Man braucht kein Hellseher zu sein, um festhalten zu können, dass eine einzige Wahl in diesem Jahr die Zukunft der gesamten Welt mitbestimmen wird. Es ist die US-Präsidentenwahl. Nach derzeitigem Stand - und mit ziemlicher Sicherheit - werden dort der amtierende demokratische Präsident Joe Biden und der Republikaner Donald Trump gegeneinander antreten. Und Letzterer kann sich gute Chancen auf eine Rückkehr ins Weiße Haus ausrechnen. Joe Biden verliert in wichtigen Swing States an Boden. Donald Trump hingegen scheinen die unzähligen Gerichtsverfahren und zuletzt auch die Ausschlüsse von den Vorwahlen in Colorado und Maine nicht weiter zu schaden. Was sicher ist: Gewinnt Trump, wird die Welt, wie wir sie kennen, bald ganz anders aussehen. Denn Trump ist erpicht darauf, Vorhaben, die er in seiner ersten Amtszeit nicht durchsetzen konnte, bei seinem Comeback umso nachdrücklicher Realität werden zu lassen – das betont er schließlich selbst. Doch was heißt das im Konkreten?

Demokratie und Verfassung:

Trump selbst bezeichnete sich mit Blick auf eine weitere Amtszeit bereits als Diktator. Zumindest am ersten Tag seiner Präsidentschaft würde er einer sein, erklärte er in einem Interview mit dem TV-Sender Fox im Dezember. Warnungen vor einer ernsthaften Gefahr für die Demokratie kommen mittlerweile nicht nur aus den Reihen der Demokratischen Partei. So sieht auch die ehemalige republikanische Kongressabgeordnete Liz Cheney eine „sehr reale Bedrohung“, sollte Trump, der das letzte Wahlergebnis trotz gerichtlicher Anerkennung weiter infrage stellt, wiedergewählt werden. Der Politikwissenschaftler Robert Kagan vergleicht die USA in einem Beitrag für die Washington Post hingegen mit der Weimarer Republik vor der Machtergreifung durch Adolf Hitler. Anhaltspunkte für die Behauptung findet man in einer Rede Trumps im vergangenen Dezember in New Hampshire. Dort erklärte er, bezugnehmend auf Einwanderer, die ins Land strömen: „Sie vergiften das Blut unseres Landes“. 

„Die Demokratie in den USA ist tatsächlich gefährdet“, betont auch der Politikwissenschaftler Thomas Jäger von der Universität Köln im Gespräch. Gefährlich sei eine weitere Amtszeit laut Jäger vor allem deshalb, weil sich Trumps Team, anders als bei der stolpernd verlaufenen ersten Präsidentschaft, viel länger darauf vorbereiten konnte: „Es waren Personen in Ämtern, die nicht wussten, was sie dort machen sollen.“ Nun bereite man sich auf einen „Blitzkrieg“ vor, mit dem Institutionen gekapert werden sollen. Die Denkfabrik „Heritage Foundation“ arbeitet bereits an einem Plan namens „Projekt 2025“. Es ist ein 920 Seiten dicker Entwurf von führenden ultrakonservativen Denkern, die mit einer aggressiven Strategie den reaktionären Umbau des amerikanischen Staates vorantreiben wollen. Das ist an sich nichts Außergewöhnliches. Wenn ein neuer Präsident kommt, wird die Administration neu besetzt. Das Problem sei laut Jäger aber, dass das von Trump geschaffene Umfeld sektenartige Züge annehme. „Es geht um Trump-Gläubige“, die den Ex-Präsidenten als gottähnlichen Erlöser sehen. Trump selbst bedient in seinen Reden ein Märtyrer-Motiv, die Botschaft lautet: Die Demokraten sind hinter euch her, nicht hinter mir. Ich stelle mich ihnen nur in den Weg. Politische Herausforderer und Andersdenkende würden nicht mehr als Gegner gesehen, sondern als Feinde bekämpft werden. „Trump kann im schlimmsten Fall am Kongress vorbei mit Gewalt regieren, indem er von einer drohenden Rebellion oder einem Aufstand spricht. Das gab es in der Geschichte der USA immer wieder“, erklärt Jäger.

