Das Ausscheren zum Sondergipfel am Sonntag unter der Ägide der Kommission hat die Bruchlinien durch Europa nur vergrößert. Mit einem Mal – viele würden sagen: um Jahre zu spät – ist die Migration zum alles beherrschenden Thema geworden, zum Zündstoff für die gesamte Europäische Union.

Die Koalition in Deutschland ist einsturzgefährdet, Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) sitzen nicht mehr auf derselben Seite des Tisches – mit dabei ist dafür der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der sich auf die Seite Seehofers geschlagen hat und zuletzt auch durch den gemeinsamen Auftritt mit den Visegrád-Staaten aufhorchen ließ.

Und doch waren gestern in Brüssel alle bemüht, optimistisch zu wirken und vor allem die Deutschlandfrage auszuklammern. „Es geht hier nicht um das Überleben einer Kanzlerin“, sagte etwa Xavier Bettel, der luxemburgische Premier. Kurz sah das auch so: „Es geht heute nicht um den innerdeutschen Streit. Ich wünsche mir schon als Nachbarland, dass es in Deutschland gelingt, eine gemeinsame Regierungslinie zu finden. Hier geht es aber darum, was wir auf europäischer Ebene tun können, um eine europäische Lösung möglich zu machen“, so Kurz. Österreich wolle gerne „Brückenbauer“ sein. Kritik dafür bekam er von der heimischen Opposition. SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried warf ihm vor, er reiße nur einen Graben nach dem anderen auf und betreibe das Geschäft jener, die die EU zerstören wollen. Neos-Europasprecherin Claudia Gamon monierte, Kurz habe sich „bisher in der Frage eher als Brandstifter denn als Vermittler hervorgetan“.

Sondergipfel ohne Beschlüsse

Schon zu Beginn des Treffens schien aber klar, dass keine konkreten Maßnahmen beschlossen werden würden. Eine „gesamteuropäische Lösung“ in der Flüchtlingspolitik scheint derzeit noch schwer vorstellbar.

Ansätze gibt es viele. Fast alle sprechen inzwischen von großen „Auffangzentren“, am besten weit weg, in Nordafrika zum Beispiel. Die Italiener, die nach dem Regierungswechsel ohnehin auf einen harten Kurs eingeschwenkt haben und Flüchtlingsschiffen das Anlegen verweigern, hatten gestern einen neuen Vorschlag namens „European Multilevel Strategy for Migration“ mit im Gepäck, der vor allem in Hinblick auf die Dublin-Reform greifen soll. Zu den zehn Punkten gehört dem Vernehmen nach ein Ende der Praxis, dass das jeweilige Erstland für Flüchtlinge verantwortlich ist – ein geografischer Nachteil für Mittelmeerländer. Dazu könnten bestimmte „sichere Häfen“ kommen, die Flüchtlinge direkt nach Rest-Europa weiterverteilen.

Angela Merkel schlug eine Vereinfachung der Prozesse vor. Sie sprach von tri- und bilateralen Absprachen: „Wir können nicht immer auf alle 28 warten.“ Das sieht Sebastian Kurz anders, er sagte, „Beschlüsse werden im Rat gefasst, wo alle am Tisch sitzen. Ich glaube, wir sollten auch nicht dazu übergehen, in der EU Beschlüsse zu fassen, ohne dass alle 28 eingebunden sind.“ Die Visegrád-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei waren dem Mini-Gipfel deshalb fern geblieben. Zu dem „informellen Treffen“ waren aber immerhin 16 der 28 Staaten gekommen. Nun liegen die Hoffnungen auf dem September-Gipfel in Salzburg, bei dem Sebastian Kurz als Gastgeber Lösungen einfahren könnte. Beim Gipfel am kommenden Donnerstag und Freitag sollen die Weichen für den Außengrenzschutz und für bessere Zusammenarbeit mit Drittländern wie Libyen gestellt werden.

Am Tag danach, am Samstag, soll über der brüchigen, zerrissenen Union wieder die Sonne scheinen – und über der Schladminger Planai, wo Österreich mit einem „Servus Europa!“ den Beginn der Ratspräsidentschaft feiern will. Bulgariens Ministerpräsident Bojko Borissow übergibt die Stafette an Sebastian Kurz, die Seer, Opus und viele andere heimische Künstler werden die Feier umrahmen.

Dann beginnt die dritte Präsidentschaft Österreichs – es wird zweifellos die schwierigste werden.