Die US-Regierung hat ihre Warnungen vor einem möglichen Angriff Russlands auf die Ukraine noch in den kommenden Tagen bekräftigt. Indes hat Russland laut eigenen Angaben nach Manövern nahe der ukrainischen Grenze mit dem Abzug von Truppen begonnen. Jene Einheiten aus den Militärbezirken im Süden und Westen Russlands hätten ihre "Aufgaben erfüllt", sagt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums gegenüber russischer Nachrichtenagenturen. Die Nato und Ukraine zeigten sich skeptisch. "Bisher haben wir vor Ort keine Deeskalation gesehen, keine Anzeichen einer reduzierten russischen Militärpräsenz an den Grenzen zur Ukraine", so Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Man werde allerdings weiter genau verfolgen, was Russland tue, so Stoltenberg bei einer Pressekonferenz in Brüssel. Als positiv wertete er die von Moskau signalisierte Bereitschaft zur Fortsetzung von diplomatischen Bemühungen. "Das gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus", sagte er.

OSZE-Treffen in Wien ohne Russland

Auch die Ukraine reagierte auf die angekündigte Rückkehr erster russischer Soldaten zunächst verhalten. "Erst wenn wir einen Abzug sehen, dann glauben wir an eine Deeskalation", sagte Außenminister Dmytro Kuleba am Dienstag in Kiew. Moskau erzähle viel. Grundsätzlich bewertete er die diplomatischen Bemühungen der vergangenen Wochen als Erfolg. Moskau sei von einer Eskalation der Lage abgehalten worden, meinte Kuleba. "Heute ist bereits Mitte Februar, und die Diplomatie arbeitet weiter."

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bot Moskau am Dienstag indes einen neuen Dialog an. An einem OSZE-Treffen in Wien nahm Russland aber nicht teil. Die Situation rund um die Ukraine bleibe außerordentlich angespannt und drohe, ernsthaft zu eskalieren, sagte der polnische Außenminister Zbigniew Rau, der derzeit den OSZE-Vorsitz hat. "In diesem Sinne haben wir eine Initiative für einen neuen Dialog über europäische Sicherheit vorgeschlagen", sagte er bei einem Treffen mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow in Moskau.

Lawrow nannte den Vorschlag "interessant". "Wir sind bereit zu einer sehr engen Zusammenarbeit mit dem OSZE-Vorsitz." Diese Position sei mit einer besonderen Verantwortung verbunden, meinte Lawrow. Das wichtigste für Russland sei derzeit aber der Dialog mit den USA und der Nato. "Ohne Fortschritte mit den USA und der Nato werden Gespräche in Wien keine Fortschritte bringen."

Die Ukraine hatte angesichts des russischen Truppenaufmarsches an ihren Grenzen ein Treffen mit Russland und allen OSZE-Mitgliedstaaten einberufen, das am Dienstag in Wien stattfinden sollte. Die Regierung in Moskau habe eine Anfrage Kiews unter Berufung auf das Wiener Dokument der OSZE ignoriert, erklärte die ukrainische Regierung. Grundlage ist das sogenannte "Wiener Dokument" über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen.

US-Außenminister zeigte sich "zutiefst besorgt"

"Nein, wir werden nicht teilnehmen", sagte der stellvertretende russische Außenminister Alexander Gruschko am Dienstag vor Journalisten. "Wenn jemand politische Spielchen spielen will, dann nur zu, während wir die Instrumente der Vertrauens- und Sicherheitsbildung ernst nehmen und nicht zulassen werden, dass sie für ungebührliche Zwecke verwendet werden", sagte er. Gruschkos Aussage wurde am Dienstagnachmittag auch vom zuständigen russischen Chefverhandler in Wien, Konstantin Gawrilow, bestätigt. Russland werde nicht an einer möglichen Sitzung des Ständigen Rats und des Forums der OSZE zum Wiener Dokument teilnehmen, berichtete die Nachrichtenagentur TASS. Kuleba stellte ein Treffen des Ständigen Rats der OSZE am 18. Februar in Aussicht.

"Wir sind zutiefst besorgt, dass Russland bereits in dieser Woche Maßnahmen gegen die Ukraine ergreifen könnte", sagte US-Außenminister Antony Blinken dem Sender France24. Russland hält derzeit mehrere Manöver ab. Die USA befürchten, dass die Truppenbewegungen sowie ein Aufmarsch Zehntausender Soldaten entlang der ukrainischen Grenzen der Vorbereitung eines Krieges dienen könnten. Russland weist das zurück und betont täglich, keinen Überfall auf die Ukraine zu planen. Das Verteidigungsministerium kündigte am Dienstag an, dass erste Truppen nach Manöver an ihre Standorte zurückkehren. Eine Zahl wurde zunächst aber nicht genannt.

Die US-Regierung hatte zuletzt gewarnt, dass die USA einen russischen Einmarsch noch vor dem Ende der Olympischen Winterspiele in China am 20. Februar für möglich hielten. Washington verlegt daher als "Vorsichtsmaßnahme" vorübergehend ihre Botschaftsgeschäfte von der ukrainischen Hauptstadt Kiew an die Grenze zu Polen in die ukrainische Stadt Lwiw (Lemberg).

Das russischer Verteidigungsministerium liefert laufend Bildmaterial zu den Manövern
Das russischer Verteidigungsministerium liefert laufend Bildmaterial zu den Manövern © (c) AP

Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, John Kirby, hatte am Montag ebenfalls gesagt, dass ein russischer Angriff jederzeit möglich sei. Auch über das vergangene Wochenende habe Russland seine militärischen Kapazitäten entlang der ukrainischen Grenze ausgebaut, betonte Kirby. Dort gebe es Infanterie, schweres Geschütz oder Raketenabwehr. Außerdem sprach Kirby von Kampfflugzeugen und einer "beträchtlichen Seemacht im Schwarzen Meer".

Washington kündigte zudem an, Kiew mit einer Garantie für Kredite in Milliardenhöhe unter die Arme greifen zu wollen. Man habe der Ukraine eine staatliche Kreditgarantie von bis zu einer Milliarde US-Dollar (rund 884 Millionen Euro) angeboten, erklärte Blinken. Damit solle das Land unter anderem seine wirtschaftliche Reformagenda umsetzen. Das Angebot werde die Fähigkeit der Ukraine stärken, angesichts des "destabilisierenden Verhaltens Russlands" wirtschaftliche Stabilität, Wachstum und Wohlstand für die Bevölkerung zu gewährleisten, hieß es.

Seit Wochen warnen vor allem die USA vor einer russischen Invasion in die Ukraine. Dazu seien Zehntausende russische Soldaten unweit der ukrainischen Grenze zusammengezogen worden. Der Kreml weist die Vorwürfe regelmäßig zurück. Auch Kiew hat nach eigenen Angaben keine derartigen Informationen von einem nahenden Überfall.