Ein halbes Jahrhundert nach Ende der Kolonialzeit schien das gängige Klischeebild zunehmend zu verblassen. Afrika, der ewige Elendsort mit reichen Potentaten und hoffnungslos armen Ländern, war mit Beginn der 2010er-Jahre plötzlich auch ein Kontinent der Chancen und Zukunftshoffnungen.

Statt Bilder von aufgeblähten Hungerbäuchen und fliegenbesetzten Kindergesichtern kamen aus afrikanischen Ländern plötzlich beeindruckende Nachrichten über die Zunahme der Alphabetisierungsrate oder die Senkung der Müttersterblichkeit. In Städten wie Kigali, Luanda oder Nairobi entwickelte sich Hand in Hand mit einer innovativen Digitalwirtschaft auch eine gut ausgebildete und kaufkräftige Mittelschicht. Und in Äthiopien wurden nicht nur Hunderte Autobahnkilometer und neue Stadtbahnen gebaut, seit 2009 fliegt Ethiopian Airlines als größte Fluglinie Afrikas auch im Star-Alliance-Luftfahrtverbund mit.

Putschwelle in der Sahelzone

Mittlerweile ist von afrikanischen Zukunftshoffnungen kaum noch die Rede. Stattdessen scheint es, als würde der Kontinent mit voller Wucht von der konfliktbeladenen Vergangenheit eingeholt. So ist schon vor dem aktuellen Staatsstreich im kleinen zentralafrikanischen Gabun eine regelrechte Putschwelle durch die Sahelzone gerollt. Mali hat seit 2012 schon dreimal eine Machtübernahme durch aufständische Militärs erlebt, in Guinea, Burkina Faso und Niger regieren nach den erfolgreichen Umstürzen der vergangenen zwei Jahren mittlerweile ebenfalls die Offiziere oder eine von ihnen eingesetzte Übergangsregierung.

Im Sudan, wo sich eine Zivilregierung nach dem Sturz von Langzeitmachthaber Omar al-Bashir nur kurz halten konnte, entwickelte sich der Militärputsch sogar zum Beinahebürgerkrieg. Die erbitterte Auseinandersetzung zwischen den beiden mächtigsten Generälen des Landes hat nach Einschätzung der Vereinten Nationen bisher 4000 Tote gefordert und knapp vier Millionen Menschen zur Flucht gezwungen.
Selbst ehemalige afrikanische Tigerstaaten wie Äthiopien bleiben nicht vor der Gewalt verschont. Das ostafrikanische Land, dessen Premier Abiy Ahmed für seine Aussöhnungsbemühungen mit dem Nachbarland Eritrea 2019 noch mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, versinkt seit drei Jahren in von ethnischen Spannungen getriebenen innerstaatlichen Konflikten. Nach dem Bürgerkrieg in der Region Tigray mit vermutlich Hunderttausenden Toten eskaliert derzeit die Gewalt zwischen der Zentralregierung und Milizen der Volksgruppe der Amahren.

Staatsversagen und Sicherheitsprobleme

Die Ursachen für die Konflikte sind dabei so vielschichtig und komplex wie der afrikanische Kontinent selbst. In Mali, Burkina Faso und Niger sind es vor allem islamistische Terroristen gewesen, die mit ihren Anschlägen den Staat so weit in die Enge getrieben haben, dass das Militär bei einem Putsch auf die Sympathien der Bevölkerung hoffen konnten. In Guinea, das zu den weltgrößten Lieferanten von Bauxit zählt, ging dem Putsch dagegen eine lange innenpolitische Krise voran, weil Präsident Alpha Conde auch mit 83 Jahren nicht von der Macht lassen wollte und die Verfassung umschreiben ließ, um sich noch eine dritte Amtszeit zu sichern.

Für Afrika-Experten wie Alex Vines gibt es allerdings trotzdem verbindende Elemente. Der Forschungsdirektor bei der britischen Denkfabrik Chatham House sieht neben einer schlechten Staatsführung und mangelnden demokratischen Strukturen vor allem das Fehlen von Sicherheit als Katalysator für Umstürze und Konflikte. "In Westafrika wurden die Armeen von den EU-Staaten und den USA mit großem Aufwand hochgerüstet und unterstützt. Die persönliche Sicherheit der Menschen hat sich aber nicht verbessert", sagt Vines im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. "In vielen Fällen genossen die Putschisten, die Sicherheit und Ordnung versprachen, daher zu Beginn die Unterstützung der Bevölkerung."

Klimawandel und fremde Störenfriede

Dass sich die Sicherheitslage in den betroffenen Regionen zumindest mittelfristig verbessert, scheint nicht absehbar. Denn neben ethnischen und religiösen Spannungen, die von Akteuren wie Russland oft bewusst geschürt oder ausgenutzt werden, wird auch der Klimawandel immer mehr zum Problem für Afrikas fragile Staaten. Dürren, Überflutungen oder Heuschreckenplagen führen dazu, dass Menschen ihr angestammtes Siedlungsgebiet verlassen, die schon jetzt knappen Ressourcen werden dann immer öfter nicht für alle reichen. "Das Potenzial des Klimawandels zur Verschärfung gewalttätiger Konflikte ist in Afrika offensichtlich", sagte Philip Osano, Direktor des Afrika Zentrums des Stockholmer Umweltinstituts (SEI), vor kurzem zur Nachrichtenagentur dpa.

Trotz dieser Ausgangslage sehen Experten aber nach wie vor Chancen und Möglichkeiten – vor allem dann, wenn es den Staaten gelingt, sich gewissermaßen zu immunisieren. Für Chatham-Forschungsdirektor Vines ist hier etwa Sambia ein Vorbild, das bereits seit einigen Jahren versucht, die oft unvorteilhaften kolonialen Wirtschaftsstrukturen hinter sich zu lassen und sich breiter aufzustellen. So macht zwar der Bergbau immer noch den Löwenanteil des sambischen Bruttoinlandsprodukts aus, doch zuletzt wurden der Agrarsektor, die Energiewirtschaft und der Tourismus immer wichtiger.

Sambia hat sich aber nicht nur wirtschaftlich diversifiziert, auch die demokratischen Prozesse und Institutionen sind heute stärker und widerstandsfähiger als noch vor wenigen Jahren. Als vor zwei Jahren bei den Präsidentschaftswahlen Oppositionskandidat Hakainde Hichilema gewann, funktionierte die Machtübergabe reibungslos. Der unterlegene Amtsinhaber Edgar Lungu gratulierte "seinem Bruder Hichilema" nur wenige Stunden nach Bekanntgabe des Endergebnisses in einer Radioansprache.