Großbritannien vor einem sehr schwierigen Neubeginn: Bis Freitag  konnten die 200.000 Tory-Mitglieder schriftlich abstimmen, wer neuer Parteichef und Premierminister werden soll – und wer das gebeutelte Land in die Zukunft führen soll. Heute soll das Ergebnis bekannt gegeben werden:

Rishi Sunak: Der "Verräter", der mehr Anstand will

Er wirkt auf viele smart bis gelackt, sein beträchtliches Privatvermögen wird ihm nicht selten zum Vorwurf gemacht – Rishi Sunak (42) selbst empfiehlt sich als neuer konservativer britischer Premierminister, der auf "Anstand und Integrität" setzen will: Seine Ausgangsposition ist indes keine einfache: Parteikollegen werfen ihm unverblümt vor, mit seinem – für ihn selbst alternativlosen – Abgang als Schatzkanzler mit Kalkül auch "PM" Boris Johnson zu Fall gebracht zu haben.

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Eine zu einfache Rechnung, auch wenn Sunak durchaus einen persönlichen Masterplan haben dürfte und an seinem Aufstieg seit Jahren beharrlich arbeitet. Der ehemalige Goldman-Sachs-Banker gilt als strebsam und an der Lust an der Macht austariert. Seine Kandidatur als Tory-Führer startete mit einem Video, in dem er gelobte, "tröstende Märchen" zu beenden – ein klarer Seitenhieb auf Johnsons Ära. Überhaupt scheint ihm weiterhin viel daran gelegen, sich von dem vor allem auch über sich selbst gefallenen Noch-Premierminister zu distanzieren und dem Volk auch keine – aus seiner Sicht völlig realitätsfernen – Steuererleichterungen wie seine Konkurrentin Liz Truss zu versprechen.

Er werde eine Regierung anführen, "die kompetent und ernsthaft" geleitet werde, gab er sich in einem letzten Rededuell in der Londoner Wembley Arena siegessicher. Das dürften sich auch viele Parteikollegen wünschen – fraglich ist aber, ob sie dafür Sunak auserkoren
haben.

Liz Truss' wichtigste Botschaft: Runter mit den Steuern

Steuersenkungen, Steuersenkungen, Steuersenkungen – gegen exorbitante Lebenshaltungskosten, die dem ohnehin schwindsüchtigen Mittelstand im Vereinigten Königreich massiv zusetzen: So lautet die sattsam wiederholte Botschaft von Liz Truss (47), die sich – von Umfragen gestützt – beste Chancen auf einen Umzug in 10 Downing Street ausrechnet.

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Ihre Botschaften sind klar, obgleich Rishi Sunak nicht ohne Grund an der Umsetzbarkeit von massiven Steuersenkungen zweifelt. Dass sie Außenministerin ist und entsprechende Erfahrung hat, dürfte in unsteten Zeiten kein Nachteil sein. Rhetorisch kann sie mit dem als Teil des "Establishment" verschrienen Konkurrenten nicht mithalten. Ihre bisweilen hölzernen bis schrulligen Auftritte – so gerät sie z. B. regelmäßig über britischen Käse ins Schwärmen – werden ihr von der Parteibasis zumindest als "authentisch" ausgelegt. Man muss ja nicht gleich von Liebe sprechen, so der Tenor.

Bemerkenswert ist Truss' Slalom, was ihre eigene Position zum Brexit betrifft: Vor dem folgenreichen Austrittsentscheid 2016 sprach sich die langgediente Konservative – sie ist seit acht Jahren Regierungsmitglied – für einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU aus. Nach dem Votum wurde sie zu einer der stärksten Brexit-Befürworterinnen und stellte sich auf eine Linie mit dem Brexit-Einklatscher Boris Johnson. Auf direkte Attacken auf "Bojo" verzichtet Truss.