Als Reaktion auf die aktuelle Lage an der EU-Ostgrenze setzt die Europäische Union in Teilen ein Abkommen über Visa-Erleichterungen mit Weißrussland aus, die Amtsträger des Regimes betreffen. Weitere EU-Sanktionen sind in Vorbereitung, sie sollen den Transfer potenzieller Flüchtlinge nach  Weißrussland reduzieren. Nach Angaben von Diplomaten könnten diese Sanktionen bereits bei dem EU-Außenministertreffen am kommenden Montag offiziell beschlossen werden.

Die erörterten Sanktionen sollen es unter anderem ermöglichen, in der EU ansässige Unternehmen zu zwingen, mit sofortiger Wirkung sämtliche Geschäftsbeziehungen zu der belarussischen Fluggesellschaft Belavia einzustellen. Dies würde unter anderem zur Folge haben, dass Flugzeugleasinggesellschaften an die Airline ausgeliehene Maschinen zurückfordern müssten. Zudem könnten auch Reiseveranstalter sowie Fluggesellschaften aus Drittstaaten ins Visier genommen werden. Öffentlich diskutiert wurde etwas über die Rolle der halbstaatlichen, türkischen Fluggesellschaft Turkish Airlines (THY), die Belarus laut Flugplan zehn Mal im Monat anfliegt. Von Istanbul aus gehen zurzeit täglich ein bis zwei THY-Direktflüge nach Minsk. Turkish Airlines dementierte am Dienstag Medienberichte und widersprach der Darstellung, dass die Fluggesellschaft gezielt Migranten von der Türkei aus nach Belarus bringe.

Auch Aeroflot betroffen?

Abgesehen von Belavia und Turkish Airlines war in Presseberichten aber auch über eine mögliche Rolle der russischen Fluglinien Aeroflot bei Flüchtlingsflügen nach Belarus spekuliert worden. Brüssel "untersuche Flüge von Russland und die mögliche Beteiligung Russlands im Allgemeinen", kommentierte diese Berichte ein Sprecher der EU-Kommission.

In der EU hofft man, mit Druck auf sowie der Sanktionierung von Fluggesellschaften die Anzahl der Personen reduzieren zu können, die aus armen oder konfliktreichen Ländern nach Belarus kommen. Der Führung in dem Land wird vorgeworfen, gezielt Migranten ins Land zu holen, um sie dann zur Weiterreise in die EU an die Grenze zu Polen zu bringen. Die Vermutung ist, dass sich Machthaber Alexander Lukaschenko damit für Sanktionen rächen will, die die EU wegen der Unterdrückung der Zivilgesellschaft und der demokratischen Opposition erlassen hat.

Polen, Lettland und Litauen meldeten in den vergangenen Monaten tausende illegale Grenzübertritte aus Belarus. Die EU wirft dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko vor, Menschen aus dem Nahen Osten absichtlich nach Belarus und an die EU-Außengrenze zu lassen. In Brüssel wird vermutet, dass Lukaschenko damit Vergeltung für Brüsseler Sanktionen üben will, die im Zusammenhang mit der Niederschlagung von Protesten 2020 beschlossen worden waren.

Das belarussische Regierung wies am Dienstag internationale Anschuldigungen gegen das Land zurück. "Wir möchten die polnische Seite im Voraus davor warnen, beliebige gegen die Republik Weißrussland gerichtete Provokationen zu nutzen, um mögliche illegale Militäraktionen gegen benachteiligte unbewaffnete Menschen (...) zu rechtfertigen", heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Mitteilung des Außenministeriums in Minsk.


Litauen, das im Norden an Weißrussland grenzt, wollte am Dienstag angesichts der zugespitzten Lage an der EU-Außengrenze für einen Monat den Ausnahmezustand in der Grenzregion verhängen. Die Regierung des baltischen EU-Landes legte dem Parlament in Vilnius am Dienstag einen entsprechenden Beschluss zur Billigung vor. Der Ausnahmezustand soll demnach ab Mitternacht entlang der Grenze zu Belarus und fünf Kilometer landeinwärts gelten sowie in den Migrantenunterkünften.

"Menschenrechtsverletzung und Erpressung".

Österreichs Außenminister Michael Linhart (ÖVP) bezeichnete in einer Aussendung am Dienstag das Vorgehen von Belarus, Menschen zu importieren und an eine Grenze zu stellen, als "Menschenrechtsverletzung und Erpressung". Österreichs volle Solidarität gelte Polen und Litauen als leidtragende Staaten, erklärte er. "Wir müssen als Europäische Union zusammenstehen und uns entschlossen zur Wehr setzen. Das wird auch gezielte Maßnahmen gegen die Verantwortlichen in Minsk beinhalten", betonte er.

Linhart begrüßte gleichzeitig die Reise von EU-Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas in Herkunftsländer- und Transitländer der Flüchtlinge. " Wir müssen die Menschen, die sich hier freiwillig in Geiselhaft eines totalitären Regimes begeben, warnen, sich auf den Weg zu machen. Sie werden als namenlose Masse in einem zynischen Spiel missbraucht", erklärte der österreichische Außenminister, der sich derzeit auf Reisen in Zentralasien befindet.

"Die EU-Kommission muss Polen bei der Sicherung der EU-Außengrenze unterstützen und die nötigen Mittel für die Errichtung eines robusten Grenzzaunes bereitstellen", betonte am Dienstag Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). Hilfe bei der Registrierung von Migranten anzubieten sei hingegen ist das völlig falsche Signal, kommentierte Nehammer.

Die EU sei gefordert hier endlich tätig zu werden und die Lösung des Problems dürfte nicht alleine Polen überlassen werden, kommentierte am Dienstag Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP). "Wegducken und wegschauen ist jetzt keine Option mehr", erklärte sie und forderte einen "gemeinsamen EU-Außengrenzschutz".

Das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und die UN-Organisation für Migration (IOM) waren am Dienstag alarmiert über die Zustände im Grenzgebiet. Sie forderten beide Regierungen auf, humanitären Helfern ungehinderten Zugang zu den Gestrandeten zu gewähren. Es müsse geprüft werden, wer Schutz brauche und es müsse denen geholfen werden, die Asyl beantragen wollten. "Die Instrumentalisierung von Migranten und Flüchtlingen, um politischer Ziele zu erreichen, ist bedauerlich und muss aufhören", teilten sie mit. Es sei inakzeptabel, die Verzweiflung von Migranten und Flüchtlingen auszunutzen und ihnen unrealistische und irreführende.