Das ging schnell. Am Samstag reist Armin Laschet ins Krisengebiet. Gemeinsam mit Bundespräsident Frank Walter Steinmeier besucht der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Erftstadt. Die Kommune nahe Köln ist von der Flut besonders betroffen. Vor den Kameras spricht Steinmeier den Opfern sein Mitgefühl aus. Weiter hinten, im Eingang einer Feuerwehrhalle, steht Laschet und lacht über einen Scherz seiner Entourage. Da ist er wieder: Laschet, der Tapsige.

Für Armin Laschet könnte es im Wahlkampf eng werden.
Für Armin Laschet könnte es im Wahlkampf eng werden. © (c) AFP (INA FASSBENDER)
Der Unfall im AKW im japanischen Fukushima hatte auch Auswirkungen auf die deutsche Politik.
Der Unfall im AKW im japanischen Fukushima hatte auch Auswirkungen auf die deutsche Politik. © (c) dapd

Tags zuvor hatte Laschet den honeckerbeigen, leicht altväterlichen Blouson des Fluthelfers erstmal abgelegt. Mit blauem Anzug und Krawatte tritt er vor die Presse in Düsseldorf. Laschet ist jetzt zunächst als Ministerpräsident des von Extremwettern betroffenen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen gefragt. Also verspricht er als Landesvater unbürokratische Hilfe, mahnt Solidarität an und bringt das große Unglück auf eine griffige Formel: „Bei kleinen Flüssen ist der Schaden am größten.“ 

Armin Laschet hat aber auch noch ein anderes Amt. Er ist Kanzlerkandidat der Union für die Bundestagswahl im September. Daher erwähnt er – beiläufig, aber gezielt –, er habe umgehend mit Kanzlerin Angela Merkel in Washington telefoniert. Schon huscht ein Hauch von Weltbühne in die Düsseldorfer Landespolitik. Dann mahnt Laschet mehr Klimaschutz an und präsentiert sich als Primus: Bezogen auf das Basisjahr 1990 habe Nordrhein-Westfalen seinen Ausstoß an Klimagasen um 45 Prozent verringert. „Mehr als jedes andere Bundesland.“ Laschet mimt plötzlich den Klima-Kämpfer.
Die Überschwemmungen dieser Woche bescheren dem Bundestagswahlkampf eine grüne Welle. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Die Politik muss den Respekt vor den Opfern wahren, zugleich aber auch das politische Potenzial der Flutwelle ausloten. Entscheidend ist: Werden die Unwetter an Ahr, Sieg, Wupper und Erft zum Fukushima-Moment für die Wahl? 

Zur Erinnerung: Vor zehn Jahren überschwemmte eine Flutwelle das AKW im japanischen Fukushima. In Deutschland spülte der politische Fallout Winfried Kretschmann ins Ministerpräsidentenamt, Angela Merkel verkündete schließlich den Abschied vom Atomstrom.
Jetzt versucht man erst einmal das Ausmaß der Extremwetter zu verstehen. „Alle Bilder sind stärker als die Realität“, sagt SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz über seinen Besuch im Unwettergebiet an der Ahr. Scholz hat es einfach. Er ist Vizekanzler und Finanzminister – als solcher kann er schnelle Hilfen des Bundes versprechen. Und Scholz hat in Rheinland-Pfalz Unterstützung: SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer gibt die inoffizielle Wahlkampfhelferin. Gemeinsam reisen die beiden an die Ahr – qua Amt.

Baerbock hat es schwer ohne offizielle Funktion

Annalena Baerbock hat es da schwerer. Die Grünen-Spitzenkandidaten bricht ihren Urlaub ab. Aber ihr fehlt eine offizielle Funktion. Ins Krisengebiet reist sie ohne Kameras. Nur keine falschen Inszenierungen.  
Schlechte Beispiele gibt es genug. Edmund Stoiber etwa kam 2002 nicht nur verspätet ins Flutgebiet an der Elbe, er trug auch noch Spitzenschuhe. Schon war er vorbei, der Traum vom Kanzleramt. Trifft es nun den Scherzbold Laschet?

