Der renommierte Sacharow-Menschenrechtspreis des Europaparlaments (dotiert mit 50.000 Euro) geht in diesem Jahr an die Opposition in Weißrussland. Die Vertreter der Opposition verkörperten tagtäglich den Kampf für Menschenrechte und Meinungsfreiheit, begründete EU-Parlamentspräsident David Sassoli. Sie alle seien starke Menschen angesichts eines sehr mächtigen Gegners. "Aber sie haben etwas auf ihrer Seite, das rohe Gewalt niemals besiegen kann: die Wahrheit", sagte Sassoli.

Swetlana Tichanowskaja forderte bei der Verleihung am Mittwoch im Brüsseler Plenarsaal mehr konkrete Unterstützung von der Europäischen Union. "Eure Solidarität und eure Stimme sind wichtig, aber es sind Taten, die zählen", sagte sie. Das Einstehen für Menschenrechte und Demokratie sei keine Einmischung in innere Angelegenheiten, sondern die Pflicht jedes sich selbst respektierenden Staates. Ohne ein freies Belarus sei auch Europa nicht vollkommen frei.

Österreichische EU-Abgeordnete gratulierten der weißrussischen Opposition. Der ÖVP-Europaabgeordnete Christian Sagartz, die SPÖ-EU-Abgeordnete Bettina Vollath und Thomas Waitz von den Grünen würdigten die Preisträger für ihren Kampf um Demokratie nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl vom 9. August.

Sagartz, stellvertretender Vorsitzender des Unterausschusses für Menschenrechte, betonte, dass die frühere Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja, ihre Mitstreiterinnen und Unterstützer unermüdlich um Demokratie, Freiheit und Menschenrechte in Weißrussland (Belarus) ringen - unter der Gefahr, durch die Schergen Lukaschenkos verprügelt, verschleppt und gefoltert zu werden. "Mit dem Sacharow-Preis honoriert das Europaparlament diesen bewundernswerten, riskanten und konsequenten Einsatz, der zu einem ganz großen Teil von mutigen Frauen getragen wird. Er ist ein klares Signal der Unterstützung für die Menschen in Belarus gegen das brutale Lukaschenko-Regime, das die Menschenrechte mit Füßen tritt", betonte Sagartz in einer Aussendung.

"Der Sacharow-Preis soll die Menschen in ihrem unermüdlichen und mutigen Begehren nach Meinungsfreiheit, fairen Wahlen und demokratischen Grundrechten ehren und bestärken", ergänzte Vollath, ebenfalls Mitglied im Menschenrechtsausschuss. "Es ist ein lauter und deutlicher Ruf für Freiheit und Demokratie in ganz Europa, den wir als Europäisches Parlament unterstützen". Vollath wies darauf hin, dass die breite Oppositionsbewegung in Weißrussland (Belarus) alle Alters- und Gesellschaftsschichten umfasst, "besonders aber vom Engagement furchtloser Frauen getragen wird".

Waitz rief anlässlich der Vergabe des Sacharow-Preises zur Unterstützung der weißrussischen Opposition auf: "Es ist Zeit für einen demokratischen Wandel. Weiterhin gehen jede Woche Menschen auf die Straße und kämpfen unter Lebensgefahr für ihr Land. Ihnen gebührt höchsten Respekt und unsere Solidarität", erklärte Waitz und ergänzte: "Die EU wird die belarussische Opposition in ihren Demokratiebestrebungen weiterhin unterstützen."

Swetlana  Tichanowskaja nahm den Sacharow-Menschenrechtspreis in Brüssel stellvertretend für alle ihre Mitstreiterinnen entgegen.

Die frühere Fremdsprachenlehrerin und Übersetzerin hat sich zur Anführerin der Demokratiebewegung entwickelt. Die Bürgerrechtlerin hatte überraschend eine Zulassung zur Präsidentenwahl erhalten, nachdem Machthaber Alexander Lukaschenko ihren Ehemann ins Gefängnis wegsperren ließ.

Seit der Präsidentenwahl am 9. August gibt es in Weißrussland regelmäßig Proteste. Das Land steckt in einer schweren innenpolitischen Krise.

Der Ehemann der 38-Jährigen, Sergej Tichanowski, erhielt ebenso wenig eine Zulassung zur Wahl wie der zum Start des Wahlkampfes inhaftierte Viktor Babariko. Tichanowskaja hatte trotz Drohungen der Behörden kandidiert.

Veronika Zepkalo, Tichanowskaja und Maria Kolesnikowa (von links)
Veronika Zepkalo, Tichanowskaja und Maria Kolesnikowa (von links) © AP

Mit Babarikos Wahlkampfmanagerin Maria Kolesnikowa und Veronika Zepkalo, der Ehefrau des politisch engagierten IT-Unternehmers Waleri Zepkalo, schlossen sich die Frauen zu einem kämpferischen Trio zusammen. Sie hatten bei ihren Auftritten im Straßenwahlkampf großen Zulauf - trotz massiver Behinderung durch die Behörden.

Die Frauen-Troika mit Tichanowskaja an der Spitze wurde schnell zum Symbol des Widerstands gegen Lukaschenko.

Der 66-jährige Lukaschenko ließ sich nach 26 Jahren an der Macht zum sechsten Mal in Folge zum Präsidenten ausrufen – mit mehr als 80 Prozent der Stimmen. Aber Tichanowskaja und ihre Mitstreiterinnen zweifelten das Ergebnis an. Ihre Anhänger erklärten sie zur wahren Siegerin, doch dann wurde die Mutter zweier Kinder zur Ausreise in das EU-Nachbarland Litauen gezwungen. Dort hatte sie aus Angst um die Familie die Kinder im Wahlkampf in Sicherheit bringen lassen. Ihr wurde nicht nur einmal damit gedroht, dass sie das Sorgerecht für ihre Kinder verlieren werde. Auch Veronika Zepkalo flüchtete ins Exil.

Über Wochen führte daraufhin die in Stuttgart ausgebildete Flötistin Kolesnikowa die Massenproteste gegen Lukaschenko an. Nach ihrer Entführung durch den Geheimdienst KGB - der in Weißrussland tatsächlich immer noch so heißt -  und der gescheiterten Abschiebung in die Ukraine landete die Oppositionsführerin im Gefängnis - wie viele ihrer Mitstreiter und Mitstreiterinnen.