steht immer wieder im Mittelpunkt: Taoiseach Leo Varadkar
Steht immer wieder im Mittelpunkt: Taoiseach Leo Varadkar © AP

Vielleicht sollte sich May aber lieber auf ihr eigenes Parlament konzentrieren. Oppositionsführer Jeremy Corbyn hat ja einen aus fünf Punkten bestehenden Vorschlag gemacht, wie man dem Schlamassel doch noch entkommen könnte. Der Labour-Führer fordert unter anderem, dass das gesamte Vereinigte Königreich in einer Zollunion mit der EU bleibt - "mit gemeinsamen Außenzöllen und einem Abkommen über die Handelspolitik", das Großbritannien ein Mitspracherecht bei künftigen Handelsabkommen der EU sichere. Außerdem verlangt Corbyn eine direkte Anbindung seines Landes an den gemeinsamen Binnenmarkt mit "gemeinsamen Institutionen und Verpflichtungen".

In Brüssel findet das umgehend Unterstützung. Das Problem dabei: Großbritannien hätte dann zwar die gleichen Verpflichtungen wie jetzt, aber keine Rechte - es wäre ja kein EU-Mitglied mehr. Was die Idee des Brexit ins aberwitzig Absurde führen würde. Aber das ist sie jetzt auch schon.

1. Februar, 17.00 Uhr - Neue Spielregeln

Zwei spannende Themen gab es diese Woche im EU-Parlament, mit unterschiedlichem Ausgang. So haben sich die Abgeordneten für strengere Regeln entschieden, was den Umgang mit den Lobbyisten angeht. Die neuen Transparenzregeln sehen vor, dass alle Ausschussvorsitzenden und die sogenannten Berichterstatter in Gesetzgebungsverfahren auflisten, welche Lobbyisten sie für ihre Arbeit treffen. Bisher waren diese Angaben freiwillig. Lobbyisten, von denen es allein in Brüssel gut 25.000 gibt, sind als Begleitung der politischen Prozesse durchaus wichtig, schließlich geht es ja um das Sammeln von Fakten und Standpunkten. Um trotzdem dem Vorwurf der Einflussnahme zu entkräften, sollen also alle mit offenen Karten spielen. Umso kurioser mutete in diesem Zusammenhang ein Antrag der Christdemokraten an: Über die neuen Transparenzregeln wurde nämlich geheim abgestimmt. Sozialdemokraten und Grüne regten sich entsprechend auf.

Ein zweiter Vorstoß erwies sich als Rohrkrepierer. Dabei ging es um Scheinfraktionen. Sozialdemokraten, EVP und Liberale wollten verhindern, dass Parteien nur aus finanziellen und machtpolitischen Gründen eine Fraktion gründen, ohne genügend politische Gemeinsamkeiten zu haben. Gemünzt war das ganz klar auf das Beispiel der rechten EFDD-Fraktion, in der sich unter anderem die populistische Fünf-Sterne-Bewegung aus Italien, AfD-Chef Jörg Meuthen oder die europafeindliche Ukip aus Großbritannien versammeln. Die S+D sprach gar von Missbrauch von Steuergeldern: "Es gab in den fünf Jahren dieser Legislaturperiode keine gemeinsamen Initiativen, kein gemeinsames Programm oder gemeinsame politische Sitzungen", so Europaabgeordneter Jo Leinen. Eine Erhebung hatte ergeben, dass die EFDD-Mitglieder in weniger als der Hälfte aller Fälle (48 Prozent) einheitlich abgestimmt hatten - der mit Abstand geringste Wert im Parlament.

Zwar stimmten die Abgeordneten nun dafür, dass künftig alle Fraktionsmitglieder ihre politische Zusammengehörigkeit schriftlich erklären müssen. Doch ein zweiter Vorschlag bekam keine Mehrheit: Die Fraktionschefs hätten dadurch die Möglichkeit bekommen, das Parlament darüber abstimmen zu lassen, ob eine Fraktion als solche überhaupt gelten kann. Fraktionen erhalten im Laufe einer Legislaturperiode mehrere Millionen Euro aus Steuern, etwa zur Bezahlung ihrer Mitarbeiter. Zur Bildung einer Fraktion braucht es mindestens 25 Abgeordnete aus sieben Ländern.

