Der Migrationsforscher Gerald Knaus hält den britischen Asylpakt mit Ruanda für „grundsätzlich sinnvoll“. In einem Interview mit den „Salzburger Nachrichten“ (SN) (Mittwoch-Ausgabe) sagte Knaus: „Es ist manchmal sogar die einzige Möglichkeit, das Sterben im Mittelmeer zu reduzieren und die Flüchtlingskonvention zu retten.“ Der Völkerrechtler Holger Hestermeyer zeigte sich hingegen im „Standard“-Interview sehr skeptisch.

Ob das Modell auch beispielhaft für die EU sei, werde man „in der Praxis sehen müssen, und dazu braucht man auch die Fähigkeit, das zu beobachten. Aber von vornherein zu sagen, jedes afrikanische Land, das dazu bereit ist, ist unfähig, ein paar Tausend Menschen würdig human aufzunehmen, ist absurd. Das würde ja bedeuten, dass das globale Flüchtlingssystem auf den Schultern von zehn Ländern im Norden Europas ruhen muss, weil alle anderen Länder der Welt in der nahen und fernen Zukunft unsicher sein werden“, so Knaus.

Gerald Knaus | Migrationsforscher Gerald Knaus über den Asylpakt.
Gerald Knaus
| Migrationsforscher Gerald Knaus über den Asylpakt. © Mike Wolff TSP / dpa Picture All

Sowohl Ruanda als auch die Türkei beim Flüchtlingsdeal mit der EU im Jahr 2016 hätten eine Migrationskooperation selbst vorgeschlagen, sagte Knaus weiter. Im Falle Ruandas sei dann für Großbritannien die fehlende Qualität der nationalen Asylverfahren die Schlüsselfrage gewesen. „Daraufhin hat Großbritannien mit Ruanda das Abkommen nachgebessert. Das zeigt uns die Bedeutung von Standards, Gesetzen und Gerichten.“ Nunmehr sei festgeschrieben worden, dass niemand, der aus Großbritannien nach Ruanda gebracht werde, jemals in ein anderes Land abgeschoben wird, auch wenn das Asylverfahren negativ ausgeht. „Damit entfällt zumindest eine der Sorgen der Richter: dass etwa Syrer nach Ruanda gebracht werden, es dort kein faires Verfahren gibt und Syrer abgeschoben werden, die Schutz brauchen.“

Auf die Frage, ob ein derartiges Modell auch mit anderen Ländern möglich sei, sagte der Migrationsforscher: „Natürlich könnten manche Länder in Nord- oder Westafrika das machen. Die Frage ist, ob sie das wollen. Libyen kann es nicht, Tunesien will es unter diesem Präsidenten nicht. Mit Marokko oder Senegal halte ich das für möglich, wenn man ihnen ein attraktives Angebot macht.“

Kaum Unterstützung der Bevölkerung

Hestermeyer, der als Professor an der Diplomatischen Akademie Wien lehrt und zuvor auch am King's College London tätig war, sagte gegenüber dem „Standard“ (Mittwoch-Ausgabe): „Ich halte das für eine große Tragödie, die sich da abspielt. Dieses Vorgehen verletzt die Menschenrechte. Es war nicht im letzten Wahlprogramm der Tory-Regierung enthalten. Der Sunak-Regierung fehlt die Legitimation durch eine Wahl. Und zudem hat die Ruanda-Politik keine Unterstützung durch die Mehrheit der Bevölkerung.“

Eine Rückkehr nach Großbritannien werde, bis auf wenige unklar definierte Einzelfälle, gänzlich ausgeschlossen, sagte der Völkerrechtsexperte weiter. „Das Vereinigte Königreich hat schon bisher eine Viertelmilliarde Pfund bezahlt für eine Politik, die gegen die Menschenrechte verstößt.“ Die Aussagen des UNO-Flüchtlingshochkommissariats seien ganz eindeutig: Ruanda sei kein sicheres Land. In Großbritannien habe der Supreme Court im November faktisch festgelegt: „Ruanda ist kein sicheres Land. Und die Regierung konnte die Beweislage seit November nicht verändern.“ Nun werde per Gesetz mitgeteilt, dass Ruanda doch sicher sei, sagte Hestermeyer.

Die in der Nacht auf Dienstag beschlossene „Safety of Rwanda (Asylum and Immigration) Bill“ soll es der britischen Regierung ermöglichen, Asylsuchende, die seit dem 1. Jänner 2022 auf unerlaubtem Weg in das Vereinigte Königreich gelangt sind, nach Ruanda auszufliegen, wo sie um Asyl ansuchen und sich im Falle eines positiven Verfahrens auch niederlassen sollen. Die Abschiebeflüge in das ostafrikanische Land würden „in zehn bis zwölf Wochen“ beginnen, kündigte der konservative Premierminister Rishi Sunak am Montag an.