Gut 50 Kilometer von Vilnius entfernt, eingerahmt von eingeschneiten Feldern und vereinzelten Hütten, endet die Europäische Union. Die Grenze, die vor einem Jahr noch unsichtbar durch die Wiesen zwischen Litauen und Weißrussland verlief, wird heute von einem meterhohen, dunkelgrünen Zaun abgesteckt. „Wollen wir Millionen Euro in diesen Zaun investieren?“, fragt die knöcheltief im Schnee stehende litauische Innenministerin Agne Bilotaite in die vor ihr aufgebauten Kameras. „Nein. Haben wir eine andere Wahl, um uns zu schützen? Ich denke nicht.“

Acht Monate ist es her, dass die Grenze des Landes und damit die Außengrenze der EU erstmals von Migrantinnen und Migranten aus dem Nachbarland überrannt wurde. Quasi über Nacht vervielfachten sich die Aufgriffe, allein im Mai waren es 4100. Schnell war für die EU klar, dass der weißrussische Machthaber Alexander Lukaschenko Menschen aus dem Irak und Afghanistan gezielt an die Grenze bringen lässt, um so Druck auf die Union auszuüben, die gegen ihn verhängten Sanktionen zurückzunehmen. Polen und Lettland ergeht es ähnlich, auch hier kommt es seit Monaten vermehrt zu Aufgriffen. Für die Betroffenen endet die versprochene Reise in die Staatengemeinschaft oft im Niemandsland – in den Wäldern zwischen den Ländern, wo sie auf sich allein gestellt sind.

Keine EU-Gelder für den Zaunbau

170 Kilometer Zaun stehen in Litauen schon, mehr als doppelt so viel soll noch gebaut werden. Die Lage habe sich derzeit zwar wieder entspannt, „wir müssen aber jederzeit damit rechnen, dass die Menschen wieder kommen“, sagt Bilotaite. Das Geld dafür kommt aus dem Budget des baltischen Staates, EU-Gelder dürfen explizit nicht in den Bau von Zäunen fließen. So hat es die Kommission entschieden, so wollen das einige Staaten aber nicht mehr hinnehmen. Einer von ihnen ist Österreich.

Es brauche Zäune, „um irreguläre Migration zu verhindern“, beteuert Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und blickt durch den dichten Schneefall auf die Absperrung. Es brauche nun eine „Allianz der Vernünftigen“, um die Außengrenze der EU zu schützen. Auch deshalb sitzt Österreich eine Stunde später im Zentrum von Vilnius als Mitorganisator bei einer zum Thema einberufenen Konferenz der Mitgliedsstaaten. Am Ende dieser steht eine Erklärung, die 16 Staaten unterzeichnet haben und die die EU unter anderem auffordert, auch den Bau von „physischen Barrieren“ finanziell zu unterstützen.

Die Reaktion von EU-Innenkommissarin Ylva Johansson, die überraschend zur Konferenz gekommen war, fällt deutlich aus. „Ich habe den Eindruck, dass Sie glauben, dass die finanziellen Mittel der EU unbegrenzt sind – das sind sie nicht.“ Es seien die Mitgliedsstaaten gewesen, die das Budget kürzten und jetzt mehr Geld für den Bau von Zäunen fordern. Dieses würde dann an anderer Stelle fehlen, unter anderem im Kampf gegen Schlepper. „Seien Sie vorsichtig, was Sie sich wünschen. Geld kann man nur ein Mal verwenden.“

Als Abschmettern des zentralen Konferenz-Anliegens will Innenminister Karner das aber nicht verstanden wissen. Er gibt sich überzeugt, dass man auf einem richtigen Weg sei. Zentrale Punkte wie „robuster Außengrenzschutz“, strategische Kooperation mit Drittstaaten und konsequente Rückführungen finden sich in der Erklärung. Zum letzten Punkt werde es schon Ende Februar eine Folgekonferenz der EU-Mitgliedsstaaten geben. Austragungsort wird Wien sein.

Weitere Baustellen

In Vilnius kämpft man indes neben der Migration mit zwei weiteren Baustellen. Neben handelspolitischen Streitigkeiten, die sich das 2,8-Millionen-Einwohner-Land mit dem Giganten China liefert, wird mit Beunruhigung das Vorrücken von Wladimir Putin in der Ukraine verfolgt. Für Litauen ist die Bedrohung durch Russland nicht abstrakt, sondern greifbar. Auf dem Nachrichtendienst Twitter gibt es hier aktuell kein größeres Thema. Bei der Konferenz war Putin kein Thema. „Ein Problem nach dem anderen“, raunt eine Sitzungsteilnehmerin.

Die Reise fand auf Teileinladung des Innenministeriums statt.