29. Jänner, 14.00 Uhr - Die Rolle des EU-Parlaments

Das britische Unterhaus macht also weiter mit seinen aberwitzigen Charaden und immer noch weiß kein Mensch, was das Parlament eigentlich will. Ganz im Gegensatz zum EU-Parlament, das heute, Mittwoch, Nachmittag in seiner aktuellen Sitzung einmal mehr die aktuelle Brexit-Lage diskutieren wird. Während Theresa May also ein weiteres Mal gegen die Wand läuft und versucht, den fertig ausgehandelten Vertrag noch einmal aufzuschnüren (unklar, mit welchem Ziel) und die Kommission bzw. der Rat dabei bleibt, dass das ein Ding der Unmöglichkeit ist (allerdings mit einzelnen Ausreißern, was vor einigen Wochen noch undenkbar gewesen wäre) scheint im Augenblick kaum jemand davon Notiz zu nehmen, dass ja auch dem EU-Parlament eine entscheidende Rolle zukommt.

Der Vertrag muss schließlich auf beiden Seiten des Ärmelkanals ratifiziert werden. Das ausgehandelte Werk findet die Zustimmung der Parlamentarier, die es auch in Straßburg in einer der nächsten Sitzungen verabschieden wollen - eine "gmahte Wiesn" sozusagen auf EU-Seite. Nicht aber, wenn daran nachträglich herumgefeilt wird. Das hat dieser Tage Guy Verhofstadt, Vorsitzender der Brexit-Steuergruppe des Parlaments, unmissverständlich klargemacht. Am Backstop wird nicht gerüttelt - da hilft es also überhaupt nichts, wenn sich die Briten und die restlichen Mitgliedsländer doch noch auf neue Bedingungen einigen würden; die Volksvertreter steigen darauf nicht ein.

24. Jänner, 13.00 Uhr - Blick nach London

Das wichtigste zuerst: In Belgien hat es geschneit. Fast fünf Zentimeter, wenn man großzügig rechnet, und wie immer in solchen Fällen hat es gereicht, dass der Straßenverkehr quasi zusammengebrochen ist und es im Zugsverkehr zu ausgedehnten Behinderungen kam. Macht nix, alles ist jetzt weiß wie es sich gehört im Winter und angeblich kommt sogar noch ein bissl nach.

Nett anzusehen: Winterstimmung in einem Brüsseler Vorort
Nett anzusehen: Winterstimmung in einem Brüsseler Vorort © Andreas Lieb

Im Übrigen sind alle Blicke nach wie vor nach London gerichtet. Ob sich bis Dienstag viel Neues tut an der Themse, ist eher zu bezweifeln. Erwähnenswert vielleicht, dass EU-Chefverhandler Michel Barnier zuletzt ein Detail hervorgehoben hat, das vielleicht im allgemeinen Brexit-Chaos nicht genügend Beachtung gefunden hat. Der Austrittsvertrag mitsamt dem Backstop, an dem jetzt alles zu hängen scheint, seien eigentlich gar nicht die Dinge, auf die es ankommt, so Barnier in einem Interview mit dem "Luxemburger Wort". Vielmehr gehe es um die Art der zukünftigen Beziehungen zwischen UK und EU - und die müssen im Detail ja sowieso noch verhandelt werden. Warum man beim Backstop so hart bleibt, erklärt Barnier so: "Stellen Sie sich vor, Sie schließen eine Versicherung für Ihr Haus oder Ihre Wohnung ab, die aber nur fünf Jahre gilt - was machen Sie, wenn im sechsten Jahr ein Unglück passiert?"

Die Geschichte des Brexit, von den politischen Anfängen in Großbritannien, ist eines der Themen eine neuen dreiteiligen BBC-Doku, die gestern beim Neujahrsempfang des Rats-Pressedienstes vorgeführt wurde. Die beiden anderen Folgen beschäftigen sich mit der Griechenland-Krise und der Migrationskrise. Viele der damals und heute noch involvierten Personen (darunter Donald Tusk, Jean-Claude Juncker und zahlreiche Staats- und Regierungschefs) sprechen sehr offen darüber, wie sich die Dinge entwickelt haben und was hinter verschlossenen Türen besprochen wurde. Mitunter in bemerkenswert direkten Worten (was im Pressesaal des Rates immer wieder - trotz der ernsten Themen - zu schallendem Gelächter führte). "Inside Europe: 10 Years of Turmoil" wird nach der Erstausstrahlung in der BBC auch in zahlreichen anderen europäischen Sendern zu sehen sein. Eine Empfehlung.

