Der russische Botschafter bei der EU, Wladimir Tschischow, hat die These in den Raum gestellt, dass ein britisches Chemiewaffen-Labor die Quelle für das Nervengift sein könnte, mit dem der Mordanschlag auf den russischen Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter durchgeführt wurde. Tatsächlich befindet sich nahe Salisbury, wo das Attentat stattfand, in Wiltshire die Anlage Porton Down.

Die Anlage gilt seit ihrer Gründung 1916 als geheimnisumwoben und umstritten. In dem Labor wurde 1953 ein Luftwaffensoldat gezielt mit dem Giftgas Sarin vergiftet, der daraufhin starb, wie das britische Militär 2004 eingestehen musste.

In Porton Down wurde laut Medienberichten vor allem mit Giftgas und chemischen Kampfstoffen experimentiert. Zudem wurden lebende Schweine in die Luft gesprengt, um den Effekt von Terrorattacken auf Menschen zu untersuchen. Neun Jahre nach dem Sarin-Todesfall erlag der Wissenschafter Geoffrey Bacon der Pest.

Botschaft Tschischow versicherte vor einigen Tagen gegenüber dem britischen Sender BBC, Russland habe mit dem Giftanschlag auf Skripal am 4. März "nichts zu tun". Russland lagere das betreffende Gift nicht. Zugleich verwies er darauf, dass Porton Down nur zwölf Kilometer von Salisbury entfernt liegt.

Der britische Außenminister Boris Johnson bezeichnete die Behauptungen als "satirisch". Der Direktor des militärischen Forschungszentrums in Porton Down, Gary Aitkenhead, betonte, es sei "einfach nicht wahr", dass das beim Salisbury-Anschlag verwendete Gift aus einer britischen Anlage stamme.

Die britische Premierministerin Theresa May erklärte im Parlament, die betreffende Substanz, die zu einer Gruppe militärisch einsetzbarer Nervengifte gehöre und als Nowitschock bezeichnet werde, sei nur in der Sowjetunion entwickelt worden.

Allerdings bleibt Porton Down wegen gefährlicher Experimente an Menschen in der Vergangenheit weiter umstritten. Britische Wissenschafter begannen dort im Oktober 1951 mit Sarin-Testreihen an Menschen.

Ab dem Februar 1953 wurden Freiwillige Dosen von bis zu 300 Milligramm Sarin ausgesetzt. Sie zeigten schwere körperliche Beeinträchtigungen, einer fiel sogar ins Koma, er konnte aber unter anderem durch Atropin-Gaben gerettet werden. Ihnen wurde nicht mitgeteilt, welcher Gefahr sie ausgesetzt wurden.

Im Mai 1953 fand ein weiterer Test an sechs Personen statt, darunter am Luftwaffensoldaten Ronald Maddison. Man sagte ihnen, es handle sich um einen medizinischen Versuch, um eine "Erkältung" zu bekämpfen. Maddison fühlte sich nach kurzer Zeit "seltsam", er begann zu schwitzen und wurde aus dem Raum gebracht. Kurze Zeit später wurde Maddison für tot erklärt.

Zwischen dem Beginn des Versuchs um 10.17 Uhr und dem Tod der Versuchsperson um 13.30 Uhr waren etwas mehr als drei Stunden vergangen. Die damaligen Vorgänge wurden jahrzehntelang unter den Teppich gekehrt. Erst 2004 urteilte ein Gericht, dass Maddison bei den Versuchen mit dem Nervengas durch das Verteidigungsministerium unrechtmäßig getötet worden sei.

In den folgenden Jahren stellte Großbritannien sein Chemiewaffenprogramm ein und konzentrierte sich auf die Entwicklung der Wasserstoffbombe. Porton Down wurde stattdessen in ein Forschungslabor umgewandelt, das sich der Beseitigung von Chemiewaffen und der Entwicklung von Schutzmaßnahmen widmet. Wie groß die verbliebenen Bestände an Giftgasen sind, ist nicht öffentlich bekannt.