Silvio Berlusconi ist müde. Er schlafe schlecht, heißt es. Seit Tagen nahm der Ex-Ministerpräsident keine Termine mehr wahr, seine Tochter Marina soll ihn geschimpft haben, weil sich der 85-Jährige wieder einmal übernehme. Kein Wunder, bei diesem Vorhaben: Der Mailänder Medienmogul, schon länger gesundheitlich nicht mehr ganz auf der Höhe, wollte seinen letzten großen Traum verwirklichen. Er wollte Italiens nächster Staatspräsident werden, ein im unstabilen italienischen Politikbetrieb besonders wichtiges Amt. Morgen beginnt die Wahl.

Die Vorstellung, der Skandalpolitiker und letztinstanzlich verurteilte Steuerbetrüger Berlusconi könnte Staatsoberhaupt in Italien werden und in dessen Amtssitz, den Quirinalspalast in Rom, einziehen, sorgte seit Wochen für Aufregung im südlichen Nachbarland. Er hat ha auch wirklich etwas Unglaubliches. Andererseits war der umstrittene Politiker, der wegen seiner Bunga-Bunga-Feste in den Schlagzeilen war und sich vor Gericht noch immer wegen Zeugenbestechung verantworten muss, auch schon Ministerpräsident. Die Opposition wuchs. „Er nicht“ titelte das Magazin Espresso. Am Wochenende wollten seine Gegner in Rom gegen ihn demonstrieren.

Je näher der Tag der Entscheidung rückte, umso weniger Kenner glaubten an eine Wahl Berlusconis, er selbst wirkte lange so, als habe er die Hoffnung noch nicht fahren lassen. Doch am Samstagabend gab sich der „Cavaliere“ geschlagen. „Ich habe entschieden, in anderer Weise Verantwortung für die Nation zu übernehmen, teilte er mit. „Ich werde meinem Land weiter dienen“ versprach Berlusconi. Italien brauche jetzt Einheit. Er wolle nicht, dass Streit in seinem Namen das Land spalte. Das könne die Nation sich nicht erlauben.

Berlusconis Verzicht mischt die politischen Karten in Rom neu. Morgen kommt die Wahlversammlung aus Abgeordneten, Senatoren und einigen Regionalabgeordneten zum ersten Wahlgang zusammen. Insgesamt sind 1008 Wahlmänner- und Frauen zugelassen, am Ende könnten es wegen Corona weniger sein. Doch die Verwaltung will auch den Corona-Positiven die Wahl ermöglichen, möglicherweise mit eigenem Zugang und Wahlzelt auf einem Parkplatz vor dem Parlament in Rom, vielleicht sogar per Drive-in. Jeden Tag soll nur ein Wahlgang stattfinden. Bis zum dritten Wahlgang ist eine Dreiviertelmehrheit der Stimmen notwendig. Ab dem vierten Wahlgang, wohl am Donnerstag, genügt die absolute Mehrheit.

Berlusconis Kalkül war es gewesen, auf die 450 Stimmen der Rechtsallianz aus seiner Forza Italia, der Lega Matteo Salvinis sowie der postfaschistischen Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni zählen zu können. Notwendig für die absolute Mehrheit wären überdies noch knapp 60 Stimmen gewesen, die Berlusconi von der Linken, der Fünf-Sterne-Bewegung oder vor allem den kleinen Parteien der Mitte zu erobern hoffte. Tagelang liefen die Telefondrähte heiß, Diese „Operation Eichhörnchen“ sei gescheitert, hatte der von Berlusconi für die persönliche Kampagne beauftragte Kunstkritiker und Parlamentarier Vittorio Sgarbi erklärt.

„Berlusconi auf dem Rückzug“, hatte La Repubblica schon am Freitag getitelt. Insider hatten da bereits vermutet, der gewiefte Taktiker könnte erst kurz vor Schluss aufgeben und den Kandidaten benennen, auf den dann die Stimmen der Rechtsallianz fließen. Berlusconi könnte sich so zum „Königsmacher“ des neuen Präsidenten mausern.

Schenkt man den italienischen Zeitungen Glauben, dann geht es dieser Tage hinter den Kulissen nicht nur um das Profil des neuen Staatsoberhaupts, vielleicht wäre es ja Zeit für eine Frau im höchsten Staatsamt? Viele Abgeordnete und Senatoren sind besorgt, nach der nächsten Wahl nicht mehr ins Parlament einzuziehen. Die Kammern werden nach der regulären Wahl im Jahr 2023 von derzeit 1030 Sitzen um 50 Prozent reduziert. Nun droht mit der Wahl des Präsidenten das empfindliche institutionelle Gleichgewicht verloren zu gehen. Berlusconi kündigte an, bei einer Wahl von Premier Mario Draghi die Regierungskoalition zu verlassen. Manche sprechen von politischer Erpressung.

So wird in Rom dieser Tage die Quadratur des Kreises gesucht. Viel deutet darauf hin, dass am Ende doch Draghi den Zuschlag bekommt, er hat den größten Konsens unter allen Kandidaten. Die Regierung würde dann wohlauseinanderbrechen, Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen. Silvio Berlusconi wird nicht Staatsoberhaupt, das Schicksal Italiens liegt dieser Tage aber trotzdem wieder einmal in seinen Händen.