Ein kleiner Moment kann eine Wahl entscheiden. Das zeigt die 
Geschichte: Der greise Ronald Reagan konterte seinen jungen Herausforderer Walter Mondale einst mit dem legendären Satz: „Ich werde die Frage des Alters nicht zum Wahlkampfthema machen.“ Angela Merkel degradierte Martin Schulz vor vier Jahren mit dem Hinweis: „Sie kennen mich.“In Krisenzeiten gilt es Balance zu wahren zwischen dem Respekt vor den Opfern und dem Agendasetting. Die Kandidaten geben sich präsidial wie SPD-Herausforderer Scholz. Oder überlassen den Angriff anderen wie Grünen-Front-Frau Baerbock. „Wer so unsouverän reagiert, hat offenbar ein schlechtes Gewissen angesichts der eigenen Politik“, ätzte der der Grünen-Bundestagsabgeordnete Sven Lehmann über Laschet. 

Die FDP gibt sich staatsmännisch und setzt ihren Wahlkampf aus.  
„Unsere Gedanken sind bei den Opfern und den Einsatzkräften. Jetzt stehen nicht parteipolitische Unterschiede im Zentrum, sondern gemeinsame Solidarität und rasche Nothilfe“, twitterte FDP-Chef Christian Lindner. Armin Laschet changiert zwischen Ministerpräsidentenamt und Kanzleramtsambitionen. Als Landesvater gibt er den Kümmerer, als Kanzlerkandidat den Klimamacher. Nicht ungefährlich, das Ganze. Seine gewagte These von Nordrhein-Westfalen als Klimavorreiter hatte er schon zuvor in einem Fernsehinterview vertreten. „Sie haben Windenergie eher behindert“, konterte die Moderatorin Susanne Wieseler. Dass Laschet mehrfach deren Namen vergas („junge Frau“), führte am Wochenende zu einer Twitter-Debatte. Und plötzlich war Laschet zurück als wandelndes Risiko.

Nicht ungefährlich für Laschet

Die Unwetter zeigen, wie ernst es ums Klima steht. Selbst der als Klimaaktivist unverdächtige Innenminister Horst Seehofer (CSU) erklärt:  „Diese extremen Wetterkapriolen sind Folgen des Klimawandel.“ Das ist nicht unbedingt von Vorteil für Laschet, der in NRW den Braunkohleabbau vorantrieb. Auch, wenn er seine Rolle rund um den Hambacher Forst nun minimiert. 

Die Bundestagswahl hat ein neues Thema: Klima. Die Frage ist: Reicht das Klima als Kipppunkt? Eine Wahl, das wissen die Forscher, entscheidet sich an drei Faktoren: Person, Partei und Profilthema. Das Thema Klimaschutz hat Kommissionschefin Ursula von der Leyen mit dem Klimapaket 2030 der EU gerade abgeräumt. Für die Grünen bleiben vornehmlich Debatten über Nachkommastellen. Lästige Detailfragen. Die Umweltpartei plagt eine andere Sorge: Die Grünen stehen gut da, aber die Kandidatin schwächelt. In der Enttäuschung würde mancher Olaf Scholz wählen, das Problem ist: Den gibt es nur mit der SPD. So hatte Laschet spätestens nach der Wahl in Sachsen-Anhalt leichtes Spiel. Die CDU gibt sich als Damm nach Rechtsaußen und moderiert den Wandel. Ein Land in Sicherheit – klassisches Unionsthema. 
Die Partei hatte sich abgekoppelt von der Person Laschet und setzte zum Höhenflug an. Mit der Flut rückt der Kandidat wieder in den Vordergrund – und damit das Flatterhafte von Laschet. Daheim in Nordrhein-Westfalen ist er nun wieder als Krisenmanager gefragt. Zur Erinnerung: In der Pandemie klappte das nicht ganz so gut. Es geht also weniger um Fukushima und Klima, sondern um etwas Trivialeres: Laschet, der Unberechenbare, ist zurück auf der politischen Bühne. Für die Union ist das nicht ungefährlich.