Im Koalitionsvertrag sind sie noch Partner. Doch der ist kaum mehr das Papier wert, auf dem er geschrieben steht. Gut war die Beziehung zwischen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu vom konservativen Likud und Benny Gantz, Vorsitzender der Zentrumspartei Blau-Weiß, nie. Jetzt dürften die Risse kaum mehr zu kitten sein. Am Mittwoch wurde ein Misstrauensvotum gegen die israelische Regierung angenommen – und Gantz stimmte mit Ja.

Bei der Abstimmung unterstützten 61 zu 54 Abgeordnete das Vorhaben, die Knesset aufzulösen. Zwar bedarf es dreier weiterer Durchgänge, zweifelsohne aber ist es der erste Schritt auf dem Weg zu Neuwahlen. Es wären die vierten innerhalb von weniger als zwei Jahren.

Die politische Krise hatte nicht erst damit begonnen. Zuvor gab es in Jerusalem mehr als ein Jahr lang eine Übergangsregierung, und nach den Wahlen im März steht eine dysfunktionale Koalition aus Likud, Blau-Weiß sowie den ultraorthodoxen Parteien an der Spitze, die mehr streitet als regiert. In Zeiten von Covid-19 und der daraus resultierenden Gesundheits- sowie Wirtschaftskrise eine denkbar ungünstige Konstellation.

Gantz, der in der Rotationsvereinbarung der Koalition als Premier nachrücken sollte, ist sicher, dass weder dies geschehen noch der Haushalt für 2021 abgesegnet wird. Beides würde ein Ende der Regierung bedeuten. Netanjahu jedoch beharrt darauf, dass er gegen Neuwahlen und für die Einheit des Volkes sei. Blau-Weiß konterte, dass das Volk genug von Netanjahus Lügen habe. In Anlehnung an das Korruptionsverfahren gegen den Regierungschef und die Verzögerungstaktiken, ein Staatsbudget zu erlassen, hieß es weiter: „Gebe es keinen Prozess, hätten wir einen Etat.“

Ist der Haushalt nicht bis Ende Dezember verabschiedet, werden automatisch Neuwahlen eingeleitet. Oppositionsführer Jair Lapid (Jesch Atid) wollte es mit dem Votum vorher erreichen: „In wenigen Stunden können wir das Ende der schlimmsten Regierung herbeiführen, die es in der Geschichte des Landes gegeben hat.“ Wirtschaftsminister Amir Peretz von der Arbeitspartei stimmte dem zu. „Es kann nicht sein, dass wir mit einer Regierung weitermachen, bei der die einzige Gewissheit die Ungewissheit ist.“

Auch die Verbindung zwischen Lapid und Gantz, die noch als Team in den Wahlkampf gezogen waren, ist angestrengt. Als Gantz sich entschied, wegen der Coronakrise mit Netanjahu eine Regierung zu formen, zerbrach die gemeinsame Liste. Und die Freundschaft obendrein. Jetzt bittet Lapid, es noch einmal zu versuchen. „Denn es gibt keine andere Alternative zu Netanjahu.“

Aus der Sicht der Links- und Zentrumsparteien mag das stimmen. Die nationalreligiöse Partei Yamina („Rechts“) unter der Leitung von Naftali Bennett sieht das völlig anders. Bei den vergangenen Wahlen holte sie sechs Sitze, derzeit liegt sie in Umfragen mit bis zu 25 nur knapp hinter dem Likud. Grund sind die israelischen Wähler von konservativen Parteien, viele sephardische Juden. Sie stimmen traditionell für rechts und lehnen, selbst wenn sie sich gegen Netanjahu stellen, die meist von aschkenasischen Israelis gegründeten Mitte- oder Links-Parteien kategorisch ab.

Bennett sieht sich nach eigenen Angaben bereits auf dem Sessel des Premiers Platz nehmen. Sehr zu Netanjahus Entrüstung, denn die beiden verbindet eine jahrelange persönliche Fehde, die nach Angaben von israelischen Medien besonders von Netanjahus Ehefrau Sara immer neu entfacht wird.

Gantz sagte nach seiner Entscheidung für das Misstrauensvotum: „Ich hatte keine Illusionen über Netanjahu, sondern kannte seine Bilanz als dauerhafter Vertragsbrecher.“ Trotzdem habe er gedacht, das Volk sei wichtiger und Netanjahu würde mit der Aufgabe wachsen. „Ich habe mich getäuscht.“