Erstaufführung der BBC-Doku im Ratsgebäude: Regisseurin Tania Rakhmanova, Rat-Pressechef Paul Reiderman, Produzentin Norma Percy
Erstaufführung der BBC-Doku im Ratsgebäude: Regisseurin Tania Rakhmanova, Rat-Pressechef Paul Reiderman, Produzentin Norma Percy © Andreas Lieb

22. Jänner, 14.30 Uhr - Kultureller Erfolg

Die österreichische Ratspräsidentschaft ist vorüber, der kulturelle "Nachhall" noch nicht. Denn im vergangenen Halbjahr war der Vorsitz willkommener Anlass für einen kulturellen Schwerpunkt in Brüssel, der unter anderem dem Engagement des Österreichischen Kulturforums Brüssel unter Leitung von Marina Chrystoph zuzuschreiben ist. So gastierten unter anderem das Klangforum Wien, das Wolfgang Muthspiel Quintet, die Wiener Symphoniker oder die Wiener Philharmoniker in Brüssel, es gab eine Lesung von Arno Geiger und Auftritte von Maki Nawekawa (Ars Electronica Linz) oder des Hagen Quartett.

Zu einem absoluten Publikumserfolg wurde aber eine Ausstellung im Kulturzentrum Bozar, die am Wochenende ihre Pforten schloss - bis Freitag zählte man bei "Beyond Klimt" mehr als 93.000 Besucher. Die Ausstellung beschäftigte sich mit österreichischer Kunst aus den Jahren 1914 bis 1938 und bezieht somit auch Werke aus dem Ende der Monarchie mit ein. Rund 80 Künstler kamen vor, neben Klimt auch Oskar Kokoschka, Koloman Moser, Albin Egger-Lienz, Egon Schiele, Laszlo Mohaly-Nagy, Frantisek Kupka oder Alfred Kubin. Ein Streifzug vom Jugendstil über Impressionismus, Surrealismus, Konstruktivismus bis Bauhaus, mit Leihgaben des Belvedere, der Ungarischen Nationalgalerie und privater Sammler.

Künstler setzten sich in der Zwischenkriegszeit besonders mit der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung auseinander - und wurden so zum Feindbild der Nazis
Künstler setzten sich in der Zwischenkriegszeit besonders mit der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung auseinander - und wurden so zum Feindbild der Nazis © Andreas Lieb

Begeistert vom Publikum angenommen: Frederik Bakers Virtual-Reality-Installation "Klimt`s Magic Garden", eine dreidimensionale Adaption des berühmten Fries im Brüsseler Palais Stoclet, in das man via 3-D-Brille eintauchen kann wie als Besucher eines fernen Planeten - eine Leihgabe des Wiener MAK.

Virtual-Reality-Installation: "Klimt`s Magic Garden" aus dem Wiener MAK
Virtual-Reality-Installation: "Klimt`s Magic Garden" aus dem Wiener MAK © Andreas Lieb

18. Jänner, 18.30 Uhr - Ziemlich beste Freunde

Zurück in Brüssel. Eine kurze Rückschau auf Straßburg sei noch gestattet: Parlamentspräsident Antonio Tajani lud die Journalisten zum Neujahrsempfang. Kurze Ansprache, dichtes Gedränge, Hauptdiskussionsthema: Brexit, was sonst.

Umringt von Journalisten: Parlamentspräsident Antonio Tajani beim Neujahrsempfang
Umringt von Journalisten: Parlamentspräsident Antonio Tajani beim Neujahrsempfang © Andreas Lieb

Um den Brexit war es auch bei einem Hintergrundgespräch gegangen, das rasch zur Pressekonferenz mutierte: Kanzler Sebastian Kurz und EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber sprachen gemeinsam über die Brexit-Möglichkeiten und die EU-Wahlen, beide sind dagegen, dass es eine Fristverlängerung für Großbritannien über die Wahlen hinaus gibt. Kurz und Weber verstehen sich blendend (der Bayer war auch Gast des Kanzlers beim Neujahrskonzert) und das ist eine zukunftsträchtige Allianz: Weber hat ja beste Chancen, Nachfolger von Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident zu werden. Flankiert wurden die beiden von Staatssekretärin Karoline Edtstadler und Familienministerin Juliane Bogner-Strauß, die beide häufig in Straßburg und Brüssel als Ratsvorsitzende im Einsatz waren.

