Noch dominieren weinende Trauerzüge und wütende Racheschwüre. Die nationalen Gefühle kochen hoch. Am Sonntag traf die Leiche des getöteten Top-Generals Qassem Soleimani in der westiranischen Stadt Ahvaz ein, wo Abertausende live im Staatsfernsehen „Tod für Amerika“ skandierten. Doch die Fassade einhelliger Empörung ist fragil, auch in Ahvaz und der umliegenden Provinz Khuzestan. Seit Jahren begehren deren Bewohner gegen das Kleriker-Regime in Teheran auf. 2018 tötete ein Terroranschlag 29 Revolutionsgardisten. Im November 2019 bei den größten Unruhen seit Bestehen der Islamischen Republik verübten Revolutionswächter in der 120 Kilometer entfernten Hafenstadt Mahshahr ein Massaker an jungen Demonstranten, die in umliegende Felder geflüchtet waren und mit Maschinengewehren niedergemäht wurden.

Regime steht unter enormem Druck

Und so versucht jetzt die iranische Führung, die gezielte Tötung des populären Garden-Kommandeurs Soleimani zu nutzen, das Volk neu auf das Regime einzuschwören, die Wirtschaftsmisere zu übertünchen und interne Kritiker mundtot zu machen. Denn vierzig Jahre nach ihrer Gründung kämpft die Islamische Republik mit immer härteren Turbulenzen. Außenpolitisch steht sie unter enormem Druck - durch die wirtschaftlichen Sanktionen, die Kriegsdrohungen von Donald Trump und das anti-iranische Aufbegehren in Irak und Libanon. Innenpolitisch brodelt in der Bevölkerung der Unmut über chronische Misswirtschaft und Korruption, Inkompetenz und religiöse Gängelei.

Säbelrasseln bis zum Ende der Staatstrauer

Drei Tage Staatstrauer rief der 80-jährige Revolutionsführer Ali Khamenei aus. Für Montag ist die zentrale Feier auf dem Azadi-Platz in Teheran geplant. Dienstag soll Soleimani in seinem Heimatdorf nahe der Stadt Kerman beerdigt werden. Bis dahin zumindest wird es wohl beim Säbelrasseln bleiben. Die schiitischen Milizen forderten die irakischen Sicherheitskräfte auf, künftig zu allen amerikanischen Einrichtungen mindestens tausend Meter Abstand zu halten. Präsident Donald Trump droht im Gegenzug mit exzessiver Vergeltung. Man habe 52 Ziele im Iran ausgewählt, eines für jede der 52 amerikanischen Geiseln, die 1979 in der amerikanischen Botschaft von Teheran gekidnappt worden waren. Es handele sich um sehr hochrangige und wichtige Ziele - für den Iran und für die iranische Kultur, twitterte Trump. Man werde sehr schnell und sehr hart zuschlagen.

Politik der Nadelstiche

Iran wiederum ist ein Meister der asymmetrischen Kriegsführung und dafür bekannt, jeden seiner Schritte genau zu kalkulieren. Militärisch stehen der Islamischen Republik eine Reihe von Möglichkeiten offen, ohne einen direkten Krieg mit den USA zu riskieren. Sie könnte die Politik der Nadelstiche in der Region multiplizieren – Schiffe in der Straße von Hormuz attackieren, Ölanlagen auf der Arabischen Halbinsel sabotieren, seine Cyberarmee in Marsch setzen oder US-Basen durch verbündete Paramilitärs beschießen lassen.

Oder doch Zurückhaltung?

Gleichzeitig könnte Teheran aber auch versuchen, eine relative Zurückhaltung bei der Vergeltung in politisch-strategisches Kapital umzumünzen - die Lockerung der erstickenden Sanktionen, ein Rauswurf amerikanischer Truppen aus dem Irak sowie eine Annäherung an die arabischen Staaten der Golfregion. Am Sonntag lud die Europäische Union Irans Außenminister Mohammad Javad Zarif bereits nach Brüssel ein. Aus der Golfregion reiste Qatars Außenminister nach Teheran. Hauptrivale Saudi-Arabien versicherte am Sonntag eilfertig, man sei zu dem Raketenangriff auf Soleimani nicht konsultiert worden. Riyadh braucht im Jemen Teherans Hilfe für Friedensgespräche mit den Houthis, um nach fünf Jahren den verheerenden Krieg endlich zu beenden. Und das Königshaus weiß, dass bei einem offenen Waffengang zwischen den USA und Iran auch die eigenen Ölanlagen in Flammen aufgehen werden.

