Ein Hauch von Stefan Zweig liegt in der Luft. In seinem autobiografischen Buch "Die Welt von gestern" blickt Zweig auf eine untergegangene Epoche zurück, die vom unerschütterlichen Glauben an den Fortschritt und die Unverwundbarkeit der Gesellschaft geprägt war. Im Rückblick sind die Vorboten einer Zeitenwende leicht festzumachen. Hinter dem schönen Sein brodelte es an allen Ecken und Ende, taumelnd stürzte der Kontinent in die Katastrophe.

Auch jetzt stehen wir an einer Zeitenwende, mit anderen Vorzeichen. Die Zäsur, die der Krieg in der Ukraine markiert, dürfte tiefere Spuren hinterlassen als die Pandemie, die Finanz- oder die Flüchtlingskrise. Im Osten Europas tobt ein Krieg, wo kein Ende abzusehen ist. Da Putin offenbar entschlossen ist, die halbe Ukraine in Schutt und Asche zu legen, sofern Kiew nicht kapituliert und eine Marionettenregierung akzeptiert, dürfte sich die Flüchtlingsbewegung noch zu einem Exodus auswachsen. Wohin Moskau unter Putin steuert, ist unklar. Der Osteuropa-Experte Timothy Snyder schließt nicht aus, dass sich Russland zu einer Diktatur nach nordkoreanischem Muster entwickelt. Über Nacht wurde den Europäern ihre Verwundbarkeit vor Augen geführt. Die Neutralität mag immerwährend sein, der Friede in Europa leider nicht.

Nahezu existenzielle Gefahren gehen von einer anderen Verwundbarkeit aus. Jahrzehntelang profitierte Österreich vom sibirischen Gas, doch nun fällt uns die Abhängigkeit auf den Kopf. Die Hoffnung in den ersten Tagen nach Kriegsausbruch, dass wir uns durchmogeln könnten und die Gaslieferungen an Österreich, Deutschland nicht von den Sanktionen erfasst werden, entpuppte sich als Illusion. Aus guten Grund: Ohne Devisen könnte Putin seinen Feldzug nicht finanzieren.

Der frühere deutsche Bundespräsident Joachim Gauck gab kürzlich die Parole aus, "Wir könnten auch einmal für die Freiheit frieren". Ohne Gas aus Sibirien gäbe es in vielen Haushalten in Wien kein Warmwasser, keinen funktionierenden Heizkörper.

Die Energieabhängigkeit nur auf die Gasthermen zu reduzieren oder einen autofreien Tag wie einst 1973 zu fordern, wird der Herausforderung nicht gerecht. Es steht ungleich mehr auf dem Spiel. Dass ein Zeitungspapierhersteller seine Produktion wegen der hohen Energiekosten stillgelegt hat, ist ein deutlicher Fingerzeig. Ein sofortiger Stopp der Lieferungen – egal, ob sie vom Westen verordnet sind, der von Putin erzwungen werden – würde unsere Wirtschaft und Industrie bis ins Mark treffen. Versorgungsengpässe im Winter, ein schwerer wirtschaftlicher Einbruch, Arbeitslose wären unausweichlich. Der Staat müsste tiefer als je zuvor in die Tasche greifen.

Österreich hat keine andere Wahl, als sich aus der Umklammerung zu lösen, zu diversifizieren, dort, wo es machbar ist, auf Öko umzusteigen. Darauf zu bauen, dass in Moskau bald wieder die Vernunft einkehrt, wäre kurzsichtig, verantwortungslos, fatal.