Roosevelt. Biden fing ausgerechnet mit Franklin D. Roosevelt an, U.S. Präsident im Zweiten Weltkrieg; ähnlich wie damals sei Amerika in gefährlichen Zeiten, Russland stehe vor den Toren der Ukraine (wobei Roosevelt allerdings mit Russland kämpfte, nicht dagegen). Die Ukraine aber könne Putin stoppen, wenn Amerika nur genug Waffen schicke. Dabei müsse es bleiben, sagte Biden. „Wir werden nicht weggehen, wir werden uns nicht beugen. Die Geschichte beobachtet Amerika.“

Dann erinnerte er an Ronald Reagan, der Michael Gorbatschow gebeten habe, die Mauer einzureißen. Sein Vorgänger aber — Biden vermied es, Trump beim Namen zu nennen — habe zu Putin gesagt, der könne in Europa machen, was er wollte. Die Nato sei von den USA nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, um den Frieden zu erhalten, Trump wolle die verlassen. Es gebe allerdings keine amerikanischen Soldaten in der Ukraine, und dabei werde es auch bleiben, versicherte Biden.

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Biden hielt seine lang erwartete „State of the Union“-Rede an die Nation, die von allen TV-Sendern ausgestrahlt wurde. Er sprach vor den vollbesetzten Rängen des Repräsentantenhauses in Washington, DC, an seiner Seite Vizepräsidentin Kamala Harris, im Nacken Mike Johnson, den fast noch frischgebackenen Sprecher der Republikaner im Haus, der an dritter Stelle stünde, falls Biden und Harris mit dem Flugzeug abstürzten. Verkehrsminister Pete Buttigieg war in der Menge, Generalstaatsanwalt Merrick Garland, Rechtsaußen Marjorie Taylor Green mit rotem MAGA-Hut, Linksaußen Bernie Sanders und demokratische Altgesteine wie Nancy Pelosi und Chuck Schumer, der dem Präsidenten nicht von der Seite wich.

Biden, der laut umjubelt wurde, wirkte erstaunlich lebendig. Vor der Rede schüttelte er Hände, lächelte, machte Selfies mit Abgeordneten, plauderte mit Politikern beider Parteien und wurde mit Händeklatschen und „Four More Years“, vier weiter Jahre, begrüßt. „Wenn ich klug wäre, würde ich jetzt nach Hause gehen“, scherzte Biden.

Mit lauter, kräftiger Stimme, ohne Teleprompter

Er sprach mit lauter, kräftiger Stimme, ohne Teleprompter, und verhaspelte sich nicht. Aber trotzdem sah man ihm sein Alter an, schon daran, wie langsam er sich bewegte. Mit einer weißen Robe könnte er als Papst durchgehen. Es komme nicht auf das Alter eines Präsidenten an, sondern darauf, wie neu seine Ideen seien, meinte er dazu.

Im Publikum war ein Paar aus Alabama, das ein Kind mit In-Vitro-Befruchtung bekommen hatte; das hatte das höchste Gericht dort verboten. Dagegen will Biden vorgehen, auch gegen die Entscheidung des Supreme Court, das Recht auf Abtreibung zu limitieren. Das Gericht wisse nicht, wie viel Macht Frauen hätten.

Die großen Probleme, die Amerikaner umtreiben, sind Inflation und Immigration. Biden versprach, gegen „Shrinkflation“ vorzugehen, Hersteller, die Produkte zum gleichen Preis verkaufen, aber den Inhalt schrumpfen lassen. Er will eine „Task Force“ ins Leben rufen, außerdem will er überhöhte Gebühren für Kreditkarten oder Telefonanbieter verbieten. Was Immigration betrifft, betonte Biden, dass er einen Gesetzesentwurf vorgelegt habe, die Grenze zu sichern, den hätten die Republikaner abgelehnt. Bei einem lautstarken Disput mit Taylor Greene nannte er aber Flüchtlinge „Illegale“, ein bei Demokraten verpönter Begriff. „Kein Mensch ist illegal“, twitterte danach die demokratische Abgeordnete Delia Ramirez. Biden beeilte sich zu ergänzen, dass alle Amerikaner von woanders her gekommen seien.