Europa:

Die Tage, an denen die USA ihren Schutzmantel über Europa legen, könnten gezählt sein. Trump liebäugelt mit einem „Standby-Modus“ der Nato. Er will nicht länger für Europa den Kopf hinhalten. Das betonte er bereits im Jahr 2018. Bei einem Treffen im Oval Office las Trump eine Liste von Nato-Staaten vor - Montenegro, Luxemburg, Lettland. Kein Amerikaner habe je von diesen Ländern gehört, erklärte Trump laut dem Magazin „Rolling Stone“. Im Ernstfall müsse er dennoch für diese Länder den „Dritten Weltkrieg beginnen“. Europa interessiert ihn nicht. Das zeigt eine weitere Episode aus dem Oval Office. Als im selben Jahr - 2018 - Staatschefs der baltischen Länder Litauen, Lettland und Estland nach Washington reisen, gibt Trump dem Vernehmen nach zu verstehen, dass er die Länder verantwortlich für den Krieg in Jugoslawien mache. Die baltischen Präsidentinnen und Präsidenten waren überrascht - bis sie verstanden, dass Trump das Baltikum mit dem Balkan verwechselt hatte. Eine geografische Lücke, die in Anbetracht der geopolitischen Lage - Russland ist unmittelbarer Nachbar des Baltikums - verheerend ist.

Militärkommandant Philipp Eder
Militärkommandant Philipp Eder © Thomas Hude

Laut Artikel 5 der Nato-Satzung ist das Bündnis verpflichtet, Mitglieder im Falle eines Angriffs zu unterstützen. Aber der Vertrag lässt offen, wie und in welchem Umfang man zu Hilfe eilt. Das könnte Trump ausnutzen. In einer zweiten Amtszeit von Donald Trump würden die USA „mit ziemlicher Sicherheit“ aus der Nato austreten, sagte bereits John Bolton, Trumps früherer nationaler Sicherheitsberater. Das würde die Abschreckungsfähigkeit Europas gegenüber Russland massiv beschädigen. An einen tatsächlichen Ausstieg der USA aus der Nato glaubt Politikwissenschaftler Jäger nicht: „Trump hat den Natoaustritt in seiner ersten Amtszeit bereits propagiert, aber dann die Streitkräfte in Europa verstärkt“. Der Ex-Präsident sei unberechenbar. „Wohl möglich“ sei ein Natoaustritt an sich, jedoch sei er für den Status der USA nicht förderlich. Offen bliebe zudem die Frage, ob der Taktgeber der Verteidigungsbündnisses so einfach seine führende Rolle aufkündigen könnte: „Die Beitrittsurkunden der Mitgliedsstaaten liegen schließlich alle in Washington“, betont Jäger.

„Es ist eine Frage der Priorisierung“, betont hingegen der Militärstratege und Kärntner Militärkommandant Philipp Eder vom Österreichischen Bundesheer. Die USA orientieren sich mittlerweile Richtung Asien. „Die Amerikaner können Geld sparen, indem sie den Europäern ihr Europa überlassen. Das bedeutet aber nicht, dass wir einen vollständigen Rückzug erleben werden. Die USA wollen nämlich weiter bestimmende Weltmacht sein.“ Und das ginge schließlich nur mit Europa. Zudem habe der Kongress bereits entsprechende Schritte eingeleitet, um ein vorschnelles Verlassen der Nato zu unterbinden: „Trump bräuchte dafür eine Zweidrittelmehrheit im Senat“, betont Eder. Die Demokraten haben im Senat aber eine Mehrheit von 51 Sitzen.

Wladimir Putin (r.) und Donald Trump im Jahr 2018
Wladimir Putin (r.) und Donald Trump im Jahr 2018 © AP / Pablo Martinez Monsivais

Kriege:

Auch hinsichtlich des Krieges in der Ukraine möchte Trump Europa in die Pflicht nehmen. Die Republikaner blockieren bereits jetzt weitere Gelder für Kiew. Im Alleingang streichen kann Trump Militärhilfen aber nicht. Der Kongress hat das letzte Wort.

Trump steht darüber hinaus für eine antichinesische Haltung und scheut keinen zweiten Handelskrieg. Das ist in diesem Jahr doppelt gefährlich. Denn am 13. Jänner wird in Taiwan gewählt. Peking betrachtet die demokratisch verfasste Insel als abtrünnige Provinz. Experten warnen - nicht zuletzt seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine - bereits vor einem Überfall Chinas auf Taiwan. Die Insel ist eng mit den USA verbunden. Ein weiterer Krieg, bei dem die USA als Kriegspartei in Erscheinung treten, könnte die Folge sein.

