In den frühen Morgenstunden, als der „demokratische Tsunami“ Tatsache war, lagen sich Leute in den Armen. Auf den Straßen knallten Champagnerkorken. Menschen jubelten, die Stimmung vielerorts war gelöst. In einigen Wahllokalen brachen Sprechchöre mit „Befreie Hongkong –Revolution jetzt“ aus. Nach Monaten der teils blutigen Proteste hatten die prodemokratischen Kräfte der ehemaligen britischen Kronkolonie das bis vor Kurzem Undenkbare erreicht. Eine Rekordwahlbeteiligung von 71 Prozent und tiefe Unzufriedenheit im Volk über die Machthaber schafften es, das Pro-Peking-Lager bei Hongkongs Bezirksratswahlenam Sonntag mit einer vernichtenden Niederlage zu erschüttern.

Das Ergebnis ist eine klare Botschaft an Peking und die von der Kommunistischen Partei protegierte Regierung Hongkongs. Die Wahl galt als Referendum darüber, ob die schweigende Mehrheit in der Millionenmetropole nach sechs Monaten der Proteste hinter der Anti-Regierungs-Bewegung steht. Die Hongkonger haben sich unbeeindruckt von den Unruhen gezeigt und ihren Wunsch nach echter Demokratie bekräftigt. Das von Studenten angeführte prodemokratische Lager hat von der Bevölkerung breite Rückendeckung erhalten. Die Rechnung Pekings ging nicht auf, dass Gewalt und Zerstörung die Menschen auf die Seite Chinas schlagen würden, das die Demonstranten als „Terroristen“ denunziert.

Die demokratischen Kräfte stellen in Hongkong künftig 17 von 18 Bezirksräten, die zuvor alle in prochinesischer Hand waren. „Dies ist die Macht der Demokratie. Das ist ein demokratischer Tsunami“, sagte der ehemalige Studentenführer Tommy Cheung, der einen Sitz errang. Carrie Lam, die umstrittene Regierungschefin Hongkongs, sagte nach der Niederlage, es sei an der Zeit, „ernsthaft über die Meinung der Bevölkerung nachzudenken“.

Die reale Macht hat am Ende immer Pekings Kandidat

Erstmalsseit der Rückkehr der Kronkolonie unter Chinas Souveränitätim Jahr 1997 hat Hongkongs Wahlvolk den chinesischen Machthabern eine so deutliche Abfuhr erteilt, die nur als schallende Ohrfeige beschrieben werden kann. Wahlen wurden bislang immer von den pekingnahen Kreisen gewonnen. Am Sonntag verloren auch zahlreiche prominente Pro-Peking-Politiker ihren Sitz, darunter der langjährige Abgeordnete Michael Tien. Nach seiner Schlappe sagte er, die vielen neuen jungen Wähler hätten signalisiert, dass sie sich politisch stärker engagieren wollten. Die Regierung solle auf sie hören.

Die Demokraten holten rund 86 Prozent der 452 Sitze. Bei den letzten Wahlen 2015 errang das Peking-Lager noch drei von vier Mandaten. Dennoch ist die Wahl symbolisch, da die Bezirksräte weder über Macht verfügen noch Gesetze verabschieden oder nennenswerte Entscheidungen treffen können. Sie entscheiden über Recycling, Buslinien, Stadtteilanliegen. Das bei der Wahl dominierende Lager erhält aber auch mehr Sitze im 1200-köpfigen Wahlkomitee, das alle fünf Jahre Hongkongs Regierungschef wählt. Nur, auch wenn die Demokraten jede Wahl mit 100 Prozent gewinnen, in dem handverlesenen Gremium und mittels verworrener Gesetze ist sichergestellt, dass am Ende der von Peking favorisierte Kandidat gewinnt.

China schert sich nicht um die Abmachungen

Hongkong wird seit der Rückgabe an China nach dem Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“ unter chinesischer Souveränität regiert. Die zugesicherte Autonomie wurde von China im Lauf der Jahre aber dermaßen drangsaliert, dass eine schleichende „Sinoisierung“ die Sonderverwaltungszone erfasste. Die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher hatte mit Chinas Führer DengXiaoping schrittweise demokratische Wahlen in Hongkong vereinbart. Doch Peking scherte sich nicht um die Abmachungen und zog die Schlinge um Hongkong immer enger zu.

Es gab ein sehr tiefes Erwachen von Hongkongs Bevölkerung“, erklärte Alan Leong, Vorsitzender der Bürgerpartei, einer der größten prodemokratischen Parteien. Jetzt reibt sich ein gedemütigtes Peking die Augen, reagierte zunächst aber verhalten. Es vermied eine direkte Stellungnahme zum politischen Erdbeben in Hongkong, betonte aber, dass das Ende von Gewalt und die Wiederherstellung der Ordnung „oberste Priorität“ blieben. Der chinesische Außenminister Wang Yi warnte, jeder Versuch, Hongkong zu ruinieren, sei zum Scheitern verurteilt.

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