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Vor allem erwähnte er seine Erfolge. Die Wirtschaft boome, es gebe Millionen neue Jobs (davon jedoch viele, die nach Corona zurückgekehrt seien), die Löhne stiegen. Er habe Studentendarlehen gestrichen und er habe, anders als „mein Vorgänger“ dafür gesorgt, dass föderale Projekte mit amerikanischen Arbeitern gebaut würden. Er werde den Planeten von der Klimakrise retten und das Land vor Waffengewalt. Er werde auch dafür sorgen, dass die Medikamentenpreise sinken. Den Preis für Insulin habe er bereits gesenkt, das wolle er fortsetzen. Er versprach überdies, zwei Millionen Wohnungen zu bauen, um die Mieten zu senken.

Als er über Gewerkschaften und die Mittelklasse sprach, die Amerika gebaut hätten, klang er wie ein alter Sozialdemokrat. Die „Trickle Down-Economics“, bei der Ökonomen hoffen, dass die Arbeiter ein paar Brocken von den Reichen abbekommen, sei vorbei, auch die Steuersenkungen für Reiche unter „meinem Vorgänger“: Biden versprach, eine Mindeststeuer von 25 Prozent für Millionäre einzuführen. „Kein Millionär soll weniger Steuern zahlen als ein Lehrer oder eine Krankenschwester.“

Der Präsident erwähnte auch die Bürgerrechtsbewegung, für die in 2025 ein Jahrestag ansteht: Hier begannen schwarze Bürgerrechtler unter Martin Luther King 1965 mit ihren Demonstrationen, um das Wahlrecht für Schwarze durchzusetzen.

Demonstrationen

Derweil demonstrierten lautstark Unterstützer der Palästinenser vor den Toren des Capitols für eine Waffenruhe. Biden hatte angekündigt, die USA würden eine Seebrücke nach Gaza bauen, um Palästinenser mit Lebensmittel zu versorgen, nachdem Israel Mehllieferungen abgewiesen hatte. Im Gazastreifen, der unter konstanter Bombardierung ist, droht eine Hungersnot, und aufgebrachte Wähler könnten Bidens Erfolg in den knappen Staaten gefährden, insbesondere in Michigan, wo viele arabische Einwanderer leben. Als Biden die 30.000 palästinensische Toten erwähnte, applaudierte Harris heftig, Johnson schwieg und die palästinensisch-stämmige Abgeordnete Rashida Tlaib brach in Tränen aus. Biden sagte, dass die USA weiterhin eine Zwei-Staaten-Lösung im Mittleren Osten anstrebten.

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Nach der State-of-the-Union-Address sprach Katie Britt, Senatorin aus dem Bundesstaat Alabama für die Republikaner. Britt wirkte nach Biden wie eine Hochschülerin. Die Politikerin, die von ihrem Küchentisch aus sprach, schilderte die USA unter Biden als Albtraum. „Unser Commander in Chief kommandiert nicht“, sagte sie. Amerika verdiene einen Führer, der nicht zittere und langsam vergehe.

Derweil twitterte Donald Trump, was das Zeug hielt. Der Wirtschaft gehe es unter Biden so schlecht wie zuletzt während der Großen Depression, die er versprach, wieder zur alten Größe zu restaurieren. Er erwähnte die steigenden Eierpreise, die hohen Benzinpreise und versprach, die Trump-Ökonomie wieder herzustellen.

Auf einer eher komischen Note: George Santos, der Mann mit den vielen schillernden Persönlichkeiten, will in den Kongress zurückkehren, aus dem er erst vor Wochen herausgeworfen wurde, nachdem die Republikaner in New York ihm das Mandat entzogen haben. Allerdings muss er erst einmal einen Wahlkreis finden.