Israel reagiert mit Straf- und Abschreckungsmaßnahmen auf die jüngste Serie blutiger Messer- und Schussattacken. In Jerusalem sollen im öffentlichen Nahverkehr 300 zusätzliche bewaffnete Sicherheitsleute eingesetzt werden, 1.400 Reservisten der Grenzpolizei wurden per Notverordnung einberufen.

US-Außenminister John Kerry kündigte inzwischen einen Vermittlungsversuch an.

Gewalt eskaliert wieder

Nachdem die Gewalt seit knapp zwei Wochen eskaliert, will Israel mit der Blockade palästinensischer Wohngebiete und mit Soldaten in den Städten neue Anschläge verhindern und hat mit der Kontrolle der Zufahrten zu Ost-Jerusalem begonnen. Sicherheitskräfte errichteten Straßensperren, an wichtigen Knotenpunkten bezogen Soldaten Stellung. Die Regierung erklärte am Mittwoch, Ziel sei nicht, den Ostteil der Stadt vollständig abzuriegeln, sondern eine "lockere Umzingelung".

Zudem schickte die Armee am Mittwoch Hunderte Militärs in israelische Großstädte, die Polizei errichtete Sperren vor arabischen Vierteln im Ostteil Jerusalems. Die Armee teilte mit, sechs Kompanien sollten Israels Polizeikräfte verstärken, ohne genauere Zahlen zu nennen.

Das israelische Sicherheitskabinett beschloss in der Nacht auf Mittwoch zudem eine Reihe von Straf- und Abschreckungsmaßnahmen. So soll etwa ein nach einem Anschlag zerstörtes Haus eines mutmaßlichen Terroristen nicht wieder aufgebaut werden dürfen. Auch das Eigentum von Attentätern kann beschlagnahmt werden. Palästinensern mit Aufenthaltsrecht für Jerusalem soll dieses entzogen werden, wenn sie Anschläge verüben. Damit wären sie de facto aus Israel und Jerusalem verbannt. Palästinenser mit Wohnsitz in Ost-Jerusalem können sich ohne Einschränkung in ganz Israel bewegen.

Zusätzliche Sicherheitsleute

In öffentlichen Verkehrsmitteln in Jerusalem sollen 300 zusätzliche bewaffnete Sicherheitsleute eingesetzt werden. Israel hat auch 1.400 Reservisten der Grenzpolizei per Notverordnung einberufen.

In Jerusalem kame es unterdessen zu einer erneuten Attacke. Ein Palästinenser habe am Damaskus-Tor zur Altstadt versucht, Polizisten mit einem Messer anzugreifen, teilte eine Polizeisprecherin mit. Sicherheitskräfte hätten das Feuer auf ihn eröffnet. Für Medienberichte, dass der Mann dabei tödliche Verletzungen erlitt, gab es zunächst keine offizielle Bestätigung.

Seit Monatsbeginn erschüttert eine Serie von Schuss- und Messerangriffen das Land. Dabei wurden mindestens sieben Israelis getötet. Insgesamt 30 Palästinenser kamen ums Leben, knapp die Hälfte davon Attentäter, die im Zuge ihrer Anschläge erschossen wurden. Die Serie von Messerattacken hat Spekulationen ausgelöst, palästinensische Extremisten planten eine neue Intifada (Aufstand).

Vertreter der Palästinenser kritisierten die Sperrung der Zugänge nach Ost-Jerusalem als "kollektive Bestrafung". Die israelische Regierung verletzte damit internationales Recht. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) bezeichnete die Abriegelung der Wohngebiete als ein "Rezept für Schikane und Missbrauch" und auch israelische Militärbeobachter kritisierten den Schritt. Attentäter fänden ihren Weg ohnehin, eine Abriegelung dürfte die Stimmung in der Bevölkerung anheizen.

