Die auf dem blauen Nissan-Pickup versteckte Bombe war so gewaltig, dass sie sogar die örtliche Stromversorgung ausknockte. Mohsen Fakhrizadeh war auf dem Weg nach Hause in den Bergort Absard östlich von Teheran, als die Wucht der Explosion seinen Wagen zum Stehen brachte. Die Attentäter rasten in einem SUV heran, schalteten die Leibwächter aus und eröffneten das Feuer auf den „Vater des iranischen Atomprogramms“, wie Israels Premier Benjamin Netanjahu den Getöteten nannte. Auf dem Asphalt zurück ließen sie den schwer verletzten Atomphysiker, der wenig später im Krankenhaus starb.

Die Bluttat trägt die Handschrift des israelischen Geheimdienstes Mossad und könnte kurz vor Ende der Amtszeit von Donald Trump in einen militärischen Schlagabtausch zwischen den Vereinigten Staaten und der Islamischen Republik münden. Erst vorletzte Woche diskutierte der scheidende US-Präsident mit engsten Vertrauten Möglichkeiten, Irans Atomanlagen zu bombardieren. Vizepräsident Mike Pence, Außenminister Mike Pompeo und Generalstabschef Mark Milley rieten ab. Trotzdem ließ das Pentagon demonstrativ zwei B-52-Bomber, die Atombomben abwerfen können, von ihrer  Luftwaffenbasis in Nord Dakota aus zu einem Non-Stop-Flug an den Golf starten, „um Aggressionen zu vereiteln und die US-Partner zu beruhigen“, wie das Oberkommando mitteilte. Die israelische Armee erhielt nach lokalen Medienberichten die Anweisung, sich für mögliche Vergeltungsschläge Teherans zu rüsten.

Rache geschworen

Denn die iranische Führung schwört Rache. Für sie und ihren Sicherheitsapparat war 2020 ein Jahr spektakulärer Blamagen. Am 3. Januar ermordete eine US-Drohne nahe dem Internationalen Flughafen von Bagdad den populären General der Al-Quds-Auslandsbrigade, Qassim Soleimani. Im Juli zerstörte mitten in der schwer bewachten Atomanlage Natanz eine gewaltige Explosion das technische Herzstück des Nuklearprogramms, eine Halle wertvoller Maschinen, mit denen Iran seine neuesten Uran-Hochleistungszentrifugen montiert und testet. Satellitenfotos zeigten ein zu drei Vierteln verkohltes Gebäude, im Umkreis von hundert Metern verstreut lagen die Trümmer. Wochen später räumte die iranische Führung ein, es habe sich um einen Sabotageakt gehandelt.

Auch in anderen Teilen der Islamischen Republik kam es während des Sommers immer wieder zu mysteriösen Bränden und Explosionen. In Shiraz und Isfahan brannten nacheinander die Kraftwerke, in der Hafenstadt Mahshahr fing eine Chemiefabrik Feuer. Von einem Krankenhaus im Norden Teherans blieb nach einer gewaltigen Detonation nur eine Ruine, in der 19 Menschen starben. Kurz danach stand ein weithin sichtbarer Feuerball über dem Militärgelände von Parchim nahe der Hauptstadt, wo ballistische Raketen produziert werden.

Mit dem 62-jährigen Mohsen Fakhrizadeh traf es letzten Freitag einen Mann, der nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste seine Arbeitskraft vor allem in die Entwicklung von Raketenköpfen für Atombomben gesteckt haben soll. Außer Israel gebe es kein anderes Land der Welt, was offenbar ohne eigene Verluste auf dem Boden seines größten Feindes zuschlagen könne, kommentierte der frühere CIA-Experte Bruce Riedel von der Brookings Institution. „Das Ganze ist beispiellos, und es sieht nicht so aus, als hätte der Iran ein Rezept dagegen.“

Dilamma für Führung in Teheran

Diese Häufung schwerster Attentate stellt die tief zerstrittene Machtelite der Islamischen Republik vor ein politisches Dilemma. Mit Qassim Soleimani verlor sie ihren besten General, mit Mohsen Fakhrizadeh ihren wichtigsten Atomforscher, der am Montag in einem Staatsbegräbnis beigesetzt werden soll. Entsprechend drängen die Hardliner auf eine rasche und harte Antwort. Wenn der Iran nichts tue, würden Israel und die USA nur zu weiteren Terroraktionen ermutigt, argumentierten ihre Vertreter. „Auge um Auge - bereitet euch vor, Zionisten“, titelte die konservative Zeitung Kayhan.Revolutionsführer Ali Khamenei erklärte zur obersten Priorität, „das Verbrechen aufzuklären und die Täter definitiv zu bestrafen“.

Mit einer iranischen Kommandoaktion oder gar einen offenen Waffengang jedoch riskieren die Hardliner daheim den weiteren wirtschaftlichen Niedergang und neue innere Unruhen, wie zuletzt vor einem Jahr im November 2019. Damals gingen Hunderttausende auf die Straßen, die schwerste Erschütterung des Regimes seit Gründung der Islamischen Republik 1979. Teherans Machthaber reagierten mit brutaler Repression. An zahlreichen Orten eröffneten die Sicherheitskräfte das Feuer, zwischen 300 und 1500 Menschen starben, die genaue Zahl der Opfer liegt bis heute im Dunkeln.

Hoffen auf Biden

Die Moderaten um Präsident Hassan Rowhani dagegen wissen, nur wenn Iran diese Demütigung wegsteckt, gibt es nach der Amtseinführung von Joe Biden eine Chance für die Rückkehr zum Atomvertrag und für die dringend nötigen Erleichterungen bei den Sanktionen. „Wir werden zu gegebener Zeit antworten“, versuchte Rowhani die aufgebrachten Gemüter in einer Fernsehansprache zu beruhigen und warb für „strategische Geduld“ – will heißen, warten auf den Machtwechsel in Washington am 20. Januar. „Der Zeitraum von heute bis zu dem Tag, an dem Trump das Weiße Haus verlässt, ist für den Iran der gefährlichste“, twitterte Mohammad-Hossein Khoshvaght, ehemaliger Mitarbeiter des moderaten Präsidenten Mohammed Chatami.

Für Rowhani war der Atomvertrag 2015 der größte diplomatische Erfolg seiner Präsidentschaft, bis Trump im Mai 2018 aus dem Abkommen ausstieg und die Sanktionen reaktivierte. Rowhanis Amtszeit endet 2021, am 18. Juni wird sein Nachfolger gewählt. Ein weiterer moderater Kandidat allerdings hätte nur dann eine Chance, wenn es bis dahin erste Lichtblicke im Verhältnis zu Amerika unter Biden gibt.