Besonders Edtstadler hatte sich als Vorsitzende in fünf Plenartagungen verdient gemacht; auf die Frage, ob sie nicht doch für die EU-Wahlen kandidieren wolle (als Richterin für den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hatte sie schon einige Zeit in Straßburg gelebt und immer wieder betont, wie schön es dort ist) ließ sie erneut durchklingen, dass sie nicht zur Verfügung stehe: "Sie kennen meine Antwort, ich fühle mich in meiner jetzigen Funktion sehr, sehr wohl." Auch Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger, die ja bereits ein Mandat innehatte, hat offiziell schon abgewunken. Es sieht also danach aus, als würde ein weiteres Mal Othmar Karas als Hauptakteur auf der Liste sein (die ÖVP will ja einen Vorzugsstimmenwahlkampf führen, deshalb ist die Reihung nicht im Vordergrund). Paul Rübig und Heinz Becker sind ja fix nicht mehr dabei (für Rübig dürfte Angelika Winzig nachfolgen), der umtriebige Niederösterreicher Lukas Mandl voraussichtlich schon, ebenso wie die Steirerin Simone Schmiedtbauer, derzeit noch Bürgermeisterin in Hitzendorf. Claudia Schmidt, als Salzburgerin Repräsentantin des "Westens", könnte sich einem weiteren Kandidaten aus Tirol stellen müssen. Sieht so aus, als würde die Liste zu Beginn der neuen Woche offiziell präsentiert - oder doch erst später, in der Partei macht man ein großes Geheimnis daraus.

Edtstadler, Kurz, Weber, Bogner-Strauß: Gemeinsamer Auftritt in Straßburg
Edtstadler, Kurz, Weber, Bogner-Strauß: Gemeinsamer Auftritt in Straßburg © Andreas Lieb

Wie es mit allen in Frage kommenden Akteuren aussieht, wenn es um den Job eines EU-Kommissars geht, ist eine andere Geschichte. Wie berichtet, will der amtierende Erweiterungskommissar Johannes Hahn erst nach den EU-Wahlen darüber reden. Karas wurde immer wieder als möglicher Kandidat genannt, auch Edtstadler und Köstinger kämen infrage.

Bei den anderen Parteien ist ja schon Vieles klar. An der Spitze der Listen stehen Claudia Gamon für die Neos, Andreas Schieder für die SPÖ (die bisherige EU-Delegationsleiterin Evelyn Regner ist auf Platz zwei, die übrigen SPÖ-Abgeordneten - Josef Weidenholzer, Eugen Freund, Karoline Graswander-Hainz und Karin Kadenbach - stehen vor der Ablöse), Werner Kogler für die Grünen und Harald Vilimsky für die FPÖ. Der Steirer Georg Mayer ist blauer Bundesland-Spitzenkandidat und wird somit ebenfalls in Brüssel bzw. Straßburg bleiben. Wer Lust auf einen Abgeordnetenjob hat, könnte sich eventuell bei der Liste Jetzt (früher Liste Pilz) melden, sie ist noch auf der Suche; genannt wurde zuletzt immer wieder "Urgestein" Johannes Voggenhuber, der sein EU-Mandat bei den Grünen vor zehn Jahren an Ulrike Lunacek verlor.

16. Jänner, 10.00 Uhr - Der Tag danach

Seit 8.30 Uhr läuft im EU-Parlament in Straßburg die Brexit-Debatte, die mitunter groteske Züge annimmt. Nigel Farage, "Ober-Brexiteer", hat gerade EU-Chefverhandler Michel Barnier etwas zugestanden: "Sie haben uns dorthin gebracht, wo Sie uns wollten." Falls es zu einer Verlängerung der Verhandlungen komme, werde in Großbritannien ein wilder Europawahlkampf losgehen. Farage: "Wenn Sie uns in eine Ecke drängen, springt ein Löwe auf Sie zu!" Die ENF-Abgeordnete Janice Atkinson fantasiert von den tollen Beziehungen der Briten mit den USA und schließt mit den Worten: "Großbritannien wird wieder groß werden."

Lösungsvorschläge hat natürlich keiner, im Grunde ist sich das gesamte Parlament einig, dass es ausschließlich an den Briten liegt, wie es weitergehen soll. Zu Beginn der Debatte hat Michel Barnier einen Überblick über die Lage gegeben, über Nacht hat sich nichts geändert - am Vertrag wird nicht mehr geschraubt, an den Hauptpunkten nichts mehr geändert. Allerdings lässt auch Barnier einen Satz fallen, der gestern schon im Parlament zu hören war: "Die politische Erklärung lässt noch Alternativen zu." Das könnte die allerletzte Möglichkeit sein, in Westminster noch ein Umschwenken zu erreichen: diese Erklärung zum Vertrag ist rechtlich nicht relevant, regelt aber die politischen Ziele für die künftigen Beziehungen. Vielleicht lässt sich ja da noch an der Backstop-Dauer feilen, auch wenn das Thema wohl auch nur vorgeschoben ist. Barnier hat nach seiner Rede übrigens minutenlangen Applaus bekommen - das Parlament steht hinter ihm.

