Sie schauen in Frankreichs Zukunft. Haiba Ouaissi lotet sie als Vorsitzender des Clubs „21. Jahrhundert“ aus, Mathieu Baudin als Mitglied des „Instituts wünschenswerte Zukunft“ und Benjamin Blavier als Angehöriger des Zusammenschlusses „Passeport Zukunft“. Und alle drei sind sie fasziniert von den Chancen, die sich auftun. Die Entschlossenheit des neuen Präsidenten Emmanuel Macron, die Zivilgesellschaft politisch in die Pflicht zu nehmen, ist aus Sicht der Forscher „eine einmalige Gelegenheit“, neue Formen des Regierens herauszubilden, glaubt das Trio.


Ein Anfang ist gemacht. Macron hat politisch unvorbelastete Fachleute in die Regierung berufen. Die Verlegerin Françoise Nyssen leitet das Kultur-, der ehemalige Hochschulrektor Jean-Michel Blanquer das Bildungsressort. Die Medizinprofessorin Agnès Buzyn ist neue Gesundheitsministerin, die Universitätspräsidentin Frédérique Vidal Hochschulministerin. Bei den Parlamentswahlen gehen für Macrons Bewegung La République en Marche (LRM, Vorwärts die Republik) mehr als 200 Kandidaten aus der Zivilgesellschaft an den Start, darunter Winzer, Lehrer Meinungsforscher trauen den meisten den Einzug in die Nationalversammlung zu.


Die Entwicklung ist auch ganz im Sinne des Wählers. Laut einer Umfrage des Instituts Harris Interactive zeichnet sich der ideale Parlamentsabgeordnete für die meisten Franzosen durch Ehrenhaftigkeit und Bürgernähe aus. Er sollte nicht älter sein als 42 Jahre und möglichst in der Privatwirtschaft oder auf Vereinsebene tätig gewesen sein. Politische Erfahrung in Nationalversammlung oder Regierung sind dagegen nebensächlich. Wozu passt, dass die Franzosen im neuen Parlament gern mehr neue Gesichter sehen würden.


Im Wahlkampf erweist sich Unerfahrenheit bisher nicht nur als Trumpf, sondern auch als Handicap. Wenn Macrons Kandidaten auf Wochenmärkten Flugblätter verteilen wollen, müssen sie oftfeststellen, dass die Konkurrenz die besten Plätze längst belegt hat.
Im Parlament dürften es die Neuen kaum leichter haben. „Sie haben nicht das Kommunikationswerkzeug und die Beziehungen, um sich vor den Attacken der Politprofis zu schützen“, glaubt der Politologe Alain-Gérard Slama. Skeptisch zeigt sich auch der Philosoph Luc Ferry, den der frühere Staatschef Jacques Chirac 2002 zum Erziehungsminister ernannt hatte: „Um Reformen durchzusetzen, braucht es Macht und Netzwerke, Kompetenz allein genügt nicht.“


Hinzu kommt die Gefahr von Fehlgriffen. Auch wenn das Auslesekomitee die „Marschierer“ genannten LRM-Kandidaten unter die Lupe genommen hat, ist es davor nicht gefeit. So hat sich herausgestellt, dass eine Kandidatin wegen Urkundenfälschung zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. Das 2011 ergangene Urteil war fünf Jahre später aus dem Vorstrafenregister entfernt worden und dem Kontrollkomitee entgangen.