Mohammed bin Salman testete die Grenzen mehr als einmal aus, seitdem er die Macht in Saudi-Arabien übernommen hat. An der Eskalation des Jemen-Konflikts zur weltweit schwersten humanitären Krise war er maßgeblich beteiligt, auf sein Betreiben wird das Nachbaremirat Katar seit mehr als einem Jahr blockiert.

Im vergangenen Herbst schließlich zwang er den libanesischen Ministerpräsidenten Saad al-Hariri bei einem Besuch in Saudi-Arabien zum Rücktritt, den Hariri später wieder zurücknahm. Vor allem US-Präsident Donald Trump ließ den jungen Kronprinzen aber gewähren.

Doch dann verschwand der saudische Journalist Jamal Khashoggi am 2. Oktober, nachdem er ins Konsulat des Wüstenkönigreichs in Istanbul gegangen war. Die Hinweise, dass ein Tötungskommando aus Riad extra eingeflogen wurde, um den prominenten Kolumnisten der "Washington Post" umzubringen, haben sich seitdem verdichtet. So sehr, dass der saudische Thronfolger immer weiter in den Fokus gerät und Donald Trump ihm mit "sehr schwerwiegenden" Konsequenzen droht. Die Zukunft des ultrakonservativen Königreichs hängt nun davon ab, ob die Regierung ihr Gesicht wahren kann.

Die gegenwärtige Eskalation schien vor wenigen Jahren noch undenkbar. Anfang 2015 war Mohammed bin Salman noch einer unter vielen Prinzen in der weit verzweigten Königsfamilie Al-Saud. Doch dann wurde Mohammeds Vater Salman König und machte seinen Sohn zu einem der mächtigsten Männer seit Staatsgründer Ibn Saud. Der erst 33-Jährige sammelte hochrangige Posten und gilt als Vater der "Vision 2030", der umfassenden Reformagenda zur Modernisierung des islamisch-konservativen Landes.

Hoffnungsträger mit viel Geld

Der von Mohammed bin Salman verkörperte Wandel machte ihn zum großen Hoffnungsträger der jungen saudischen Bevölkerung. International kreierte "MbS" - wie er mittlerweile nicht mehr nur im Königreich genannt wird - mit viel Geld ein Image von sich, das letztlich auch zu einem großen Wohlwollen in der internationalen Politik beitrug. Das stärkte seine Machtposition auch nach innen.

Doch hinter dem selbstbewussten Lächeln des hochgewachsenen Mannes gab es auch immer eine andere - Kritiker sagen dunkle - Seite. Mit einer immensen Energie zerschlug "MbS" Strukturen der saudischen Machtzirkel, die für einen gewissen Ausgleich sorgen sollten. Interne Gegner wie der ursprüngliche Kronprinz Mohammed bin Nayef oder der mächtige Chef der Nationalgarde, Prinz Mutaib bin Abdullah, wurden geschasst. Interne Korrekturinstanzen gibt es so gut wie keine mehr unter der absolutistischen neuen Herrschaft.

Die dunkle Seite der Macht

Mit Verhaftungswellen entledigte sich "MbS" der Kritiker in den Reihen der Geistlichkeit und der Wirtschaftselite und ging mit harter Hand gegen Aktivisten vor. Guido Steinberg, Nahost-Experte von der Stiftung Wissenschaft und Politik, sieht darin eine "im Königreich bis dahin lange nicht gekannte Härte". Es zeige sich eine Bereitschaft, "Gewalt ganz unverhältnismäßig gegen Kontrahenten einzusetzen".

Eine Tendenz, die der deutsche Bundesnachrichtendienst schon Ende 2015 erkannte. Er warnte vor einer bevorstehenden "impulsiven Interventionspolitik" unter der neuen Führung Saudi-Arabiens. Die Analyse bezog sich vor allem auf Mohammed bin Salman, der bereit sei, beispiellose "militärische, finanzielle und politische Risiken einzugehen, um regionalpolitisch nicht ins Hintertreffen zu geraten".

Unerklärbare Aggressivität

Tatsächlich zeichnet sich Saudi-Arabiens gegenwärtige Außenpolitik durch eine Aggressivität aus, die selbst Diplomaten teilweise unerklärbar ist. Doch immer wird in diesem Zusammenhang auch die Rolle der USA erwähnt: Donald Trump habe mit seiner unkritischen Haltung gegenüber "MbS" Tür und Tor dafür geöffnet, dass dieser sich nicht nur in Saudi-Arabien über dem Gesetz fühlt.

Der Fall Khashoggi allerdings zeigt dem Kronprinzen Beobachtern zufolge nun erstmal Grenzen auf und setzt ihn in einer bis dato ungekannten Weise unter Druck. Es drohen ernsthafte internationale Konsequenzen. Deshalb wird spekuliert, das Königshaus könnte ein Bauernopfer präsentieren, um den Kronprinzen zu schützen. Wie glaubhaft eine solche Version sein kann, bleibt fraglich - schließlich deuten viele Hinweise auf eine Verbindung des Thronfolgers zur Tat.

Kontrolle über die Schaltstellen der Macht

Was derweil innerhalb des Königshauses vorgeht und ob sich Widerstand gegen Mohammed bin Salman regt, darüber kann nur spekuliert werden. "Er hat Feinde, aber er hat - so weit man es von außen sagen kann - Kontrolle über alle Schaltstellen der Macht und vor allem die Sicherheitskräfte", sagt Experte Steinberg. Es gebe in Riad keinen Gegenspieler, der dem Kronprinzen gefährlich werden könnte.

Die einzige Person, die den Thronfolger zur Räson bringen könnte, ist Steinberg zufolge der greise König Salman. Der 82-Jährige hätte theoretisch auch die Möglichkeit, seinen Sohn zu entlassen und einen neuen Thronfolger zu benennen. Ob das angesichts der Kräfteverhältnisse im Palast praktisch noch möglich wäre, ist ungewiss. "Das hängt aber auch ganz klar vom US-Druck auf Saudi-Arabien ab", sagt Steinberg.

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