Vor dem Krisentreffen im Schuldendrama um Griechenland haben Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Ratspräsident Donald Tusk vor überzogenen Erwartungen gewarnt. "Der Gipfel am Montag kann nur ein Entscheidungs-Gipfel werden, wenn eine Entscheidungsgrundlage vorliegt", sagte Merkel in Berlin. Ansonsten sei das Treffen lediglich ein "Beratungs-Gipfel" - und man müsse weiter warten.

Tusk sagte im Hinblick auf das von ihm anberaumte Treffen der Staats- und Regierungschefs der Eurostaaten in Brüssel: "Der Gipfel wird nicht der letzte Schritt sein". "Wir müssen uns von jeglichen Illusionen befreien, dass es auf höchster Ebene eine Zauberformel gibt". Die USA riefen Griechenland und die Geldgeber zu einem Kompromiss im Schuldenstreit auf. "Wir glauben, dass für Griechenland und seine internationalen Partner eine Notwendigkeit besteht, Schritte in Richtung Kompromiss zu unternehmen", sagte Regierungssprecher Eric Schultz am Freitag (Ortszeit).

Allianz mit Russland

Beide Seiten müssten ein glaubwürdiges Reformprogramm erarbeiten, "das die Grundlage für langfristiges Wachstum in der Eurozone legen kann". Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras forderte erneut die EU mit Nachdruck auf, seinem Land zu helfen. Dort hoben verunsicherte Bürger nach Schätzungen vom Freitag allein in dieser Woche rund vier Milliarden Euro von ihren Bankkonten ab. Im russischen St. Petersburg vereinbarte er mit Kremlchef Wladimir Putin zugleich eine engere Zusammenarbeit beider Länder. Vom Weiterbau einer russischen Schwarzmeer-Gaspipeline (Turkish Stream) nach Griechenland erhofft sich Athen hohe Einnahmen für die leere Staatskasse.

Die Geldgeber aber beharren auf verbindlichen Reform- und Sparplänen Athens. Vielleicht nehme über das Wochenende die Bereitschaft zu, "das Notwendige zu tun", sagte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble nach Beratungen mit seinen europäischen Kollegen in Luxemburg. "Wir sind alle nicht besonders enthusiastisch." Die Europäische Zentralbank (EZB) hält Griechenlands Banken mit weiteren Notkrediten vorerst über Wasser und entschied, den Rahmen für sogenannten ELA-Hilfen erneut auszuweiten. Das erfuhr die Nachrichtenagentur Bloomberg von mit der Sache vertrauten Personen.

Nur noch 450 Millionen?

Im Streit um das griechische Sparprogramm geht es nach Angaben aus Athen indes nur noch um Maßnahmen für 450 Millionen Euro. Die Gläubiger machten zusätzlich Einsparungen in diesem Umfange zur Bedingung für die Auszahlung weiterer Hilfen, sagte Staatsminister Alekos Flambouraris im griechischen Fernsehsender MEGA.

Die Börsen in Frankfurt und New York schlossen am Freitag auch wegen der Griechenland-Sorgen im Minus. Tsipras zeigte sich trotz der verfahrenen Situation demonstrativ zuversichtlich und begrüßte die Einberufung des Sondergipfels der Euro-Staaten. "Wir arbeiten jetzt für den Erfolg dieses Treffens", sagte er am Rande eines internationalen Wirtschaftsforums in St. Petersburg. Erst am Donnerstag war ein Eurogruppen-Treffen ohne Einigung mit Griechenland zu Ende gegangen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte im "Spiegel" (Samstag) vor einem griechischen Austritt aus der Euro-Währungsunion ("Grexit"). "Ich habe Herrn Tsipras mehrfach gewarnt, er solle sich nicht darauf verlassen, dass ich ein Scheitern der Gespräche auf jeden Fall verhindern kann", sagte Juncker. Die führenden EU-Politiker brauchen laut Portugals Ministerpräsident Pedro Passos Coelho eine gemeinsame Antwort auf ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone. Es wäre unklug, solch ein Szenario nicht in Betracht zu ziehen, sagte er am Freitag.

Nicht so schlimm wie Lehman 2008

Für die Eurozone sei entscheidend, dass sie gemeinsam und geschlossen reagiere. Dies müsse von der EZB und den einzelnen Notenbanken vorbereitet werden. "Das ist für mich völlig klar." Der deutsche Wirtschaftsexperte Peter Bofinger, Mitglied im Sachverständigenrat der deutschen Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, sieht für den Fall eines Ausscheidens Griechenlands aus dem Euro nur mittelfristig schwerwiegende Folgen: "Kurzfristig hätte es vermutlich keine allzu großen Auswirkungen - weder auf Deutschland noch auf die Weltwirtschaft. Einen Schock wie nach dem Zusammenbruch der Investment-Bank Lehman Brothers im Jahr 2008 müssten wir nicht befürchten", sagte er der "Passauer Neuen Presse" (Samstag-Ausgabe). Damals seien die Märkte völlig überhitzt gewesen, doch heute sei die Situation eine andere. "Vermutlich würden an den Kapitalmärkten die Zinsen für Länder wie Italien oder Spanien steigen, da Spekulanten sich wieder diesen Ländern zuwenden würden. Aber das könnte man mit Hilfe der EZB bewältigen", prognostizierte er.

Spekulanten werden angezogen

Mittelfristig wäre ein "Grexit" jedoch schon ein Problem. "Die Eurozone würde ihren Charakter völlig verändern." Heute gelte sie als unangreifbare Festung. "Doch wenn ein Land ausscheidet, würde das Spekulanten anziehen. Sobald ein Land in eine wirtschaftlich schwierige Situation käme, würden Wetten auf einen weiteren Euro-Austritt abgeschlossen. Das treibt die Zinsen in die Höhe und sorgt dafür, dass Investoren ihr Kapital abziehen." So würden Länder destabilisiert, erläuterte er. Massive Konsequenzen hätte ein Grexit für Griechenland. "Er würde das Land ins ökonomische Chaos stürzen. Für die Wirtschaft wäre es ein massiver Schock. Das Land würde eine Inflation gigantischen Ausmaßes erleben, da die Regierung versuchen müsste, den Absturz durch das Drucken von Geld abzufedern," ergänzte der Wirtschaftsexperte.