Sie sind seit einigen Monaten auf „Dialog-Tour“ im Land unterwegs. Wie oft bekommen Sie da zu hören, warum die Grünen weiter an der Koalition mit der ÖVP festhalten?
Die Frage wird manchmal gestellt, mich interessiert aber die Antwort mehr: weil wir in vielen Bereichen seit dreieinhalb Jahren liefern. Es gibt ein Klimaticket, Steuersenkungen für untere Einkommensschichten, wir haben die kalte Progression abgeschafft, Sozial- und Familienleistungen valorisiert

Und das rechtfertigt, dass Sie sich vorführen lassen, wenn etwa ÖVP-Pläne eines U-Ausschusses gegen die Grünen auftauchen?
Niemand lässt sich vorführen! Wenn etwas zu viel wird, gibt es Konsequenzen. Für den Kanzlerwechsel haben nicht krakeelende Zwischenrufer gesorgt, sondern wir Grünen. Es geht viel weiter, etwa in der Armutsbekämpfung für Familien mit geringem Einkommen oder Alleinerzieherinnen. Da sind in eineinhalb Jahren zum Teil mehr als 5000 Euro ausgezahlt worden – über erhöhte Familienbeihilfe und den Kindermehrbetrag.

Wie passt da der Burger-Sager von Kanzler Karl Nehammer dazu?
Was dort zum Ausdruck gebracht wurde, geht völlig an den Lebensrealitäten alleinerziehender Frauen vorbei. Der Kanzler wurde auch von den Grünen zurechtgewiesen.

Ihre Reaktion war verhalten. Warum beziehen Sie nicht klarer Stellung, wie es etwa die Wiener Abgeordnete Viktoria Spielmann, die der ÖVP „billigen, abstoßenden Populismus“ vorwirft, fordert?
Vieles, was vielleicht in dem Video insinuiert wird, passiert wegen uns Grünen nicht. Die Realität ist, dass wir für Frauen, die weniger verdienen, sehr viel machen. Der Kanzler hat angekündigt, dass die Kinderbetreuung massiv ausgebaut werden soll – das gilt es umzusetzen.

Halten Grüne und ÖVP an dieser Koalition fest, weil es hoch bezahlte Posten, üppige Parteien- und Klubförderung gibt und Sie beide dieses Geld dringend brauchen?
Ich halte das für einen völligen Schwachsinn, das habe ich noch nie gehört. Bei den Grünen gibt es nach wie vor 90 bis 95 Prozent Zustimmung zum Regieren.

Gibt es für Sie gar keine Schmerzgrenze oder roten Linien?
Es geht nicht um rote Linien, sondern um grüne Bereiche, in denen wir liefern. Aktuell mit der epochalen Grundsatzentscheidung, dass wir das Amtsgeheimnis komplett und flächendeckend bis in die kleinste Gemeinde abschaffen. Und wenn ich jetzt Zwischenrufer höre – wieso hat das denn die SPÖ in den letzten 20 Jahren nicht gemacht? So lang wird schon darüber diskutiert.

Sie feiern die Grundsatzeinigung auf das Informationsfreiheitsgesetz als „epochal“. Warum gibt es dann so viele Ausnahmen? Warum keine Anlaufstelle für Informationsfreiheitsfragen? Warum werden Gemeinden mit unter 5000 Einwohnern von der Veröffentlichungspflicht ausgenommen?
Es geht um nichts weniger als die Abschaffung des Amtsgeheimnisses und das einklagbare Grundrecht auf Information für alle – auf allen Ebenen. Sie sprechen Nuancierungen an. Auch Gemeinden unter 5000 Einwohnern können Informationen aktiv im Internet veröffentlichen. Die werden das zum Teil auch machen, bevor sie etwa 20 Einzelanfragen beantworten müssen. Jetzt die einzelnen, kleinen Kieselsteine zu zählen, während wir daneben riesige Felsbrocken bewegt haben, halte ich für unangebracht. Das Amtsgeheimnis ist fast hundert Jahre alt – wir haben dafür gesorgt, dass es jetzt endlich abgeschafft wird.

Fürchten Sie, dass die Landeshauptleute versuchen werden, das in der Praxis zu verwässern?
Das glaube ich nicht. Aber sie werden ein Auge darauf haben, wie es Gemeinden damit geht.

