Ex-Außenministerin Karin Kneissl (58) ist seit ihrer Übersiedlung nach St. Petersburg häufiger Gast im russischen Staatsfernsehen und lässt keine Gelegenheit aus, Präsident Putin über den Klee zu loben. Im Interview mit dem „BBC“-Journalisten Steve Rosenberg spricht sie über ihren Umzug nach Russland und die aktuelle politische Situation. Die Ex-Politikerin lobt vor allem die „akademische Freiheit“ an der Universität St. Petersburg. Diese habe ihr bei ihren vorherigen Stationen innerhalb der Europäischen Union „gefehlt“. In ihrem unmittelbaren Umfeld habe sie bisher keinerlei Repression erlebt. „Ich bin wirklich dankbar, dass ich die Möglichkeit habe, in Russland zu arbeiten“, erklärt die ehemalige Ministerin. 

Angesprochen auf die Verurteilung einer jungen Russin zu sieben Jahren Haft, weil sie Preisschilder in einem Supermarkt durch Antikriegsparolen ersetzt hat, weicht Kneissl aus. „Was habe ich damit zu tun?“, entgegnet sie der Frage des BBC-Journalisten.  „Warum wurde Karin Kneissl die Arbeit verboten? Worin lag mein Verbrechen?“, hält die 58-Jährige dagegen. 

Über den Besuch Putins bei ihrer Hochzeit will Kneissl nicht mehr sprechen. „Das ist so langweilig“, erklärt die Ex-Politikerin. „Das Ganze geschah vor fast sechs Jahren. Damals war ich Außenministerin und habe mit Präsident Putin getanzt. Aber ich habe vorher und nachher andere Dinge in meinem Leben gemacht.“

Das „Eingeständnis vieler“, dass die Sanktionen gegen Russland „nicht funktionieren“, bewegt die gebürtige Wienerin. „Viele müssen zugeben, dass die Sanktionen gegen Russland nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht haben.“

Außerdem zeigt sich Kneissl weiterhin als Fan des russischen Präsidenten. „Er ist der intelligenteste Gentleman, mit Betonung auf Gentleman – und ich habe einige getroffen“, so die Ex-Ministerin. „Im Sinne dessen, was Jane Austen in ‚Stolz und Vorurteil‘ über den versierten Gentleman schrieb, entspricht er diesem Standard.“

Keine Rückkehr in die Heimat

Kritik am Einmarsch in der Ukraine übt Kneissl weiterhin nicht. Stattdessen versucht sie den Krieg zu relativieren. „Tony Blair, David Cameron … sie alle waren zusammen mit ihren Regierungen an Militäraktionen beteiligt“, erklärt die Ex-Außenministerin im „BBC“-Interview. 

Eine Rückkehr in ihre Heimat schließt Kneissl vorerst aus. „In Österreich gibt es mehrere Stimmen, die den Entzug meiner Staatsbürgerschaft fordern, weil ich jetzt an einer Universität in Russland arbeite“, erklärt sie. „Mir werden laut Wikipedia Korruption, Hochverrat und dreißig Jahre KGB-Dienst vorgeworfen. All diese Art von Dreck und Verleumdung zerstört ein Leben.“ Deshalb möchte sie erst zurückkehren, wenn viele rechtliche Schritte eingeleitet wurden. 

Die „Hexenjagd“ gegen ihre Person versteht die Ex-Politikerin „nicht einmal im Kleinen“. Vorwürfe des Hochverrats oder sie sei eine russische Spionin seien lediglich eine „schmutzige Fantasie“.

Entlohnung „weit über dem Marktwert“

Am Mittwoch analysierte die russische Starpolitologin Jekaterina Schulmann in einem Gespräch mit der APA die Situation in Russland. Die Russland-Aktivitäten der ehemaligen österreichischen Außenministerin sieht Schulman insbesondere im Kontext russischer Traditionen. „Da die wichtigste Perspektive zur Selbstbewertung Russlands jene des Westens bleibt, wird jeder ‚weiße Mensch‘, der die Mächtigen lobt, mit Gold bestreut“, erläuterte sie und sprach von Entlohnungen „weit über dem Marktwert“. Dies betreffe Boxer, Schauspieler oder unglückliche Expolitiker.

Verwundert zeigte sich die Russin, dass es seinerzeit möglich gewesen sei, eine „russische Agentin“ zur Ministerin zu machen. „Das ist eine Nachlässigkeit (in Österreich, Anm.), die ordentlich verwundert“, sagte sie. Aber anders als in Russland, wo das politische Personal bis ins dritte Glied durchleuchtet werde, scheine dies in Österreich nicht der Fall zu sein.