Die rund 800 Flüchtlinge an Bord des führungslosen Frachters "Blue Sky M", der am Mittwoch die süditalienische Stadt Gallipoli erreicht hatte, haben 5.500 US-Dollar (4.567 Euro) pro Kopf für die Reise von der Türkei gezahlt. Das unter moldauischer Flagge fahrende Schiff war vom türkischen Hafen Mersin nahe der syrischen Grenze abgefahren.

Die Schlepper hatten auf Facebook in englischer und arabischer Sprache die Reise angekündigt und die Preise veröffentlicht, berichtete die italienische Tageszeitung "La Repubblica" am Sonntag. 5.500 Dollar pro Kopf, die bei Gruppen von über 25 Personen auf 4.500 Dollar sanken, mussten die Flüchtlinge zahlen, um an Bord des Schiffes genommen zu werden. An Bord der 1976 gebauten "Blue Sky M" befanden sich insgesamt 793 Personen, darunter 40 Minderjährige und einige schwangere Frauen. Das Schiff wurde sich selbst überlassen und steuerte auf die felsige Küste Apuliens zu, eine Katastrophe konnte in letzter Minute verhindert werden.

Der von den Schleppern angeheuerte Kapitän des Flüchtlingsschiffs "Blue Sky M" hat unterdessen der Polizei nach Zeitungsinformationen die Fahrt des Frachters geschildert. Die Menschenschmuggler hätten ihm 15.000 Dollar (12.455,37 Euro) geboten sowie die Möglichkeit, seine gesamte Familie mitzunehmen, sagte der 36-jährige Syrer Sarkas Rani laut einem Bericht der Zeitung "La Repubblica" im Verhör der Polizei, die ihn nach der Ankunft des Schiffs im süditalienischen Hafen Gallipoli am Mittwoch festnahm.

Als Flüchtling im Libanon sei er von einem Bekannten kontaktiert worden, der wusste, dass er Schiffskapitän war, sagte Rani. Die beiden Männer hätten sich in Istanbul getroffen und das Geschäft besiegelt. Mit drei weiteren Männern habe er sich auf der "Blue Sky M" eingeschifft. Diese sei vor dem türkischen Hafen Mersin nahe der syrischen Grenze vor Anker gegangen. Nach zwei Tagen habe ein Boot die erste Flüchtlingsgruppe gebracht. Nach vier Tagen seien knapp 800 Menschen an Bord gewesen, sagte Rani dem Bericht zufolge.

Wie Rani weiter schilderte, wurde das Schiff vor Mersin nie von den türkischen Behörden kontrolliert. Als es voll war, habe er persönlich die Route nach Italien festgelegt. Vor Griechenland habe er wegen der rauen See von den Behörden die Erlaubnis erbeten, in einer Bucht Schutz zu suchen, was ihm gewährt worden sei.

Zu keinem Zeitpunkt hätten die griechischen Behörden das Schiff überprüft, sagte Rani. Die Hafenpolizei hatte das Schiff zwar kontaktiert, nachdem Medien über Hunderte Flüchtlinge an Bord berichtet hatten, doch ließ sie das Schiff passieren. Als sich das Schiff Italien näherte, setzte Rani es mit sechs Knoten (elf Stundenkilometer) auf Kurs zur Küste und verließ die Brücke, um sich unter die anderen Flüchtlinge zu mischen. Ohne die rechtzeitige Intervention der italienischen Küstenwache wäre das Schiff wohl auf Land gelaufen.

Fünf Seemeilen (neun Kilometer) vor der Küste gelang es Mitgliedern der Küstenwache, sich vom Helikopter auf die "Blue Sky M" abzuseilen und die Kontrolle über das Schiff zu übernehmen. Am frühen Mittwoch erreichte das Schiff mit 768 Flüchtlingen dann den Hafen Gallipoli. Zwei Tage später wurde ein zweites führerloses Frachtschiff mit 360 Flüchtlingen an Bord vor der italienischen Küste aufgegriffen. Ob sich im Fall der "Ezadeen" die Besatzung absetzte oder unter die Flüchtlinge an Bord mischte, ist unklar.

Die Flüchtlinge auf dem führungslosen Frachter "Ezadeen" hatten sogar bis zu 8.000 Dollar für ihre Überfahrt gezahlt, berichtete der Vorsteher der süditalienischen Provinz Cosenza, Gianfranco Tomao, unter Berufung auf Aussagen der 360 Flüchtlinge, die das Schiff im Hafen von Corgliano verließen. Die aus Syrien stammenden Flüchtlinge waren über den Libanon per Flugzeug in die Türkei gereist, wo sie an Bord der "Ezadeen" gingen. Laut dem Präfekten hatten die Besatzungsmitglieder stets das Gesicht verhüllt, bevor sie die Brücke verließen und das Schiff führungslos vor Italien im Meer treiben ließen.

Schlepper scheinen sich zunehmend dieser Methode zu bedienen, weshalb die EU-Grenzschutzagentur Frontex am Freitag auch von einem "neuen Grad der Grausamkeit" von Seite der Menschenschmuggler sprach. Die Verwendung großer Frachtschiffe, die kurz vor der Verschrottung stehen, stellt eine neue Strategie dar. Zudem können die Frachter im Gegensatz zu kleineren Fischerbooten auch im Winter, bei höherem Wellengang, die Überfahrt von Nordafrika bewältigen. An Bord von alten Frachtern seien in den letzten drei Monaten 10.000 Migranten in Süditalien eingetroffen, berichtete die Tageszeitung "Corriere della Sera" am Sonntag.

Das internationale Seerecht verpflichtet Seefahrende dazu, Schiffbrüchigen oder Passagieren havarierter Boote zu helfen. Diese Klausel haben Schlepper auch in der Vergangenheit immer wieder ausgenutzt. Meist setzten sie bisher aber Flüchtlinge auf kaum seetüchtigen Schlauch- oder Fischerbooten aus.

Nach Angaben der italienischen Küstenwache wurden im Vorjahr 167.184 Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet. 2013 waren es noch 41.406.