Theresa Mays Brexit-Minister Dominic Raab trat zurück, nachdem es der britischen Premierministerin gelungen war, die Regierung auf ihre Linie - Verbleib in der Zollunion und de facto keine Grenze zu Irland - einzuschwören. Er könne die Vereinbarung nicht mittragen, erklärte Raab in einem Schreiben. Danach hat auch die Brexit-Staatssekretärin Suella Braverman ihren Hut genommen. Zuvor war schon Nordirlands Staatssekretär Shailesh Vara zurückgetreten und wenig später erklärte Arbeitsministerin Esther McVey ihren Rücktritt.

Raab kann nach eigenen Angaben vor allem die Passagen im Brexit-Vertragsentwurf zum künftigen Status von Nordirland nicht mittragen. Das erklärte er in seinem am Donnerstag auf Twitter veröffentlichten Rücktrittsschreiben.

Auch der sogenannte Backstop (Nottfallklausel) stößt bei ihm auf Widerstand. Der von der EU verlangte Backstop sieht vor, dass Nordirland in der Zollunion mit der EU und regulatorisch teilweise im EU-Binnenmarkt verankert bleibt, nicht aber ganz Großbritannien.

Vara vermisst ein Bekenntnis dazu, wann das Vereinigte Königreich "endlich ein souveräner Staat" werde, für McVey entspricht der geplante Weg nicht dem Brexit-Votum der britischen Bürger.

Antonio Tajani, Präsident des EU-Parlaments, hat am Donnerstag im EU-Parlament in Straßburg bei einem Pressestatement mit dem Brexit-Chefverhandler der EU, Michel Barnier, erklärt, er sei mit den Kernpunkten des Vertragsentwurfs zu den Bürgerrechten, den Finanzen und Irland zufrieden. Guy Verhofstadt, Verhandlungsführer des Parlaments, sagte, das sei das beste Abkommen, das wir erzielen konnten.

Barnier hat sich nach der Brexit-Einigung erschöpft, aber nicht kraftlos gezeigt. "Ja, wir sind müde, das steht fest. Ich hoffe, dass ich das gut verdecken kann", sagte Barnier am Mittwochabend in Brüssel. Zugleich hätten er und sein Team aber noch ausreichend Energie und Entschlossenheit.

Laut Barnier wurde in den Verhandlungen das Ziel erreicht, eine "harte Grenze" mit wiedereingeführten Kontrollen zwischen der britischen Provinz Nordirland und Irland zu verhindern. Ziel sei es, die Frage während der geplanten Übergangsphase bis Ende 2020 nach dem Brexit abschließend zu klären, sagte Barnier am Mittwochabend in Brüssel. Reiche die Zeit nicht, könne die Übergangsphase verlängert werden, oder es greife eine Auffanglösung, in der das gesamte Vereinigte Königreich in einer Zollunion mit der EU bleibe.

Sondergipfel

Die EU und Großbritannien wollen bei einem Gipfel am 25. November die Brexit-Einigung finalisieren. EU-Minister Gernot Blümel hat für Montag, 19. November, einen EU-Ministerrat einberufen, um den Gipfel vorzubereiten. EU-Ratspräsident Donald Tusk kündigte am Donnerstag in Brüssel an, der Gipfel sollte das Abkommen am Sonntag, den 25. November, absegnen, "wenn nichts Außerordentliches passiert".

Der Gipfel werde um 9.30 Uhr starten. Bis Dienstag wolle die EU-Kommission auch die politische Erklärung zu den künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien fertigstellen, sagte Tusk. Die EU-Staaten sollen den Text bis Donnerstag prüfen, "ich hoffe auf nicht zu viele Kommentare". Tusk betonte, der EU-Chefverhandler Michel Barnier habe in dem Kompromiss sichergestellt, dass die Schäden durch den Brexit begrenzt bleiben und die wichtigsten Interessen der 27 EU-Staaten und der EU als Ganzes sichergestellt seien.

Barnier kündigte an, er reise weiter ins EU-Parlament nach Straßburg, um die politische Erklärung zu finalisieren. "Unsere Arbeit ist nicht zu Ende. Wir haben noch einen langen Weg vor uns auf beiden Seiten."

Größte Hürde wartet noch

Die EU und Großbritannien hatten sich nach monatelangen Verhandlungen auf ein vorläufiges Brexit-Abkommen geeinigt. Von Genugtuung wollte Barnier deshalb aber nicht sprechen. Er bedaure die Entscheidung Großbritanniens für den EU-Austritt, betonte er.

Zugleich hob Barnier die Geschlossenheit der verbleibenden 27 EU-Staaten während der Verhandlungen hervor. "Diese Geschlossenheit ist echt", sagte Barnier. Er hoffe, dass diese Einheit künftig als Basis dafür genutzt werden könne, in der EU auch gemeinsam an einer positiven Agenda zu arbeiten.

