Alles ist relativ. Besonders wenn es um Geld geht. Der am Mittwoch vorgelegte Vorschlag für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der EU für die Jahre 2021 bis 2027 umfasst sagenhafte 1279 (oder nach anderer Rechnungsart sogar 1315) Milliarden Euro. Eine unvorstellbare Summe, die sofort zu vielfachem Aufschrei führt - auch im „Nettozahlerland“ Österreich, das sich gegen eine Erhöhung des Beitrages von 1,03 Prozent auf 1,114 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bei gleichzeitiger Kürzung der Agrar- und Kohäsionsmittel ausgesprochen hat.

Doch, siehe eingangs, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat vorgerechnet, dass dieser Betrag für jeden einzelnen Steuerzahler täglich den Gegenwert einer Tasse Kaffee ausmacht. Seine Schlussfolgerung: „Ich glaube, Europa ist mehr wert als eine Tasse Kaffee am Tag.“

Doch der Reihe nach. Der Finanzrahmen ist kein konkreter Haushaltsplan; vielmehr gibt er die (politische) Richtung vor und definiert Obergrenzen. Diesmal ist es besonders schwierig, weil die Briten und somit auch ihre Beiträge wegfallen, gleichzeitig auf die EU neue Ausgaben für Grenzschutz, Kampf gegen Terrorismus und Cyberkriminalität zukommen, denen keine unmittelbaren Erlöse gegenüberstehen.

Nettozahler und Nettoempfänger

Genau hier entsteht einer der Hauptdiskussionspunkte. Die (noch) 28 Staaten haben unterschiedliche Wirtschaftsleistungen. Im Sinne des Heranführens der ärmeren an die reicheren Länder gehen Mittel dorthin, wo sie zum Aufholen gebraucht werden. So kommt es, dass elf Länder als „Nettozahler“ - weil sie mehr einzahlen, als sie unmittelbar zurückbekommen - bezeichnet und die Profiteure „Nettoempfänger“ genannt werden. Österreich hat zuletzt (2016) 2,76 Milliarden Euro abgeliefert und 1,94 Milliarden zurückbekommen - das meiste entfiel auf die Landwirtschaft (1,36 Milliarden), gefolgt von Programmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, Forschung, Verkehrs- und Energieinfrastruktur mit 378,5 Millionen und Kohäsionsmitteln für strukturschwache Regionen mit 96,9 Millionen Euro.

Die Differenz wäre der Nettobeitrag - das allerdings lässt sich nicht so einfach sagen, denn zum einen ist es beinahe unmöglich, volkswirtschaftliche Effekte exakt zu definieren, zum anderen gibt es zahlreiche Folgewirkungen, die nicht erfassbar sind. Drei Beispiele: In einem „armen“ Land wird mithilfe der EU das Straßennetz ausgebaut; auf den ersten Blick fließt Geld dorthin, doch der Bau muss europaweit ausgeschrieben werden und eine österreichische Firma bekommt den Auftrag. Oder: Mit dem Ausbau des Grenzschutzes sinken Kosten für Flüchtlingsbetreuung, Asylverfahren, Binnenkontrollen - der realen Auswirkung steht eine fiktive Zahl gegenüber. Oder: Ein österreichischer Betrieb kann sich dank der EU-Mittel eine Investition leisten, von der er Jahre später noch profitiert.

Österreich soll Signale erkennen

Mario Monti, Ex-EU-Kommissar, sagt, die Betonung der Nettosalden sei „ein Betrug an den Bürgern“. Wenn man so denke, dann sage man eigentlich, die ganze EU sei ein Nullsummenspiel und darüber hinaus nichts wert: „Stellen Sie sich vor, Österreich wäre nicht Teil des Binnenmarktes. Das wird einfach nicht erfasst in dieser vereinfachten Gleichung, die zeigt, wer Nettozahler ist und wer nicht.“ Österreich solle im Budgetstreit auch Signale erkennen, die insbesondere von Ländern wie Frankreich und Deutschland gesendet werden.

Doch derzeit kommen aus Österreich nur zwei Signale: Kanzler Sebastian Kurz will den Beitrag keinesfalls erhöhen, Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger mit der gesamten Bauernschaft im Rücken keine Kürzungen hinnehmen. Kanzleramtsminister Gernot Blümel sagte gar, die Erhöhung der Beitragssumme könnte Österreich bis zu 500 Millionen Euro kosten - eine Rechnung, die von der Vertretung der EU-Kommission in Wien zurückgewiesen wurde: „Das können wir nicht nachvollziehen.“ Vielmehr würde die EU laut Wirtschaftsinstitut Ifo jedem österreichischen Bürger pro Jahr 3095 Euro bringen.

EU will Eigenmittel auftreiben

Dabei ist die EU gewillt, auch mehr Eigenmittel aufzutreiben. Die Umsetzbarkeit wird vielfach skeptisch gesehen. 20 Prozent der Einnahmen sollen aus dem Emissionshandel kommen. Die Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer wird mit drei Prozent neu veranschlagt. Ein nationaler Beitrag von 80 Cent pro Kilogramm soll aus nicht wiederverwerteten Verpackungsabfällen aus Plastik kommen. Diese neuen Eigenmittel würden zwölf Prozent des gesamten EU-Haushalts ausmachen. Nicht enthalten in der Planung ist die geforderte Digitalsteuer - auf deren Umsetzbarkeit wollte EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger offensichtlich nicht wetten.

Das europäische Wirtschaftswachstum ist laut neuester Schätzung indessen gleichbleibend stabil bei 2,3 Prozent, Österreich liegt bei 2,9 Prozent. Erstmals seit Einführung des Euro liegen alle Mitgliedsländer unter dem Drei-Prozent-Defizit.