Mit einer Offensive in Rafah will die israelische Armee den Weg zum „totalen Sieg über die Hamas“ ebnen, verspricht Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Am Montag gelang der Armee ein wichtiger Teilerfolg. Zwei Geiseln, die sich seit Monaten in der Gewalt der Terrorgruppe befanden, konnten befreit werden. Grund genug für Israel, trotz internationaler Warnungen nicht zurückzuschrecken.

Dramatische Lage in Spitälern

Rafah ist aber nicht nur Schauplatz der verzweigten und schwer überschaubaren Terrorinfrastruktur der Hamas, sondern auch Aufenthaltsort für mittlerweile 1,3 Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser – viermal so viele wie noch vor einem Jahr. Rund eine Million Menschen sind seit Beginn der israelischen Offensive im Gazastreifen in dessen südlichste Stadt geflohen, um Sicherheit zu suchen. Sicherheit, die nun zu zerbrechen droht.

„Die Situation in Rafah ist angesichts der vielen Vertriebenen erschreckend“, beschreibt Lisa Machreiner von Ärzte ohne Grenzen die Lage vor Ort. Mit dem Al Emirate Maternity Hospital gibt es nur noch eine Einrichtung, die sich um die medizinische Versorgung schwangerer Frauen kümmert. Hier kommen heute dreimal so viele Kinder zur Welt, wie vor dem Krieg. Wegen des enormen Platzmangels werden die Mütter jedoch innerhalb von 24 Stunden nach der Geburt entlassen. An medizinischer Versorgung mangelt es ohnehin. „Den Menschen hier fehlt es eigentlich an allem – an Essen, an Wasser, aber vor allem an medizinischer Versorgung“, sagt Machreiner.

In der Grenzstadt zu Ägypten gibt es keine Ruhe mehr. „Wenn ich mich umschaue, sehe ich Menschen, überall Menschen, denen es an allem fehlt“, sagt Machreiner. Die Situation sei schwierig. Kollegen hätten sie zwar vorab über die Lage informiert, doch als sie am Sonntag ankam, habe sie ihren Augen nicht trauen können. Ein Mann habe auf einer Plastiktüte neben schreienden Kindern gekniet und gebetet, seinen Gebetsteppich habe er – wie so vieles – in den letzten Monaten verloren.

Kinder sind extrem verängstigt

In der Nacht auf Dienstag habe es wieder Raketenangriffe gegeben. „Unsere Fenster haben gewackelt, ich bezweifle, dass irgendjemand in Rafah in dieser Nacht Schlaf gefunden hat“, berichtet die Ärztin. Vor allem die Kinder seien sehr verängstigt. Sie wüssten um den Ernst der Lage, könnten ihn aber nur schwer verarbeiten. „Sie weinen und lassen sich kaum beruhigen.“

Die Ungewissheit begleitet alle in Rafah – die Helfer ebenso wie die Bewohner. Die in Zelten zusammengepferchten Palästinenser wissen nicht, wohin. Die Bitte Israels an die UNO, vor einer Offensive bei der Evakuierung zu helfen, wurde abgelehnt. Man wolle sich „nicht an einer Vertreibung beteiligen“, teilte die Staatenorganisation mit. Auch der israelische Armeesprecher Arye Sharuz Shalicar blieb am Montag in der ZiB2 eine Antwort schuldig, wie mit der Zivilbevölkerung umgegangen werden soll. Auch von Seiten der Hamas gebe es keine Bemühungen, den Geflüchteten eine Perspektive zu bieten. Und so weiß niemand, wie es weitergeht“, sagt Machreiner.