Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) Rafael Grossi hat sich nach seiner zweiten Inspektion im russisch besetzten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja besorgt gezeigt über die Lage dort. "Offensichtlich verbessert sich die Situation nicht. Im Gegenteil, die militärischen Aktivitäten um das Gebiet nehmen zu", sagte er nach Angaben russischer Medien am Mittwoch nach dem Besuch. Er hatte Europas größtes Kernkraftwerk zuvor bereits im September besucht.

Grossi war am Mittwoch mit einer 18-köpfigen Delegation in Saporischschja eingetroffen. Grossi bekräftigte demnach Pläne zu einem Sicherheitskonzept für das AKW. Er sagte, dass nun mit beiden Seiten Sicherheitsvorkehrungen besprochen werden sollen, um einen atomaren Zwischenfall mit radioaktiven Auswirkungen zu verhindern. "Ich bin Optimist in der Hinsicht, dass ich glaube, dass das möglich ist", sagte er.

Rafael Grossi bei einem Besuch im AKW Saporischschja
Rafael Grossi bei einem Besuch im AKW Saporischschja © (c) APA/AFP/ANDREY BORODULIN (ANDREY BORODULIN)

Gespräche zwischen Kiew und Moskau

Das Staatsfernsehen in Russland zeigte, wie die IAEA-Experten mit schusssicheren Westen der Vereinten Nationen die Frontlinie zwischen dem von Kiew und dem von Moskau kontrollierten Teil des Gebiets Saporischschja überquerten. Sie legten demnach einen Teil des Weges zu Fuß an einer zerstörten Brücke zurück.

Hauptziel der Gespräche mit den Führungen in Kiew und Moskau sei die atomare Sicherheit, sagte Grossi. Es müsse alles getan werden für den Schutz der Menschen. Die Delegation hatte sich einen Überblick über die Sicherheitslage des immer wieder auch beschossenen Kraftwerks verschafft. Nur einige IAEA-Spezialisten blieben. Sie sind als Wechselkontingent für die derzeit dort stationierten Atomexperten eingeplant.

Experten sind besorgt über die Lage im ukrainischen Kernkraftwerk
Experten sind besorgt über die Lage im ukrainischen Kernkraftwerk © (c) APA/AFP/ANDREY BORODULIN (ANDREY BORODULIN)

Auch Russland sorgt sich

Der russische Atomkonzern Rosatom teilte mit, dass die Experten die Anlage um 16.00 Uhr MESZ wieder verlassen müssten. Russland wolle zeigen, dass es für die Sicherheit des AKW sorge und die Schäden nach dem Beschuss beseitige, sagte Rosatom-Vertreter Renat Katschaa. Er bestätigte auch, dass es auf dem Gelände Militärtechnik gebe, um etwa eine Strahlung zu überwachen. "Das ist verständlicherweise ein Laboratorium auf Rädern mit einem militärischen Aussehen", sagte er mit Blick auf Vorwürfe der Ukraine, Russland habe dort Waffen stationiert.

Katschaa bestätigte auch, dass es dort Uniformierte gebe. Sie hätten die Aufgabe, die Sicherheit zu gewährleisten und einen nuklearen Zwischenfall zu verhindern. Forderungen Kiews nach einem Abzug der russischen Truppen hatte Moskau stets zurückgewiesen. Ein Besuch Grossis in der russischen Hauptstadt nach der zweiten Inspektion sei nicht geplant, teilte das Außenministerium in Moskau mit.

Das Atomkraftwerk Saporischschja ist mit seinen sechs Blöcken und einer Nettoleistung von 5700 Megawatt das größte AKW in Europa. Im vorigen Sommer hatte regelmäßiger Beschuss des Kraftwerksgeländes international Angst vor einem Atomunfall ausgelöst. Russland und die Ukraine werfen sich gegenseitig den Artilleriebeschuss vor. Die damals in Betrieb befindlichen Reaktoren wurden infolgedessen heruntergefahren. Durch die Artilleriegefechte wurde allerdings auch die Stromversorgung für das erforderliche Kühlsystem mehrfach unterbrochen. Zur Überbrückung dienten Dieselgeneratoren.