Der deutsche Innenminister Horst Seehofer hat Bundeskanzlerin Angela Merkel davor gewarnt, ihn wegen eines möglichen Alleingangs in der Asylpolitik zu entlassen. "Wenn man mit dieser Begründung einen Minister entließe, der sich um die Sicherheit und Ordnung seines Landes sorgt und kümmert, wäre das eine weltweite Uraufführung. Wo sind wir denn?", sagte er der "Passauer Neuen Presse".

Umgekehrt hat  EU-Haushaltskommissasr Günther Öttinger (CDU) eine eindringliche Warnung an Seehofer formuliert: Die CSU sei dabei, "die Handlungsfähigkeit Deutschlands in der EU zu beschädigen", sagt Öttinger im Interview mit dem "Handelsblatt". Mit einem Alleingang in der Flüchtlingspolitik wäre  "eine neue, erhebliche Eskalationsstufe erreicht, welche die Union und die Regierung in Frage stellen würde".

Merkel dämpfte die Erwartungen an den Mini-Gipfel am Sonntag. Gleichzeitig ließ sie erkennen, dass sie im Streit mit Seehofer nicht nachgeben will. Sie arbeite daran, "dass die Koalition ihre Aufgaben, die sie sich im Koalitionsvertrag gestellt hat, auch erfüllen kann. Da haben wir viel zu tun, einiges auch schon geschafft".

SPD-Chefin Andrea Nahles ist "nicht bereit, diese Mätzchen noch weiter mitzumachen" und fordert die Union auf, "jetzt endlich zur Sache zurückzufinden" und "die Regierungsarbeit mit uns gemeinsam wieder aufzunehmen". Sollte es Neuwahlen geben, sei die SPD "dafür gut gerüstet", so Nahles am Donnerstagabend in der ARD. Einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" zufolge haben in der SPD schon mehrere Treffen zu möglichen Neuwahlen stattgefunden, die frühestens im September stattfinden könnten.

"Lieber die Koalition beenden"

Politiker von CDU und CSU verschärften indes die gegenseitigen Angriffe. "Ich bin Vorsitzender der CSU, einer von drei Koalitionsparteien, und handele mit voller Rückendeckung meiner Partei. Wenn man im Kanzleramt mit der Arbeit des Bundesinnenministers unzufrieden wäre, dann sollte man die Koalition beenden", so Seehofer. Die CSU hat Kanzlerin Merkel (CDU) in der Asylpolitik eine Frist bis zum EU-Gipfel Ende Juni gesetzt. Sollte es dort keine Einigung geben, will Seehofer - gegen den Willen der Kanzlerin - ab Anfang Juli Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, an den Grenzen zurückweisen lassen. Merkel will in bilateralen Abkommen mit europäischen Nachbarstaaten erreichen, dass diese Flüchtlinge an der Grenze abgewiesen und in diese Länder zurückgeschickt werden können.

"Drei Jahre lang geredet"

"Wenn es keine europäische Lösung gibt, werden wir national handeln müssen", betonte Seehofer. "Wir haben drei Jahre lang geredet. Jetzt ist Zeit für Entscheidungen." Er fügte hinzu: "Sollte der Kanzlerin eine europäische Lösung gelingen, wird niemand glücklicher sein als ich."

Seehofer sagte weiter: "Ich bin froh, dass ich die Europäische Union wachgeküsst habe." Innerhalb von nur einer Woche gebe es plötzlich in Europa die Bereitschaft, sich zusammenzusetzen und die Probleme zu lösen. "So etwas habe ich noch nie erlebt."

Masterplan Migration

Seehofer verteidigte außerdem seinen bisher nicht veröffentlichten "Masterplan Migration". Nur er und Merkel verfügten über den Text, sagte Seehofer der "Passauer Neuen Presse" auf die Frage, warum er den Plan wie eine geheime Verschlusssache behandle. "Die Bundeskanzlerin hat mit 62 1/2 von 63 Punkten kein Problem. Bei dem ausstehenden halben Punkt wird aus einer Mickey Maus ein Monster gemacht", hieß es. "Ich lasse mir meinen Plan nicht zusammenstreichen." Seehofer hat bisher nur Einzelheiten seines Plans genannt, den kompletten Text jedoch nicht öffentlich gemacht.

Nach ihrer Rückkehr will Merkel am Sonntag mit mehreren europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel über die Flüchtlingspolitik debattieren. Doch auch hier gibt es Wirbel: Der Ministerpräsident Italiens, Giuseppe Conte, hatte mitgeteilt, Merkel habe ihm zugesagt, dass der Entwurf der geplanten Erklärung "beiseite gelegt" werde. Das Land fühlt sich bei der Vorbereitung des Treffens übergangen. In deutschen Regierungskreisen wurde betont: "Das Treffen am Sonntag hat lediglich vorbereitenden Charakter." Die deutsche Regierung sei in konstruktiven Gesprächen mit Italien.

"Flexibler Rücknahmemechanismus"

Der Gastgeber des Brüsseler Treffens, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, hatte eine vierseitige Erklärung angepeilt. Mit dieser wollte er die Verständigung der Teilnehmer auf eine Reihe von Grundprinzipien im Asylstreit befördern. In dem Entwurf des Papiers heißt es: "Wir werden einen flexiblen gemeinsamen Rücknahmemechanismus nahe an den Binnengrenzen einrichten." Nach seinem Willen sollen Merkel und die anderen Teilnehmer auch eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg bringen, um die Weiterreise von Asylsuchenden zwischen EU-Staaten zu unterbinden. "Es gibt kein Recht, den Mitgliedsstaat, in dem Asyl beantragt wird, frei zu wählen", hieß es in dem Entwurf.