Seit einem Monat sitzt Javier Milei im „Rosa Haus“ („Casa Rosada“), dem Präsidentenpalast von Buenos Aires. Die große Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger hievten den Quereinsteiger in das Amt. Als er zum neuen Präsidenten Argentiniens gewählt wurde, ging ein Aufschrei durch die Welt. In diesem kurzen Zeitraum hat sich in Argentinien viel geändert – nach Meinung von Tobias Boos, Politikwissenschaftler und Südamerika-Experte – jedoch wenig zum Besseren.

Mileis „ehrliche Preise“ steigen an

Milei, der als Ultra-Libertärer mit einer radikalen Marktöffnung die Rekord-Inflation von über 100 Prozent im Jahresschnitt bekämpfen wollte, ist vorerst gescheitert. Innerhalb einer Woche wurden Benzin und Lebensmittel um 30 Prozent teurer, Transportkosten stiegen um 600 Prozent. All das war zu erwarten. „Mileis Strategie zielt darauf ab, die Preise ,ehrlich zu machen’“, sagt der Politikwissenschaftler und Südamerika-Experte Tobias Boos im Gespräch.

Keine politischen Eingriffe, keine Regulierungsmaßnahmen: Das hatte Milei versprochen und mit einem Dekret Ende des Jahres 2023 auf den Weg gebracht – und damit die staatlichen Stützungszahlungen für den öffentlichen Verkehr abgeschafft. Eine Steigerung der Kosten war eingepreist. Milei erhofft sich nun, dass die Preise in den kommenden Wochen und Monaten wieder radikal zu sinken beginnen – Boos ist skeptisch. „Milei träumt von einem Niedriglohnland Argentinien – dadurch sollen die Preise wieder sinken – doch Gesellschaft und Wirtschaft funktionieren weitaus komplexer, als sich der Präsident das wünscht“, gibt der Experte zu bedenken.

Der Politikwissenschaftler Tobias Boos von der Uni Wien

Hinzu kommt: Mileis Vorhaben steht auf wackligen Beinen. Die Gerichte werden noch prüfen, ob sein Dekret verfassungskonform ist. Noch sind die Gerichte in Argentinien auf Urlaub, Ende Jänner könnte es für Mileis Prestigeprojekt aber eng werden. Ob verfassungskonform oder nicht – in der Geschichte finden sich wenige Beispiele, die Mileis Wirtschaftskurs stützen und den von vielen erhofften Umschwung noch in die Wege leiten.

Neben seinen wirtschaftspolitischen Vorhaben hat der Präsident auch gesellschaftspolitische Maßnahmen gesetzt. Ein mehr als 300 Seiten dickes Gesetzespaket soll Schwangerschaftsabbrüche und das Demonstrationsrecht stark beschneiden. In Mileis Welt – die Freiheit zum Kampfbegriff gemacht hat – ist das kein Widerspruch. Denn obwohl er mit seiner Wirtschaftspolitik für radikale Freiheiten steht, ist er gesellschaftspolitisch für Restriktionen – ähnlich wie beispielsweise Donald Trump.

Widerstand nimmt zu

Teile der Bevölkerung verlieren jedoch allmählich ihre Geduld. „Nicht wenige haben Milei wegen seiner Versprechen, die Inflation zu senken, gewählt und haben gedacht, dass er seine anderen Vorhaben nicht durchsetzen wird – da haben sie sich aber ordentlich getäuscht“, so Boos. Auch ihm wohlgesonnene Vertreter aus der Wirtschaft sind unzufrieden mit Mileis’ Kurs. Die Fischereiindustrie etwa leidet unter dem Ende der schützenden Zölle.

Auch die argentinische Industrie wird in ihrer Bedeutung zurückgedrängt. Auf den sozialen Medien kursieren Umsturzgerüchte. Boos schenkt diesen wenig Glauben. Der Boulevard würde viel aufblasen und die Unzufriedenheit womöglich überinterpretieren. Fakt ist dennoch: Mileis radikale Vorstellungen haben noch nicht gefruchtet. Argentinien bleibt das Land der Unzufriedenen.