Zwei Jahre ist es her, seit ein von einem slowakischen Oligarchen gekaufter Mörder den Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak und dessen Verlobte Martina Kušnírová in ihrem Haus kaltblütig erschoss. Seither ist die Slowakei nicht mehr, wie sie vorher war. Premier Robert Fico und sein Intimus, Innenminister Robert Kaliňák, spielten sich anfangs als große Aufklärer auf. Als jedoch ruchbar wurde, dass Kuciak in seinem nächsten Artikel Belege für die enge Verflechtung mafiöser Strukturen mit höchsten Regierungsstellen schreiben wollte, mussten sie zurücktreten. Zehntausende Menschen gingen aus Protest gegen die Zustände in ihrem Land auf die Straße. Das landesweite Entsetzen schlug um in Wahlergebnisse: Erst wurde mit Zuzana Čaputová eine sozialliberale Anwältin zur Präsidentin gewählt. Und auch bei den Europawahlen, die eigentlich eine weitere Abrechnung mit dem System Fico war, siegten die liberalen Kräfte.

Die am Samstag anstehenden Parlamentswahlen könnten diesen Trend fortsetzen. Die Wähler lesen täglich, was sich im Fall Kuciak abgespielt hat. Es sind schlimme Dinge, die vom Prozess vor einem Sondergericht über die Todesschützen, seine Helfershelfer und vor allem über den mutmaßlichen Auftraggeber, Marián Kočner, bekannt werden. Letzterer hat offenkundig nicht nur hochrangige Polizisten und Staatsanwälte wie Marionetten geführt. Er war auch eng verbandelt mit Fico.

Ficos Partei wird bluten

Ficos nationalistische Partei Smer ("Richtung"), die sich selbst „sozialdemokratisch“ nennt, wird bei den Wahlen bluten. Zwar liegt sie in den Umfragen mit 17 Prozent noch an erster Stelle. Aber sie hatte in ihrer besten Zeit, im Jahre 2012, 44,4 Prozent der Stimmen. Fico selbst hat den Posten des Premiers an seinen Parteifreund Peter Pellegrini abgegeben. Pellegrini ist eine Art „Fico mit menschlichem Antlitz“. „Der hat aber nur Dinge in die Wege geleitet, die mit Fico abgesprochen waren“, sagt Štefan Hríb, Chefredakteur des Wochenblatts Týždeň.

Pellegrini und seine Partei Smer verzichteten darauf, wie in früheren Wahlkämpfen große Wahlmeetings abzuhalten. Fico trat dort überhaupt nicht auf. Der Premier beschränkte sich darauf, die Partei in Interviews in ein gutes Licht zu rücken. Smer verfüge über eine lange Erfahrung in der Regierungsarbeit. Die Opposition habe  nur politische Laienspieler zu bieten. Doch Pellegrini suchte die Wähler auch mit Wohltaten zu locken. Er versprach ihnen unter anderem ein um 100 Prozent erhöhtes Kindergeld und den Älteren eine 13. Monatsrente. Alles selbstverständlich aus Steuergeldern. Als die Opposition im Parlament die Behandlung dieser Gesetze zu verhindern suchte, rief er ihr zu: „Gehen Sie zu den Eltern, gehen Sie zu den Rentnern,  und sagen Sie ihnen Auge in Auge, dass Sie das ablehnen.“ 

Entlarvendes Video

Vor Wochen noch hatte der Vorgänger von Präsidentin Čaputová, Andrej Kiska, mit seiner Partei „Für die Menschen“ größte Chancen, nach den Wahlen eine Koalition von bis zu fünf liberalen Parteien als Premier zu führen. Doch er ist eine Woche vor der Wahl von Smer mit einem Video quasi aus dem Rennen genommen worden. Das belegt, dass Kiska lange vor seiner Zeit als Politiker ein Stück Land in der Hohen Tatra für „einen Appel und ein Ei“ gekauft hatte, das den rechtmäßigen Eigentümern auf dubiose Weise gestohlen worden war. Zudem soll Kiska Aufwendungen seines Präsidentschaftswahlkampfs aus seinem eigenen Vermögen zu Unrecht von der Steuer angesetzt haben. Präsidentin Caputova sagte, dass sie unter diesen Umständen Probleme hätte, Kiska zum künftigen Premier zu ernennen. Außerdem schaltete Smer ein Video, in dem Kiska angeblich die massive Aufnahme von Flüchtlingen in der Slowakei befürwortet haben soll. Kiska ist zwar für Solidarität in der EU in dieser Frage, aber das besagte Video läuft in Wahrheit unter der Rubrik Fake-News.

Beste Chancen auf den Posten des künftigen Regierungschefs werden in Bratislava dem knallharten Korruptionsbekämpfer und Unternehmer Igor Matovič und seiner Protestpartei „Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten“ eingeräumt. Matovič landete einen Coup, als er jüngst im südfranzösischen Cannes die pompöse Villa eines früheren slowakischen Finanzministers ausfindig machte, um zu zeigen, wie sich Politiker aus der Slowakei bereichern. Matovič wäre nach übereinstimmender Aussage von Politikexperten jedoch ein „sehr unsicherer Kandidat“ für den Job des Premiers, zumal seine Partei außer der Korruptionsbekämpfung kein wirkliches Programm habe.

Bleiben noch die Rechtsextremen des vorbestraften Marian Kotleba, die in den Umfragen auf dem dritten Platz liegen. Dessen Partei ist vergleichbar mit der AfD. Die meisten ihrer Wähler stimmen für sie aus reinem Protest, weil sie sich abgehängt fühlen. Smer schließt offiziell eine Koalition mit Kotleba aus. Doch nur so könnte die bisherige größte Regierungspartei an der Macht bleiben. Für die Demokraten in der Slowakei wäre das ein Unheil: „Mit einer solchen Koalition würde sich unser Land aus Europa verabschieden“, sagt Chefredakteur Hríb.