Ein Streit um die Besuchs- und Gebetsrechte auf dem Plateau des Tempelbergs in der Jerusalemer Altstadt hat die jüngste Gewaltwelle befeuert. Prinzipiell dürfen nur Muslime auf dem Tempelberg beten. Die Palästinenser befürchten, dass Israel immer mehr Juden eine Sondergenehmigung für Besuche auf dem Areal erteilt und damit die Kontrolle der Muslime über die drittheiligste Stätte im Islam aushöhlt. Israel bestreitet das.

Zwei Attacken am Dienstag

Allein bei zwei Attacken am Dienstag in Jerusalem waren drei Israelis und ein palästinensischer Angreifer getötet worden. Mehr als 20 weitere Menschen wurden verletzt, davon sechs schwer. Es war der bisher blutigste Tag während der seit knapp zwei Wochen anhaltenden Gewaltwelle. Nach Angaben des palästinensischen Roten Halbmonds wurden in dem Zeitraum 1.445 Palästinenser verletzt.

Angesichts der eskalierenden Gewalt will US-Außenminister John Kerry in den Nahen Osten reisen. Wie der US-Nachrichtensender CNN berichtete, kündigte Kerry seine Reisepläne am Dienstagabend (Ortszeit) auf einer Veranstaltung der Harvard-Universität an. Er werde bald dort hinreisen, sagte er, ohne weitere Details zu nennen. "Ich will sehen, ob wir diese Sache nicht vom Abgrund wegrücken können", ergänzte er.

Rund um die Eskalation der Gewalt in Jerusalem kritisierte UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon Israel indirekt scharf. Es werde übertriebene Gewalt angewendet, ließ er über seinen Sprecher erklären.

"Ich denke, auch der Generalsekretär findet, dass die augenscheinlich übertriebene Gewaltanwendung der israelischen Sicherheitskräfte besorgniserregend ist und nach einer ernsthaften Überprüfung verlangt", sagte UNO-Sprecher Stephane Dujarric vor Journalisten in New York. Die Gewalt "dient nur dazu, die Situation zu verschärfen, und das führt zu einem Teufelskreis des sinnlosen Blutvergießens". Ban sei weiterhin "sehr besorgt" über die Lage in Jerusalem und verurteile alle Terrorakte in Israel sowie in den palästinensischen Gebieten.

Internationale Pressestimmen

"Independent" (London):

"Die vorherigen Intifadas (Aufstände) der palästinensischen Bevölkerung entstanden durch ein Gefühl der Machtlosigkeit, das auch heute weitverbreitet ist. Es sind zahlreiche Zutaten für eine kollektive Explosion beisammen. Was heute fehlt, ist die politische Führung. Die bisherigen Angriffe waren überwiegend spontan, ohne Verbindung zu bestimmten bewaffneten Gruppen. Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas hat Ruhe angemahnt. Ohne politische Stütze dürfte die Gewalt kaum zu einem Massenaufstand führen. Doch Israels scharfe Reaktion ist kaum dazu angetan, die Gewalt zu beenden, oder andere Palästinenser daran zu hindern, sich in die Schlacht zu stürzen."

"Hospodarske noviny" (Prag):

"Israel kämpft mit einer Welle palästinensischer Angriffe, für die schon die Bezeichnung "dritte Intifada" verwendet wird. Fast täglich sterben zufällig ausgewählte Menschen bei Messerangriffen auf den Straßen. Die Ursache ist unklar, Auslöser könnten aber die Zugangseinschränkungen für Muslime zum Tempelberg sein. Sicher ist jedenfalls, dass sich die Palästinenser auf sozialen Netzwerken gegenseitig zu den Angriffen ermuntern. Auf Fotos ist zudem zu sehen, wie Jugendliche auf Demonstrationen den jüdischen Staat mit Modellraketen beschießen. Manch einer könnte sagen: Gott sei Dank, dass hierzulande bislang nur mit Galgen geschwenkt wird."