Keine 24 Stunden hat Boris Johnson gebraucht, um die „Britannia“ auf neuen Kurs zu bringen. Kaum hatte der neue britische Premier seine Ernennungsurkunde von der Königin empfangen, tauschte er über Nacht die Offizierscrew aus und segelt jetzt mit voll geblähten Segeln Richtung Brexit.

Von Bord gingen im Zuge der spektakulären Londoner Regierungsumbildungnicht nur die widerborstigen Pro-Europäer aus Theresa Mays Kabinett. Auch vielen Brexiteers, die seinen Rivalen Jeremy Hunt favorisiert hatten, gewährte Johnson kein Pardon. Persönliche Rachegelüste mischten sich in das offenbar von langer Hand geplante „Großreinemachen“ auf Deck der „Britannia“. Den Versuch, die verschiedenen Fraktionen seiner Partei weiter zusammenzuhalten, wollte Johnson gar nicht erst unternehmen. In den 99 Tagen, die ihm zum Brexit-Datum am 31. Oktober bleiben, braucht der May-Nachfolger ein Kabinett, das ihm zu Willen ist.

Und so hat das Vereinigte Königreich zum ersten Mal eine Regierung radikaler Brexit-Hardliner, die sich alle zum vertragslosen Austritt aus der EU verpflichten mussten, gesetzt den Fall, dass sich die EU gegen Neuverhandlungen „sträubt“. Es ist eine bemerkenswerte Runde an alten Weggefährten, Brexit-Fanatikern, Rechtsnationalen und „Boris-Loyalisten“, die Johnson da um sich versammelt hat. Es ist, als habe er die Mitstreiter bei der Referendumsschlacht von 2016 noch einmal einbestellt. Zu diesem Kreis gehören ein Vize-Premier, der nichts dagegen hätte, das Parlament in Westminster im Falle von „Unbotmäßigkeit“ zu suspendieren, und ein Brexit-Chefstratege, der sich weigert, dem Unterhaus Rede und Antwort zu stehen.

Jemand wie der rechte Exzentriker Jacob Rees-Mogg ist nun plötzlich der fürs Unterhaus zuständige Minister. Dagegen drängen sich pragmatische Tories, Warner vor einem harten Brexit, langjährige Amtsinhaber und Konsenssucher aller Art im politischen Abseits. Diesen Konservativen kommt es vor, als sei ihnen ihre Partei „gestohlen“ worden. Als habe Johnsonsie, gegen den Willen des Parlaments und der Gesamtbevölkerung, entmachtet.

Der Brexit ohne Wenn und Aber

Was aber will Boris Johnson mit seiner neuen Regierung und seinen 99 Tagen anfangen? Wie seine beiden Antrittsreden dieser Tage zeigten, macht er klar Schiff für mächtige Kollisionen, erst mit Brüssel und dann mit dem eigenen Parlament. Für Johnson gilt: Brexit - alles oder nichts. Raus aus der EU am 31. Oktober „ohne Wenn und Aber“. Kein weiteres Zaudern wie bei seiner Vorgängerin.

Das macht, so sich Westminster wie erwartet querstellt, entweder Neuwahlen oder eine Verfassungskrise wahrscheinlich. Auf Ersteres hat es der neue Premier vermutlich abgesehen. Auch die drängende Rhetorik, die anfeuernden Worte, das Gefühl, keine Zeit zu haben, die Churchill-Gestik weisen in diese Richtung. Offenbar stimmt Johnson sein Team auf eine Entscheidungsschlacht um den Brexit ein.

Die großen Worte werden wenig ausrichten, wenn sie erst einmal auf die Realität stoßen. Der Jubel ist vordergründig. Der Widerstand wächst. Opposition gibt es auch dagegen, dass mit dem Brexit mehr Privatisierung öffentlicher Dienste und der Abbau von Arbeiterrechten und des Konsumentenschutzes einhergehen sollen. Und in Schottland fordert die dortige Regierung lautstark ein neues Unabhängigkeitsreferendum.

Das alles weiß Boris Johnson natürlich. Er weiß, dass ihm nur eine kurze Frist bleibt, um seine Anhänger zufriedenzustellen. Der EU soll, so viel ist klar, alle Schuld zugewiesen werden für das Fiasko, das im Herbst droht. Erst einmal will der neue Premier jetzt aber „unbehindert“ regieren. Was danach kommt, ist unbekanntes Terrain.