Für unabhängigen Journalismus hat sich die Lage in Russland gestern erneut verschärft: Die russische Staatsduma (Parlament) hat eine Gesetzesänderung verabschiedet, die harte Strafen für Verbreitung von Nachrichten vorsieht, die aus Sicht des Kreml Falschinformationen („Fake News“) darstellen. Medien in Russland ist es seit vergangener Woche verboten, in der Berichterstattung über den Krieg gegen die Ukraine Begriffe wie „Angriff“, „Invasion“ und „Kriegserklärung“ zu verwenden. Moskau bezeichnet den Krieg als militärische „Sonderoperation“. Mit der neuen Gesetzesänderung drohen nun für Meldungen über die russischen Streitkräfte, die nicht der Kreml-Sichtweise entsprechen, hohe Geldstrafen und bis zu 15 Jahre Haft.

BBC, CNN, ARD, ZDF und RAI stoppen Berichterstattung aus Russland

Nach der Verschärfung der Mediengesetze in Russland setzen neben BBC und CNN auch ARD, ZDF und RAI die Berichterstattung aus ihren Moskauer Studios vorerst aus. "Die beiden öffentlich-rechtlichen Sender werden von ihren anderen Standorten aus weiterhin das Publikum umfassend über das Geschehen in Russland und der Ukraine informieren", teilte der für das ARD-Studio Moskau federführende WDR mit. "ARD und ZDF prüfen die Folgen des am Freitag verabschiedeten Gesetzes", hieß es in der Stellungnahme.

"Die Maßnahme ist notwendig geworden, um die Sicherheit der Journalisten vor Ort zu schützen und ein Höchstmaß an Informationsfreiheit über das Land zu gewährleisten", erklärte RAI. "Die Nachrichten über das Geschehen in der Russischen Föderation werden bis auf Weiteres auf der Grundlage einer Vielzahl von Quellen von den in den Nachbarländern und in den Zentralredaktionen in Italien tätigen Journalisten des Unternehmens bereitgestellt", hieß es.

ORF-Korrespondent Paul Krisai will einstweilen noch in Moskau bleiben.
ORF-Korrespondent Paul Krisai will einstweilen noch in Moskau bleiben. © ORF

Konkret unter Strafe stehen demnach das Verbreiten vermeintlicher Falschinformationen über russische Soldaten, das Diskreditieren russischer Streitkräfte und auch Aufrufe zu Sanktionen gegen Russland. Dies dürfte gravierende Folgen auf die Berichterstattung von nicht-kremltreuen russischen sowie von unabhängigen westlichen Medien haben. Die Nachrichten-Webseite Snak teilte mit, sie stelle ihren Betrieb ein, weil zahlreiche Restriktionen die Arbeit der Medien in Russland beeinträchtigten. Der ORF hält sein Moskauer Büro offen, reduziert vorerst nur das Personal. Korrespondentin Miriam Beller reist zurück nach Wien, Büroleiter Paul Krisai und Carola Schneider, die das Team vorübergehend verstärkt, bleiben in Moskau, hieß es gestern auf Anfrage.

„Ziel ist es, unter den gegebenen Umständen weiterhin die gewohnt hochqualitative Berichterstattung aus Russland zu sichern.“ Der ORF lässt sich aber die Möglichkeit offen, weitere Maßnahmen zu setzen: „Die Lage wird dabei selbstverständlich laufend neu bewertet.“ Abwartend gibt man sich auf Anfrage auch bei der ARD: „Wir beobachten die Situation.“

Der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti zufolge blockierte die russische Medienbehörde für Bewohner Russlands den Zugang zu mehrere Nachrichten-Webseiten, darunter die Deutsche Welle, die britische BBC, Voice of America, Radio Free Europe/Radio Liberty sowie die lettische Webseite Meduza. Auch Facebook wurde am Abend gesperrt – offiziell als Reaktion darauf, dass das soziale Netzwerk russische Medienseiten ausgeblendet hatte.

Für ausländische Berichterstatter in Russland, bedeutet die Gesetzesänderung, dass sie möglicherweise im Gefängnis landen, wenn sie ihren journalistischen Aufgaben nachkommen. Moskau-Korrespondent Krisai macht sich keine Illusionen:

Oswald Klotz, Präsident des Österreichischen Journalist*innen Clubs, spricht von einem „ungeheuerlichen Anschlag auf die Presse- und Medienfreiheit“. Ähnlich lautend die JournalistInnengewerkschaft, die durch die Gesetzesänderungen praktisch „ein Verbot journalistischer Arbeit auch für Korrespondenten österreichischer Medien“ umgesetzt sieht.

"Russland bekämpft Journalisten"

Ins Ausland geflüchtet ist mittlerweile Tichon Dsjadko, Chefredakteur von TV Doschd, das bis zu seiner Schließung vor wenigen Tagen einer der letzten unabhängigen TV-Sender Russlands war. „Die Situation ist total anders als das, was wir in den letzten 20, 30 Jahren in Russland erlebt haben. Russland hat in der Ukraine einen Krieg angefangen. Russland bekämpft die Zivilgesellschaft und Journalisten“, erklärte Dsjadko gegenüber den ARD-„Tagesthemen“.

Seine Erwartungen an die russische Zukunft sind düster: „Die Unterdrückung wird immer schlimmer. Es wird kein politisches Leben mehr geben, es wird keine unabhängigen Diskussionen mehr geben“, sagte der 34-Jährige.

Offen blieb, ob und wie die russische Gesellschaft auf die Einschränkungen der Presse und die Verschärfung des Klimas reagieren würde. Der inhaftierte Putin-Kritiker Alexej Nawalny rief erneut zu Protesten gegen den Krieg in der Ukraine am kommenden Sonntag auf. Er warb in seinem Blog dafür, die Angst vor der Teilnahme an Kundgebungen zu überwinden.