Im weltweiten Vergleich landet Japan in puncto Gleichberechtigung noch immer im unteren Drittel, hinter Ländern wie Ruanda und Bangladesch.

Der Fall Yoshiro Mori hat auf ein in Japan seit vielen Jahren kritisiertes Problem hingewiesen, auf die strukturelle Benachteiligung von Frauen. Für dieses Problem gibt es in Japan auch einen Namen: „josei besshi“. 

Yoshiro Mori war Vorsitzender des Organisationskomitees für die Olympischen Spiele in Tokio. Er musste zurücktreten, weil er den Beschluss des japanischen Olympischen Komitees, den Anteil von Frauen auf 40 Prozent zu erhöhen, kritisierte. "Wenn viele Frauen in einem Komitee sitzen, braucht es für die Diskussionen viel Zeit", hatte er gesagt. Denn Frauen hätten einen starken Sinn für Rivalität. "Wenn eine von ihnen ihre Hand hebt, denken sie wahrscheinlich, dass sie auch etwas sagen müssen. Und dann sagen alle etwas", erklärte er. Im Klartext sagte der 83-Jährige: Frauen reden zu viel!

Womit Mori, der auch einmal Premierminister Japans war, nicht gerechnet hatte: Der Aufschrei seiner sonst so zurückhaltenden Landsleute war enorm. Er musste zurücktreten.

Dabeisein. Und schweigen.

Nun reagierte auch Japans Regierungspartei auf den Sexismus-Eklat:  Frauen sollen ab sofort bei wichtigen Treffen dabei sein. Zusatz: Wenn sie nicht reden. Die regierende Liberaldemokratische Partei hat vorgeschlagen, dass fünf Frauen als Beobachterinnen an den wichtigsten Treffen der Partei teilnehmen sollen. Schweigend, versteht sich.

Toshihiro Nikai, der 82-jährige Generalsekretär der Partei, sagte Anfang der Woche, er habe die Kritik gehört, dass der Vorstand der Partei von Männern dominiert werde. Er fügte aber hinzu, dass die Vorstandsmitglieder gewählt würden. Dennoch: Es sei wichtig für die weiblichen Mitglieder der Partei, sich den Entscheidungsprozess der Partei "anzuschauen", sagte er.

"Es ist wichtig zu verstehen, welche Art von Diskussionen stattfinden. Schauen Sie sich das an, darum geht es", sagte Nikai auf einer Pressekonferenz. Die Beobachterinnen dürfen während der Sitzungen allerdings nicht sprechen. Sie können aber ihre Meinung separat beim Sekretariat einreichen, berichtete die Tageszeitung "Nikkei".

Verkrustete Strukturen

"In einer Gesellschaft, in der Jahrhundertelang das konfuzianische Prinzip des 'dasonjohi' (= noble Männer, demütige Frauen) galt, ist der Wandel schwierig und langwierig", schreibt Sibylle Herden in ihrer Studienarbeit "Zur Emanzipation und Rolle der Frau in Japan".

Die Äußerungen des zurückgetretenen ehemaligen Premierministers  und auch die Reaktion der Regierungspartei zeigen, wie tief der Sexismus in der japanischen Gesellschaft verwurzelt ist. Auf dem Global Gender Gap Index 2020 des Weltwirtschaftsforums liegt Japan auf Platz 121 von 153 Ländern - der schlechteste Wert unter den fortgeschrittenen Ländern. Japan schneidet auch bei der wirtschaftlichen Teilhabe und der politischen Mitbestimmung von Frauen schlecht ab.

Eine Gruppe weiblicher Abgeordneter der Liberaldemokratischen Partei forderte Nikai nun auf, den Anteil von Frauen in Schlüsselpositionen der Partei zu erhöhen. Und die Forderung, dass weibliche Beobachterinnen bei Versammlungen still sein müssen, zeige wohl, dass die Partei nicht auf dem aktuellen Stand der Diskussion sei. Auf Twitter erklärten Japanerinnen und Japaner, dass sich die männerzentrierte Sichtweise der Partei seit der Mori-Kontroverse offensichtlich nicht geändert habe.

"Die Leute werden die Frauen einfach als eine Art PR-Übung hinstellen", sagte Belinda Wheaton, eine Kultursoziologin und Japan-Expertin an der Universität von Waikato in Neuseeland, zu Reuters. "Es ist wahrscheinlich an der Zeit, die Frage zu stellen, ob nicht ein Mann in seinen 40ern oder 50ern, oder vielleicht sogar eine Frau" besser für das Land sorgen könne als die schon so lange herrschenden 70- und 80-jährigen Männer, die die Überfuhr in die Neuzeit verschlafen hätten.