Am heutigen Sonntag wird man sehen, wie stark die Separatistenbewegung in dieser widerspenstigen Region Spaniens noch ist: 5,5 Millionen Wahlberechtigte sind in Katalonien aufgerufen, ein neues Regionalparlament zu wählen. Ein Parlament, in dem der antispanische Block bisher eine knappe Mehrheit hatte.

Seit zehn Jahren amtiert in der katalanischen Hauptstadt Barcelona eine separatistische Regionalregierung, die die Unabhängigkeit vorantreibt und damit im Clinch mit dem spanischen Staat ist. Dreieinhalb Jahre nach dem gescheiterten Versuch unter Carles Puigdemont die Unabhängigkeit auszurufen, soll Katalonien ein neues Parlament wählen. Mitten in der schwersten Pandemie.

Die Neuwahl wurde notwendig, weil Spaniens Justiz Puigdemonts Nachfolger Quim Torra im Herbst wegen Ungehorsams seines Amtes enthob. Torra hatte sich während des Wahlkampfs im Frühjahr 2019 geweigert, an seinem Amtssitz separatistische Symbole zu entfernen.
Für Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez geht es um eine Schicksalswahl. Daher zog er seinen populären Gesundheitsminister in Madrid ab und schickte den Katalanen für die Sozialisten nach Barcelona. Denn wäre Salvador Illakünftig Regionalpräsident in Katalonien, hätte Sánchez fürs Erste Ruhe. Die Chancen für Illa stehen gar nicht schlecht. Der 54-Jährige, der aussieht wie Gary Oldman im Film „Dame, König, As, Spion“, hat sich durch seine sachliche Krisenbewältigung beliebt gemacht, aktuellen Umfragen zufolge gewinnt er die Wahl.

Ob er sich nicht schäme, wegen der Katalonienwahl mit seinem Rücktritt als Gesundheitsminister Spanien in seiner schwersten Stunde im Stich zu lassen, hatte ihn ein Journalist kürzlich gefragt. „Es stimmt, die Pandemie ist noch nicht vorbei“, antwortete Illa, „aber wir sind am Anfang ihres Endes.“ Dabei: Die Infektionszahlen verdreifachten sich in Spanien seit Weihnachten, die Intensivstationen stehen vor dem Kollaps und täglich werden fast 400 Coronatote gemeldet.

Besonders paradox klingt in diesem Zusammenhang, dass laut nationaler Wahlkommission auch Menschen mit aktiver Corona-Infektion ihre Quarantäne unterbrechen dürfen, um am Sonntag direkt im Wahllokal ihre Stimme abzugeben.

„Bis neun Uhr früh am Wahltag wissen wir nicht, ob die Wahl tatsächlich stattfinden kann“, sagte der Chef der Wahlkommission in Kataloniens Hauptstadt Barcelona in einem Interview mit „La Vanguardia“. Reihenweise würden Wahlhelfer abspringen, die sich mit ärztlichen Attesten freistellen lassen. Sie hätten schlicht Angst sich anzustecken. Laut Umfragen wollen höchstens 58 Prozent der 5,5 Millionen Wahlberechtigten unter diesen epidemiologischen Umständen überhaupt wählen gehen.

Die Separatisten

Der Ex-Präsident von Katalonien, Carles Puigdemont, der sich noch immer auf der Flucht vor der spanischen Justiz in Belgien befindet, steht auf dem ersten Platz der Kandidatenliste seiner Partei Junts per Cataluyna. Jetzt hat er in einem Video eingeräumt, dass er selbstverständlich kein wirklicher Kandidat sei. Doch er wolle dazu beitragen, dass Junts-Kandidatin Laura Borrás die erste Präsidentin der Regierung von Katalonien werde.

Oriol Junqueras vom moderaten separatistischen Flügel Esquerra Republicana und acht seiner Mitstreiter, die zu langen Haftstrafen verurteilt sind, wurde im Wahlkampf der offene Vollzug gewährt. Selbst kandidieren dürfen sie nicht, aber trommeln: für ihren Traum von der unabhängigen „Katalanischen Republik“. Tagsüber und an den Wochenenden können sie sich außerhalb der Gefängnisse aufhalten.
Bleibt die Frage, ob die Fundamentalisten und die Moderaten an einem Strang ziehen, wenn es hart auf hart geht. „Zwar sind sich die Unabhängigkeitsbefürworter über ihre Strategie uneiniger denn je, doch kann man damit rechnen, dass die spanischen Repressionsmaßnahmen sie immer wieder zusammenschweißen“, erklärt Politologe Klaus-Jürgen Nagel von der Universität Pompeu Fabra in Barcelona.

Die Linkskoalition in Madrid scheine die Grundfrage, wie man eine katalanische Selbstbestimmung einräumen könnte, auch nicht angehen zu wollen, wohl auch, „weil man den spanischen Nationalismus der eigenen Mitglieder und Anhänger und der Medien fürchtet“, resümiert der Politologe. Man vertraue darauf, dass das Ausland und die EU weiterhin die spanische Position unterstützt.

In der Pandemie hat Madrid in den Augen Barcelonas mehr denn je versagt. Auf das Virus wurde zu spät reagiert, dann wurde die Bekämpfung zentralisiert und militarisiert. „Corona hatte die katalanische Frage zwischendurch tiefgekühlt“, sagt Politologe Nagel, „aber sie wurde nur konserviert, wenn es wieder taut, ist sie wieder da.“