Timmermans, Barnier im EU-Parlament in Straßburg: Langer Applaus für den Verhandler
Timmermans, Barnier im EU-Parlament in Straßburg: Langer Applaus für den Verhandler © APA/AFP/FREDERICK FLORIN

Zwischendurch wird es auch noch ein wenig musikalisch. Syed Kamall von der ECR hat in seiner Rede den Song "Hotel California" von den Eagles zitiert: Man kann immer auschecken, aber kommt niemals wirklich weg. EU-Kommissar Frans Timmermans kontert in seiner Schlussbemerkung mit den Rolling Stones: "You can`t always get what you want."

15. Jänner, 12.00 Uhr - Noch eine Ratsbilanz

Das EU-Parlament hat in Straßburg seine erste Plenarsitzung im neuen Jahr aufgenommen. Offensichtlich sind viele schon im Wahlkampfmodus, dennoch überlagert der Brexit alles - gespanntes Warten, wie es weitergeht.

In einem fast leeren Plenarsaal hat am Vormittag dafür etwas ganz anderes stattgefunden: Bundeskanzler Sebastian Kurz gibt eine (letzte) Bilanz des österreichischen Ratsvorsitzes. Er bedankt sich nach allen Seiten und spricht über die schon bekannten Themenkreise (Migration, Wohlstand und Wettbewerb, Nachbarschaftsbeziehungen). Dann sind die anderen dran und es kommt kalt-warm. Den Anfang macht Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Mehrfach lobt er die Österreicher und ihre konstruktive Arbeit, lässt aber einen Kritikpunkt nicht aus: den nicht unterzeichneten UN-Migrationspakt. "Der Kanzler weiß, dass Österreich in die richtige Richtung hätte gehen sollen", sagt er unter Verweis auf weitere Staaten, die dem Beispiel dann gefolgt seien. Juncker erinnerte auch daran, dass es der österreichische Wunsch war, die Frontex-Mannschaft nicht erst später, sondern jetzt gleich auf 10.000 Mann aufzustocken. Davon blieb nichts übrig, Österreich stehe damit jetzt alleine da, sagte Juncker, der neuerlich die "Doppelzüngigkeit"des Rates geißelte: Erst etwas lautstark zu verlangen und dann nichts mehr davon wissen wollen. Im Großen und Ganzen bleibt er aber dabei: der österreichische Ratsvorsitz gehöre eindeutig zu den sehr positiven.

Wenige Zuhörer: Ratsbilanz in Straßburg
Wenige Zuhörer: Ratsbilanz in Straßburg © Andreas Lieb (Screenshot)

In den nachfolgenden Statements der Fraktionen kam es für Kurz, wie es kommen musste: Lob und Tadel. Lob etwa von den Parteifreunden der EVP (Manfred Weber) und den rechts angesiedelten Parteien, Tadel von der linken Seite (etwa Sozialdemokraten, Grüne, und den Liberale). Sie verbeißen sich (das war klar) besonders in den Migrationspakt, für Ska Keller von den Grünen, die die österreichische Zivilbevölkerung lobt, sind auch die Ergebnisse der CO2-Ziele nicht gut, sie führt auch Frontex ins Treffen und die Kürzung der Familienbeihilfe, die gegen EU-Gesetze verstoße: "Andere Länder würden damit wenigstens warten, bis der Ratsvorsitz vorbei ist."

Wie zu erwarten, sehen das Harald Vilimsky (FPÖ, ENF) oder der deutsche AfD-Abgeordnete Jörg Meuthen (EFFD) diametral anders. Vilimsky an Juncker: "Wir wollen unsere Migrationspolitik selbst bestimmen." Und den Sozialdemokraten empfiehlt er, sich die "eigene" eben begonnene Ratspräsidentschaft Rumäniens anzuschauen, wo die Regierung heillos zerstritten sei und ständig neue Korruptionsvorwürfe auftauchten. Meuthen lobte die österreichische Regierung, über die erstmals "sogenannte Rechtspopulisten" auch am Vorsitz beteiligt waren, weil sie nicht wie alle anderen die übliche Zentralisierung vorangetrieben hätte: "Ein Wendepunkt in der Geschichte der Ratsvorsitze."

