Sie wünschte, dass es nicht ein Krieg gewesen sei, der den Prozess so beschleunigt hätte, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gestern unmittelbar nach dem Gipfel, der der Ukraine und Moldau den Beginn von Beitrittsverhandlungen, Georgien den Kandidatenstatus und Bosnien-Herzegowina deren baldigen Beginn bescherte. Zehn Länder sind es mittlerweile, in seit unterschiedlich langer Zeit und in überaus unterschiedlichen Ausprägungen darauf warten, eines Tages Teil der Europäischen Union zu sein.

Zuletzt hatte es vor fast genau 20 Jahren eine große Erweiterungsrunde gegeben. Bei der „EU-Osterweiterung“ kamen 2004 auf einen Schlag zehn Länder (Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Tschechien, Slowenien, Ungarn, Malta und Zypern) zur Union, kaum drei Jahre später kamen auch noch Rumänien und Bulgarien dazu. Aus 15 Ländern waren plötzlich 27 geworden. Ein Gewaltakt, von dem Kritiker meinen, dass er bis heute Schwierigkeiten bereitet. Wenig überraschend gab es damals unter den bestehenden Mitgliedsländern, die durchwegs gute Wirtschaftsdaten aufwiesen, große Sorgen wegen der neuen, „armen“ Mitglieder – das sollte sich aber weitgehend als unbegründet erweisen, die Wirtschaftskraft bekam einen kräftigen Zuwachs.

Wieder zehn Länder im Wartezimmer

Nun sind es wieder zehn Länder, die in der Wartezone sind. Sie alle müssen einen langwierigen Annäherungsprozess durchlaufen, bei dem sie aber sowohl organisatorische als auch finanzielle Hilfe durch die EU bekommen; so wurde den Ländern des Westbalkan erst kürzlich eine weitere Finanzspritze in Höhe von sechs Milliarden Euro zugesagt. Vor allem geht es bei den Verhandlungen um die Anpassung der Rechtssysteme, den Kampf gegen Korruption und Bandenkriminalität und das, was man gemeinhin mit „europäischen Werten“ umschreibt. Sowohl der Westbalkan als auch Ukraine, Moldau und Georgien sind für die EU aus geopolitischen Gründen von großer Bedeutung. Sie sollen dem Einfluss Russlands, Chinas oder anderen Blöcken entzogen werden, soferne sie sich aus freien Stücken der EU zuwenden wollen.

Unruhe herrscht am Balkan, wo die Länder schon sehr lange in sehr unterschiedlichen Positionen sind, über die große Geschwindigkeit, mit der die Ukraine aufrückt. In Brüssel betont man aber, es gehe dabei auch um die starke Symbolkraft gegenüber Russland. Tatsächlich vergehen vom Beginn der Verhandlungen bis zum tatsächlichen Beitritt jedenfalls viele Jahre. Zu sehen am Beispiel Türkei, wo nach 24 Jahren keinerlei Fortschritt erkennbar ist.

Die einzelnen Länder im Überblick:

Ukraine: Mehr als 90 Prozent der Anforderungen seien erfüllt, stellte die EU-Kommission im November fest und empfahl den Beginn von Verhandlungen. Alle EU-Länder bis auf Ungarn willigten ein. Grünes Licht also für die Ukraine, aber bis zum Beitritt werden Jahre vergehen.

Türkei: Denselben Status, den die Ukraine nun erhielt, besitzt die Türkei seit 18 Jahren – ohne jede Entwicklung. Im Gegenteil: Die Beitrittsbewertung ist negativ. Wegen Wirtschaft und Migration versucht man gerade, zumindest etwas besser miteinander auszukommen.

Moldau: Das kleine Land versucht mit Erfolg, sich im Sog der Ukraine der EU zuzuwenden und bekam nun auch Verhandlungsstatus. Es wird an Reformen gearbeitet, etwa bei der Justiz und im Kampf gegen Kriminalität. Wie bei allen Anwärtern dauert es aber noch einige Zeit.

Georgien: Die Freude im Land war groß, als der EU-Gipfel das Aufrücken in den Kandidatenstatus bekannt gab. Georgien bemüht sich unter schwierigen Umständen, den Klammergriff Russlands zu lösen und nahm das Signal aus Brüssel dankbar auf.

Serbien: Serbien ist bereits im Verhandlungsstatus, seit 2014, aber zuletzt gab es eher Rückschritte. Der gute Draht zu Russland und zuletzt etwa die Attacke gegen den Kosovo lassen ständig neue Zweifel aufkommen.

Albanien: Auch mit Albanien wird seit 2014 verhandelt, die Kommission hob hervor, dass das Land in „vollem Einklang“ mit der EU-Außen- und Sicherheitspolitik agiere und lobte Reformen. Allerdings: Es gibt noch viel zu tun.

Nordmazedonien: Auf dem Weg in die EU änderte das Land wegen eines Streits mit Griechenland sogar den Namen. Auch in diesem Fall wird seit neun Jahren verhandelt – Reformen sind auf Kurs, aber Korruption und Verbrechen liegen noch im Argen.

Bosnien-Herzegowina: Auch in Österreich wird begrüßt, dass Bosnien-Herzegowina näher an den Verhandlungsstatus gerückt ist, im März wird evaluiert. Das Land mit komplexer politischer Struktur hat noch viele Baustellen offen.

Kosovo: Der Antrag zur EU-Mitgliedschaft kam erst vor einem Jahr, nächster Schritt wäre der Kandidatenstatus. Laut Kommission ist es unter anderem nötig, „mehr ernstes Engagement“ im Umgang mit Serbien zu zeigen.

Montenegro: 2012 wurden die Verhandlungen eröffnet und immer noch fehlt einiges. Vor allem die Justizreform und der Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen kommen nur schleppend voran. Außenpolitisch aber auf EU-Linie.