Die Gaszahlungen Österreichs an Russland seien „Blutgeld“, mit dem man Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine mitfinanziere. Mit diesem Sager sorgte Martin Selmayr, Vertreter der EU-Kommission in Österreich, im September für Aufsehen und Kritik. Der EU-Diplomat musste sich danach im Außenministerium und bei seinen Vorgesetzten in Brüssel rechtfertigen.

Er sei bei einer Diskussion der Kunstmesse Viennacontemporary nicht von einer Präsenz von Journalisten ausgegangen, erklärte Selmayr. Keine Rede ist in internen E-Mails, die die EU-Kommission der APA im Rahmen von Transparenzbestimmungen zur Verfügung stellte, von einer expliziten Entschuldigung des Diplomaten für die Wortwahl.

Selmayr berichtet über Gespräch im Außenministerium

Nachdem bekannt geworden war, dass er am Zusammenhang mit Österreichs Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen über „Blutgeld“ gesprochen hatte, war Selmayr laut den übermittelten E-Mails am späten Nachmittag des 7. September im Namen des Generalsekretärs im österreichischen Außenministerium, Nikolaus Marschik, auf eine Tasse Kaffee eingeladen worden, um über „aktuelle Themen“ zu sprechen.

Nach diesem Treffen am späten Nachmittag des 11. September berichtete der EU-Diplomat ausführlich nach Brüssel: Die österreichische Seite habe zunächst erklärt, was in den vergangenen 18 Monaten getan worden sei, um die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu reduzieren, dies könne jedoch nicht über Nacht geschehen. „Österreich habe auch immer alle EU-Sanktionen unterstützt, obwohl manchmal erst nach einigen Diskussionen, und würde es dabei stets bevorzugen, einen Überblick über ein neues Sanktionspaket zu haben, bevor es sich zu einzelnen Vorschlägen verpflichte“, referierte Selmayr seinen Gesprächspartner im Außenministerium.

„Ich sagte, dass jeder Teilnehmer der Diskussionsveranstaltung sehr überrascht darüber war, dass darüber überhaupt oder in einer derart unverhältnismäßigen Weise berichtet wurde, und ich bedauerte dies äußerst“, schrieb Selmayr. Auch habe er betont, nie gesagt zu haben, dass allein Österreich Blutgeld nach Russland schicke, sondern dass alle (in der EU, Anm.) gemeinsam dafür verantwortlich seien. Er habe auch nicht davon gewusst, dass Journalisten anwesend sein würden. „Maximal habe man mit Kunstjournalisten gerechnet“, schrieb er. Sein österreichischer Gesprächspartner habe sich für diese Erklärungen bedankt. Das in Charakter und Inhalt betont freundliche Treffen sei nach 15 Minuten beendet worden. Eine explizite Entschuldigung für die Wortwahl findet sich in den E-Mails an Vertreter der EU-Kommission nicht.

„Blutgeld“-Sager als Konter auf EU-Kritiker

Die übermittelte Kommunikation lässt zudem den zeitlichen Ablauf der „Blutgeld“-Diskussion rekonstruieren: Sieben Stunden, nachdem die APA am späten Vormittag des 7. September über Selmayrs heftige Kritik an der österreichischen Energiepolitik berichtet hatte, die FPÖ deshalb seine Abberufung gefordert und das Außenministerium ihn eingeladen hatte, hatte der EU-Diplomat in Österreich kurz vor 18 Uhr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sowie der Generaldirektion Kommunikation informiert: „Sie werden in österreichischen Berichten sehen, dass ich in einer Podiumsdiskussion die weiterhin sehr hohe Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas kritisiert habe“, mailte er.

Insbesondere erläuterte Selmayr gegenüber Brüssel den vermeintlichen Kontext seines „Blutgeld“-Sagers: Nach 80 Minuten konstruktiver Debatte habe eine Person aus dem Publikum eine lange Rede darüber gehalten, dass die EU gescheitert sei, mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin den Frieden zu fördern, und Kommissionspräsidentin von der Leyen wegen der einseitigen Unterstützung der Ukraine „Blut auf ihren Händen“ habe, da diese Positionierung das Töten in der Ukraine verlängern würde. „Er (der Fragesteller, Anm.) forderte das Publikum auf, sich ihm und anderen anzuschließen, um auf den Straßen gegen eine ,kriegstreiberische EU‘ zu protestieren“, schrieb der EU-Vertreter am 7. September der damaligen Chefin der Generaldirektion Kommunikation, Pia Ahrenkilde Hansen, die ihn für den folgenden Tag zu einem Gedankenaustausch in die EU-Zentrale einlud.

Audiomitschnitt stützen Selmayrs Aussagen nicht

In einem weiteren E-Mail an Ahrenkilde Hansen bekräftigte Selmayr am 12. September seine Darstellung. Er berichtete zudem, dass die Botschaft eines wichtigen G7-Mitgliedsstaats ihn informiert habe, die Causa selbst für ein „abgekartetes Spiel“ zu erachten. Selmayr machte gleichzeitig deutlich, dass er und auch das österreichische Außenministerium diese Interpretation nicht teilten.

Selmayrs Darstellung des Kontextes erfährt keine Deckung durch den Audiomitschnitt der Veranstaltung, der der APA vorliegt. Der Fragesteller hatte zwar konstatiert, dass die EU in der Vergangenheit Putin die kalte Schulter gezeigt habe und dies seines Erachtens teilweise in einem Zusammenhang mit der aktuellen Situation stünde. Er hatte jedoch weder von der Leyen genannt noch von „Blut auf ihren Händen“ oder einer „kriegstreiberischen EU“ gesprochen und auch nicht zu Demonstrationen gegen die EU aufgerufen.

Das österreichische Außenministerium selbst wollte auf APA-Anfrage die Blutgelddiskussion nicht mehr kommentieren. „Dazu ist bereits alles gesagt“, erklärte eine Ministeriumssprecherin, die eine ergänzende Anfrage zu Selmayrs Angaben gänzlich unbeantwortet ließ.