Sie sprechen gern über „große Würfe“ und Gesetzesbeschlüsse dieser Regierung. Vor wenigen Tagen wurden 1000 Tage ohne Klimaschutzgesetz „gefeiert“. Ist Ihnen das als Grünen-Chef nicht peinlich?
Im Klimaschutz ist in den letzten drei Jahren mehr passiert als in den 30 Jahren davor. Wir haben ein Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, das eigentlich für den Klimaschutz mehr macht als das Klimaschutzgesetz. Ähnlich das Energieeffizienzgesetz. Beim Wind und vor allem bei der Photovoltaik geht so viel weiter wie in den letzten 20 Jahren zusammen nicht. Aber richtig ist, dass noch mehr passieren muss.

Wer bremst denn beim Klimaschutzgesetz?
Wir haben da und dort noch altes Denken.

Bei der ÖVP?
Bei einzelnen Abgeordneten vielleicht. Nur die Grünen machen beim Klimaschutz Druck. Die Blauen laufen über zu den Klimawandelleugnern, die SPÖ steht auf der Bremse, wenn’s ans Umsetzen geht. Und alle drei haben die Abhängigkeit vom russischen Gas zu verantworten.

Obwohl Sie Milliarden ausschütten, hat Österreich eine der höchsten Inflationsraten Europas. Was machen Sie falsch?
Wir haben Länder mit geringerer Teuerung – dort sind aber auch die Lohnerhöhungen geringer, dort gibt’s keine Steuersenkungen, keine Anpassung der Sozialleistungen an die Inflation, keine Erhöhung der Mindestpensionen über der Inflationsrate – am Schluss ist in diesen Ländern, etwa in Spanien, die Kaufkraft gesunken. Bei uns ist es das Gegenteil. Die Menschen in Österreich können sich im Monat viel mehr leisten als in vielen europäischen Ländern mit geringerer Inflation.

Weil Sie mit der Gießkanne durchs Land gezogen sind?
Das ist ein falscher Vorhalt. Es gibt eine einzige breite Maßnahme: den aufgestockten Klimabonus im Vorjahr, wo nicht auf die Einkommenshöhe Rücksicht genommen wurde, weil es darum ging, schnell an möglichst viele auszuzahlen. Der Klimabonus als Rückverteilung des CO2-Preises ist aber so aufgesetzt, dass von oben nach unten umverteilt wird.

Aber die Strompreisbremse ist zu einer Subventionsmaschine für die heimischen Energiekonzerne geworden, die vielfach Rekordgewinne schreiben.
Nein, die Strompreisbremse erzeugt einen Korridor. Ärmere Haushalte müssen, gemessen am Einkommen, mehr für Energie ausgeben. Denen ist mehr geholfen. Deshalb haben wir stärker mit Direktzahlungen gearbeitet und etwa nicht mit einer Mehrwertsteuersenkung – das wäre eine richtige Gießkanne.

Trotzdem werfen Ihnen FPÖ und SPÖ „unterlassene Hilfeleistung“ vor. Wie sehr ärgert Sie das?
Fernab jeder Faktenlage ungetrübt ihre Parolen plärren, ist ein Privileg der Opposition. Die FPÖ ist in einem eigenen Nirwana und benimmt sich auch so. Die SPÖ hat es selbst nie geschafft, Sozial- und Familienleistungen an die Teuerung anzupassen – wir Grüne schon.


Die FPÖ liegt in allen Umfragen weit vorne. Versteht sie die Sorgen der Bevölkerung einfach besser, als die Bundesregierung es tut?
Die FPÖ nützt schamlos und ungeniert die Sorgen und Ängste in Krisenzeiten aus. Rechtspopulisten wollen keine Lösungen, die bewirtschaften Probleme. Statt brauchbaren Antworten kommt immer das Gegenteil von konstruktiven Lösungen.

Wie sehr bereitet Ihnen Sorgen, dass die Grünen in Umfragen nur bei knapp zehn Prozent liegen?
Umfragen interessieren mich wenig. Einige Monate vor der Nationalratswahl 2019 lagen wir bei vier, fünf Prozent – dann sind wir mit 13,9 Prozent in den Nationalrat zurückgekehrt.

Bundeswettbewerbsbehörde, Bundesverwaltungsgericht, Alterssicherungskommission etc. Etliche wichtige Positionen in dieser Republik sind unbesetzt. Ist das nicht völlig unprofessionell?
Das ist ein Zustand, der nicht haltbar ist. Es wird aber in nächster Zeit Lösungen geben. Dass man weiter nach bestimmten Parteifarben vorgeht, das gibt’s mit uns halt nicht.

Im türkis-grünen Sideletter liest sich das aber anders.
Da sind wir selber als Grüne in Form und Inhalt hinter unseren Ansprüchen geblieben. Dafür habe ich mich schon entschuldigt. Aber diese alte Kiste spielt keine Rolle mehr.