10. Jänner, 15.30 Uhr - Einladung in die Kommission

Von den drei Hauptgebäuden der Institutionen ist jenes der Kommission, das Berlaymont, besonders markant. Positioniert vis a vis des eher dunklen Ratsgebäudes verstrahlen die riesigen hellen Flügel des Hauses einen imposanten 60er-Jahre-Charme. Im Inneren reiht sich in den Stockwerken ein Büro ans andere. Je höher man kommt, desto mehr ändert sich der Eindruck. Anders als in Straßburg, wo die Kommission mit allerengstem, verwinkeltem Platz auskommen muss, geht es in Brüssel etwas luftiger zu.

Mit dem Charme der 60er-Jahre: Kommissionsgebäude
Mit dem Charme der 60er-Jahre: Kommissionsgebäude © Andreas Lieb

Da sich ja ständig hochrangige Gäste im Gebäude aufhalten, mit denen man für eine Besprechung nicht schnell einmal in die Pizzeria ums Eck gehen kann, sind auch eigene Räumlichkeiten und Dienste für die Bewirtung von Besuchern vorgesehen, in unterschiedlichen Dimensionen. Zweimal waren wir zuletzt bei Kommissar Johannes Hahn zu Gast; vor einigen Wochen im 13. Stock, als eine österreichische Journalistengruppe auf Studienreise in Brüssel war, und gestern im 11. Stock, als Hahn Bilanz über 2018 zog und über den Ausblick auf 2019 sprach. Eine angenehme Location mit Blick über die Stadt Brüssel.

In trauter Nachbarschaft: Erweiterungskommissar Hahn, Außenbeauftragte Mogherini
In trauter Nachbarschaft: Erweiterungskommissar Hahn, Außenbeauftragte Mogherini © Andreas Lieb

Das Portfolio des Erweiterungskommissars ist enorm. Es reicht von den Beziehungen in den Nahen Osten über die Türkei bis hin zu Afrika mit den Hauptpartnern Ägypten, Tunesien, Libyen und Marokko, geht über die Westbalkanländer und reicht bis in die Schweiz, deren Neuaufsetzung der Beziehungen mit der EU seit einem Jahr zu Hahns Aufgaben gehört. In Georgien, berichtet der Österreicher, habe man vor Kurzem die erste europäische Schule in Tiflis eröffnet. Hahn: "Sie baut auf Multilingualismus und europäische Werte auf." Der Abschluss ermöglicht ein Studium an europäischen Universitäten.

Für das neue Jahr stehen unter anderem eine Jordanien-Konferenz (Februar, London), eine Syrien-Konferenz (März, Brüssel) und ein weiterer Westbalkangipfel (Juli, Polen) auf dem Programm. An einer EU-Erweiterung führe kein Weg vorbei, so Hahn, der die Sorgen entkräften will: Es gehe darum, instabilen Regionen wirtschaftliche und politische Stabilität zu vermitteln und die Rechtsstaatlichkeit umzusetzen. Das dauert Jahre, man werde sicher nicht, wie in der Vergangenheit, den Fehler machen, die Kandidaten zu schnell hereinzulassen. Am Ende würden aber auch alle Staaten profitieren.

Gehört dazu: TV-Interview, in diesem Fall mit dem ORF
Gehört dazu: TV-Interview, in diesem Fall mit dem ORF © Andreas Lieb

Zu den EU-Wahlen sagte der Kommissar, 2019 sehe er entgegen zahlreicher Aussagen nicht als "Schicksalsjahr" - allerdings sei es eines mit Konsequenzen. Die traditionellen Fraktionen EVP und S+D würden wohl in Zukunft die Stimmen einer dritten Fraktion benötigen und es werde eine Zunahme der militanten Anti-EU-Stimmen geben, aber das passiere "ohne Zähneklappern".

Wie es mit ihm selbst weitergeht, darüber wollte Johannes Hahn keine Auskunft geben. Ob er weiter als Kommissar tätig sein will/wird oder nicht, werde sich erst nach den EU-Wahlen Ende Mai entscheiden. Und so wollte er auch nicht die Möglichkeit. ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas könnte an seiner statt ins Berlaymont einziehen, kommentieren.


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