Das britische Oberhaus hat im Streit um den Brexit dem sogenannten Binnenmarktgesetz mit großer Mehrheit eine Abfuhr erteilt. Das House of Lords stimmte mit 395 zu 169 Stimmen gegen den Gesetzesentwurf. Mit dem Gesetz könnte die Regierung von Premierminister Boris Johnson Teile des bereits gültigen Austrittsabkommens zwischen London und der EU wieder aushebeln. Dies war auf starken Protest der Opposition und der Europäischen Union gestoßen. Sie warfen Johnson Rechtsbruch vor.

Der Gesetzesentwurf schade dem Ansehen des Vereinigten Königreichs, sagte einer der Lords. Im Oberhaus sitzen viele Kritiker Johnsons. Die Abgeordneten im Unterhaus hatten hingegen vor mehr als einem Monat mit deutlicher Mehrheit für das Gesetz gestimmt. Nun könnte es zu einer Art politischem Ping-Pong-Spiel zwischen dem Unter- und dem Oberhaus kommen.

Das Gesetz könnte Sonderregeln für Nordirland im Brexit-Abkommen zunichtemachen, die eine harte Grenze zum EU-Staat Irland und neue Feindseligkeiten dort verhindern sollen. Großbritannien spricht von einem "Sicherheitsnetz", die EU hingegen von einem Vertragsbruch.

In zehn Wochen endet die Brexit-Übergangsphase, in der weitgehend noch alles beim Alten geblieben ist. London und Brüssel ringen derzeit um einen Handelspakt ab 2021. Ohne Vertrag drohen Zölle und andere Handelshürden. Dies könnte die Wirtschaft stark belasten.

Johnsons "Theaterdonner"

Großbritannien zeigt sich im Brexit-Streit mit der EU weiter unnachgiebig, während Brüssel zur Eile mahnt. Nach einem Telefonat mit dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis ließ der britische Premierminister Boris Johnson am Dienstag die Europäische Union erneut wissen, dass die Gespräche de facto zu Ende seien, wenn sich deren Verhandlungsposition nicht ändere.

EU-Unterhändler Michel Barnier nahm unterdessen den Gesprächsfaden mit seinem britischen Pendant David Frost wieder auf - wenn auch nur per Telefon. "Meine Nachricht ist: Da nur wenig Zeit bleibt, sollten wir das meiste herausholen. Unsere Tür bleibt offen", twitterte der Franzose nach der Unterredung.

Bereits vorige Woche hatte Johnson gedroht, sollte die EU ihren Ansatz in den Gesprächen nicht noch grundlegend ändern, werde es den sogenannten No-Deal-Brexit geben. Dabei drängt die Zeit. Denn zum Jahresende läuft die Übergangsphase aus, in der Großbritannien noch freien Zugang zum EU-Binnenmarkt hat und Exporte aus der EU ins Vereinigte Königreich keinen Beschränkungen unterliegen. Falls kein Handelsvertrag zustande kommt, würden Zölle und Gebühren den Handel schwer belasten.

Johnson hatte der EU vorgeworfen, kein Handelsabkommen mit Großbritannien zu wollen. Deshalb stelle sich sein Land auf einen Austritt aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion ohne Vertrag zum Jahreswechsel ein. Ein britischer Regierungssprecher hatte die Handelsgespräche für beendet erklärt. Es ist unklar, ob dennoch weiter verhandelt werden könnte.

EU soll sich nicht auf britisches Niveau begeben

Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber bezeichnete die britische Drohung mit dem Abbruch der Verhandlungen als "politisches Theater". Die EU dürfe sich nicht auf dieses Niveau begeben, sagte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP). Brüssel sei weiter offen für Verhandlungen und prüfe, was noch möglich sei.

EU-Diplomaten wiesen hinter vorgehaltener Hand darauf hin, dass Johnson womöglich vor dem letzten Akt der Verhandlungen nur für Theaterdonner sorgen wolle. "Dieses ganze Getue dient nur dazu, die Position Johnsons zu stärken." Womöglich spekuliere der Premier allerdings mit Blick auf die Innenpolitik darauf, dass ein "No-Deal-Brexit mit Getöse" zu Hause besser ankomme als ein "schwaches Handelsabkommen".