Abzug der US-Truppen aus dem Irak

Unterdessen hat das Parlament im Irak überraschend für einen Abzug der rund 5000 im Land stationierten US-Soldaten gestimmt. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte am Sonntag für eine entsprechende Resolution. Diese fordert die Regierung dazu auf, den Abzug aller ausländischen Truppen im Land einzuleiten, die Teil des US-geführten Bündnisses zum Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sind.

Trauerzeremonie in Teheran abgesagt

Hunderttausende Iraner haben nach örtlichen Mediengaben an zwei Trauerzügen für den bei einem US-Raketenangriff getöteten iranischen General Qassem Soleimani teilgenommen. Die Leiche Soleimanis wurde am Sonntag zunächst aus dem benachbarten Irak nach Ahvaz im Südwestiran transportiert. Eine zweite Trauerzeremonie fand in der Heiligen Stadt Mashhad im Nordostiran statt.

Luftbilder aus beiden Städten zeigten gewaltige Menschenmassen und kilometerlange Schlangen. Besonders vor und im Mausoleum des achten schiitischen Imams Reza in Mashhad soll der Andrang so groß gewesen sein, dass der Transport der Leiche in die Hauptstadt Teheran für die Organisatoren nicht mehr möglich war. Daher musste eine für Sonntagabend geplante dritte Trauerzeremonie in der Imam-Khomeini-Moschee in Teheran abgesagt werden, an der die gesamte iranische Führung teilnehmen sollte.

Am Montag ist am frühen Morgen das sogenannte Leichengebet in der Universität Teheran geplant. Danach wird der Leichnam von der Teheraner Universität zum Azadi-Platz im Westen der iranischen Hauptstadt transportiert. Entlang der fast drei Kilometer langen Strecke können sich dann die Menschen von getöteten Kommandanten der iranischen Quds-Einheit verabschieden. 

Raketen nahe US-Botschaft in Bagdad

Sechs Raketen vom Typ Katjuscha sind laut Angaben des irakischen Militärs am Samstag in Bagdad eingeschlagen. Drei davon hätten die schwer gesicherte Grüne Zone getroffen, teilte das Militär mit. Die drei anderen Raketen seien im Stadtviertel Jadriya gelandet. Sechs Menschen seien verletzt worden.

Die Angriffe erfolgten mehrere Stunden nach Ablauf eines Ultimatums einer pro-iranischen Gruppe, wonach sich irakische Soldaten von US-Truppen entfernen sollten. Angriffe waren damit befürchtet worden.

Seit Ende Oktober gab es 14 Raketenangriffe auf US-Interessen im Irak. Niemand bekannte sich zu den Angriffen. Die USA machen aber für mehrere der Angriffe die pro-iranischen Hisbollah-Brigaden verantwortlich, die am Samstag auch die irakischen Soldaten zur Entfernung von US-Truppen aufgefordert hatten.

Trump droht Iran mit "unverhältnismäßigem" Gegenschlag

Im Falle eines Angriffs auf US-Bürger oder amerikanische Ziele muss der Iran nach Worten von Präsident Donald Trump eventuell mit einem "unverhältnismäßigen" Gegenschlag rechnen. Die Vereinigten Staaten würden schnell und umfassend zurückschlagen, drohte Trump am Sonntag auf Twitter. Solch ein Gegenschlag könne auch "vielleicht unverhältnismäßig" sein, warnte er.

Damit meinte Trump offenbar, dass die USA eine iranische Attacke mit einem wesentlich größeren und verheerenderen Angriff erwidern könnten.