Und auch Israels Premier Benjamin Netanjahu blickt gespannt auf die US-Wahlen. Denn trotz der militärischen Unterstützung durch Joe Biden wäre ein Präsident Trump für ihn vorteilhafter. Anders als Biden würde Trump die palästinensische Frage ignorieren. Die Forderungen einer Verwaltung Gazas durch die Palästinensische Autonomiebehörde, wie Biden es für die Zeit nach dem Krieg in Nahost vorsieht, wäre vom Tisch.

Gleichzeitig hat Trump einen entscheidenden Vorteil: Er kann die Verantwortung für den langen Krieg in Gaza – wie bereits beim Abzug aus Afghanistan – Joe Biden in die Schuhe schieben, selbst wenn Trump gleich gehandelt hätte und durch die Abraham-Abkommen (den faktischen Frieden zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten und u.a. Bahrain und das Forcieren der Ein-Staatenlösung) die Saat für das erneute Aufflammen des Konflikts legte. Eine Wiederauflage der Ölkrise, wie 1973, als die arabischen Länder im Rahmen des Jom Kippur Krieges den Westen mit einem Ölembargo strafte, wäre laut Beobachtern nicht auszuschließen.

Politikwissenschaftler Thomas Jäger von der Univsersität Köln
Politikwissenschaftler Thomas Jäger von der Univsersität Köln © Universität Köln

Juristische Vorwürfe:

Die juristischen Probleme von Donald Trump sind immens. Vier Verfahren mit insgesamt 91 Anklagepunkten laufen derzeit gegen den Ex-Präsidenten. So stellt sich die Frage: Was passiert, wenn Trump nach einer möglichen Wiederwahl schuldig gesprochen wird? Als Präsident besitzt Trump ein weitreichendes Begnadigungsrecht. Ob er sich sogar selbst begnadigen kann, ist unter Rechtsexperten umstritten. Er könnte sich jedoch im Falle einer Verurteilung kurz im Amt vertreten lassen und sich daraufhin von einem wohlgesonnenen Stellvertreter begnadigen lassen, von dem er dann das Amt wieder übernimmt.

Sollten die Verfahren bei einem möglichen Amtsantritt noch nicht abgeschlossen sein, könnte Trump ebenfalls einwirken. Ein von ihm eingesetzter Justizminister könnte laut US-Recht den von der Biden-Regierung eingesetzten Sonderermittler, der die Vorwürfe gegen Trump untersucht, bei Vorwürfen der Unfähigkeit, des Fehlverhaltens oder aus anderen „guten Gründen“ wieder entlassen.

Wirtschaft:

Ein Comeback von Donald Trump würde auch die Weltwirtschaft beeinflussen. „America First ist für Europa immer schlecht“, sagt Klaus Weyerstrass vom Institut für Höhere Studien (IHS). Obwohl Joe Biden die Wirtschaftspolitik seines Vorgängers weitgehend fortführte - lediglich mit freundlicherem Ton - würde eine weitere Amtszeit von Trump einiges verändern. „Wir sehen, dass sich auch Trumps Umfeld mittlerweile stark radikalisiert hat und die verbindenden Stimmen, die an einer transatlantischen Zusammenarbeit interessiert sind und in der ersten Amtszeit noch da waren, fast gar nicht mehr zu finden sind“, so Weyerstrass. Durch den russischen Krieg in der Ukraine und den Spannungen rund um Taiwan ist Europa zuletzt auf Distanz zu den Aggressoren gegangen. Würde nun auch die USA als wichtiger Partner, mit dem man Freihandelsabkommen aufrecht hat, wegbrechen, ist der Wohlstand in Europa jedenfalls in Gefahr, prognostiziert Weyerstrass.

Anders sehe es jedenfalls in den USA aus. Hier würde Trumps nationalistische Politik einige Unternehmen begünstigen. „Trump steht innerhalb der USA für sehr offene Märkte, während er ansonsten auf Abschottung aus ist“, sagt Weyerstrass. US-amerikanische Öl- und Gas-Unternehmen können von einer neuerlichen Amtszeit des Republikaners jedenfalls profitieren, vor allem wenn Trump neuerlich das Pariser Klimaabkommen und andere Übereinkünfte aufkündigt. Von derartigen Maßnahmen und staatlichen Subventionen könnten auch ausländische Firmen mit Sitz in den USA als Nutznießer hervorgehen. Keine großen Verwerfungen erwartet der Experte hingegen bei den Aktienmärkten. Hier könnte es bei einer Wahl Trumps vielleicht zu einem kurzen Schock kommen, langfristige Erschütterungen dürften jedoch nicht eintreten.