Die größte Hürde wartet aber noch. Im britischen Parlament, das den Vertrag letztlich ratifizieren muss, gibt es großen Widerstand. Kommt der Vertrag zustande, wäre ein geordneter Austritt am 29. März 2019 gesichert sowie eine Übergangsphase bis mindestens Ende 2020, in der sich fast nichts ändert. Ob dies gelingt, dürfte sich aber erst nach einer Zitterpartie in den nächsten Wochen herausstellen.

Die britische Premierministerin Theresa May hat den Entwurf für das Brexit-Abkommen mit Brüssel am Donnerstag im Parlament verteidigt. Zu den umstrittenen Plänen, um Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland zu verhindern, gebe es keine Alternative, sagte May.

Sie rief die Abgeordneten auf, das Abkommen zu unterstützen. Das Parlament wird voraussichtlich im Dezember darüber abstimmen.

Rauer Gegenwind aus eigenen Reihen

Schon die Billigung durch das britische Kabinett gestaltete sich langwierig. Schließlich teilte Theresa May nach einer etwa fünfstündigen Sitzung mit, ihre Minister hätten zugestimmt: "Das Kabinett hat gemeinsam entschieden, dass die Regierung dem Entwurf für die Austrittsvereinbarung zustimmen soll." Es sei eine schwere Entscheidung gewesen, vor allem mit Blick auf die umstrittene Irland-Frage. May sprach dennoch vom bestmöglichen Abkommen, das habe ausgehandelt werden können.

Die Regierungschefin sprach von einer "leidenschaftlichen Debatte" mit ihren Ministern. Das Abkommen muss noch eine weitere Hürde im Parlament nehmen, wo May mit erheblichem Widerstand von Brexit-Hardlinern in ihrer Konservativen Partei rund um Ex-Außenminister Boris Johnson sowie seitens der nordirischen DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, rechnen muss.

Ungemach droht

Auch von anderer Seite droht May Ungemach. Die Brexit-Gegner im Parlament hoffen, eine Niederlage Mays könnte zu einem zweiten Brexit-Referendum und so zum Verbleib des Landes in der EU führen. Die Regierungschefin räumte ein, dass nun "schwierige Tage vor uns liegen".

Von EU-Seite dürfte es nach Darstellung von Diplomaten nicht allzu große Schwierigkeiten geben. Die Botschafter der 27 bleibenden EU-Länder wurden am Mittwoch ausführlich informiert. Es seien keine entscheidenden Bedenken geäußert worden, hieß es anschließend. Eine Vorentscheidung treffen die Staats- und Regierungschefs bei einem geplanten Sondergipfel. Letztlich muss auch das Europaparlament den Vertrag ratifizieren. Mehrere Europaabgeordnete begrüßten die Einigung, kündigten aber eine genaue Prüfung an.

Nordirland-Frage

Die Nordirland-Frage hatte über Monate einen Abschluss der Brexit-Verhandlungen verhindert. Die Unterhändler von EU und Großbritannien erzielten dann am Dienstag einen Durchbruch. Nach der Kabinettssitzung in London am Mittwochabend veröffentlichten die EU und die britische Regierung den 585 Seiten umfassenden Vertragsentwurf im Internet.

Diplomaten zufolge könnte das Treffen am 25. November stattfinden. Einberufen muss es EU-Ratspräsident Donald Tusk. Dieser kündigte an, er werde Barnier am Donnerstagfrüh (07.50 Uhr) treffen. Beide wollen kurz darauf vor die Presse treten. Barnier appellierte an alle Beteiligten, nun "ihrer Verantwortung" gerecht zu werden.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker schrieb am Abend in einem Brief an Tusk, die Brexit-Verhandlungen seien fast am Ziel. Die EU-Kommission empfehle den EU-Staaten, auf Grundlage des entscheidenden Fortschritts die Verhandlungen abzuschließen.

Kurz hofft auf Ja von britischen Parlament

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat sich über die Einigung der britischen Regierung zum Brexit-Vertragsentwurf "sehr froh" gezeigt. "Ich hoffe nun auch auf Zustimmung des britischen Parlaments", schrieb Kurz am Mittwochabend auf Twitter. Das Ergebnis sei ein "gutes, denn es garantiert, dass ein Hard-Brexit vermieden" und " es keine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland geben wird".

Blümel: "Große Etappe genommen"

Europaminister Gernot Blümel (ÖVP) hat sich "sehr froh" über die Zustimmung der britischen Regierung zum Brexit-Vertragsentwurf gezeigt. "Damit wurde eine große Etappe genommen", sagte Blümel laut einer Aussendung am Mittwochabend. Es werde nun "zeitnah" einen Rat geben. "Wir sind in enger Abstimmung mit Chefverhandler Michel Barnier, um die weiteren Schritte professionell vorzubereiten."