Die Schreckensnachricht kam nicht unerwartet, und doch erschüttert sie die Alpen- und Operettenrepublik in ihren Grundfesten: Der Opernball 2021 ist abgesagt.

Gut, dass Lotte Tobisch das nicht mehr erleben muss. Die Grande Dame und langjährige Ballmutter der Nation hat zwar zuletzt stets betont, dass es Wichtigeres gebe als diese endemische Versammlung von Pinguinen, hochpreisigen Abendkleidern und aufgepudelten Blumengesteckfrisuren, aber die Absage des wichtigsten Events Österreichs hätte wohl auch ihre großen Brillen beschlagen lassen wie einen Badezimmerspiegel. Nun wird die Nation um die wirklich wichtigen Fragen gebracht: Welche Mogelpackung Botox verkauft uns der Baumeister dieses Mal als internationalen Star, welche Tanzschule darf sich um die Voltigierübungen des Jungherren- und Damenkomitees kümmern, welche Farbepidemie grassiert unter den Ballkleidern und vor allem, es wird stets wie ein Staatsgeheimnis gehütet, für welche Kreation hat sich die Ballmutter entschieden.

Wobei die bedeutendste gesellschaftliche Position, die eine Frau in Österreich erreichen kann, momentan vakant ist. Maria Großbauer, 2017 installiert, um Dominique Meyer das Gesäß zu retten, wurde in den hinterbänklerischsten Nationalrat abgezogen, und Bogdan Roščić, der neue Opernhauszampano, hat, fahrlässig genug, noch keine Nachfolgerin bestimmt. Eigentlich kommt nur seine Schwester Dodo infrage, aber will man sich dem Nepotismus-Vorwurf auszusetzen? Ohne Corona hätte der Neo-Operndirektor die Ballmutter möglicherweise bereits durch ein Komitee ersetzt. Ein Komitee? Beschärpte Herren und lavendelumwölkte Damen? Böse Zungen behaupten ja, Bogdan Roščić sei der Gavrilo Princip heimischen Musiklebens, hat er doch die einmalige Chance, nach der Devastierung des Austropops auch die Oper nachhaltig zu beschädigen – und dazu den Opernball. Aber das ist unfair, Sarajevo-Attentäter Gavrilo Princip hatte hehre Ideale … Nein, im Ernst, Roščić macht seine Sache exzellent und wird mit seinen Innovationen zwar manchem Klassikfan das Schmalz aus den Ohren ziehen, aber keinen Weltkrieg auslösen.

Welch schwere Zeiten trotzdem. Eine Horrormeldung jagt die nächste. Den Dancing Stars fehlt das Saalpublikum, Oktoberfeste werden abgesagt, Brauereien schöpfen wenig Hopfen, Klopapier und Germ, so ein Topfen, werden knapp, der Silvesterlauf von Peuerbach findet nicht statt, alle Bälle sind gecancelt und dann auch noch der Opernball. Zum Glück lassen sich Christoph Wagner-Trenkwitz und Karl Hohenlohe den Spaß nicht verderben und haben großmaschig angekündigt, sich am 11. Februar dennoch in die Frack-Panier zu schweißen und Homeoffice zu treiben. Ob auch Barbara Rett, Mirjam Weichselbraun, Alfons Haider und die anderen Sumpfspritzen heimischer Gesellschaftsreportage stumpf herumspitzen, und dem bei Billigsekt sitzenden Fernsehpublikum einen wohligen Schauder über den Steiß jagen? Sie könnten ja Kleiderständer befragen? Der Informationsgehalt wäre … Nein, das Dschungelcamp der Österreicher wurde abgesagt. Und Richard Lugner? Noch ist nicht aller Mörtel Abend. Es heißt, er lässt verzweifelt nach einem Impfstoff forschen, um den Ball zu retten. Gegenüber Medien gab sich das alte Society-Flagg- und Schlachtschiff aber leck: „Wer weiß, ob ich 2022 noch lebe?“ Nun, das weiß naturgemäß niemand, und auch, ob überhaupt jemals wieder ein Opernball im Holozän erscheint.

Diese Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen, hat die Regierung nach der Ballabsage verlautbart, was nachvollziehbar ist, finden doch neuerdings alle Abstimmungen mit Ampeln statt, wo von Pistaziengrün bis Ochsenblutrot alles zur Auswahl steht. Kein Honiglecken für Farbenblinde. Aber hat man Alternativen gesucht? Eine Ball-Verlegung nach Ischgl wäre auf der Hand gelegen, in die man nicht mehr niesen darf. Oder eine Wahrung des Sicherheitsabstandes auf der Tanzfläche mit Einkaufswägen. Dann hätte der Staatsball allerdings gleich in einer Supermarkthalle über die Palette gehen können, das sind eh die größten Kriegs-, äh Pandemiegewinner. Und ein Engagement von Helga Rabl-Stadler? Die Festspielchefin hat eindrücklich bewiesen, dass sich das Virus nicht nur vor Chuck Norris fürchtet.

Der Opernball, meinte Bruno Kreisky einmal, sei die Rache der Geschichte an den Revolutionären. Selbstverständlich wäre dieses Gehopse, Geschubse und Gemopse viruspolitisch diesen Winter völlig untragbar. Spaßbremse Corona hat den Fasching auf das ganze Jahr ausgedehnt – Maskenpflicht. Sogar der Ball der Feuerwehr Fladnitz wurde abgesagt, der Karneval von Rio sowieso.

Wie lange das noch lustig ist? Längst stellt sich die Frage, ob die Krankheit all die Maßnahmen rechtfertig, mit denen die Nationalstaaten wieder einen auf Igel machen? Man schlägt sich Reisewarnungen um die Ohren. Bald werden Städte und Dörfer nachziehen, bis irgendwann jeder Reisewarnungen gegenüber seinen Mitbewohnern ausspricht. Wäre es nicht klüger, sichere Inseln für die Risikogruppen zu bilden, als ganze Länder zuzusperren? Oder sind wir doch nicht solche Rindviecher, dass wir irgendwann eine Herdenimmunität haben?

Der Opernball war die Rache an den Revolutionären. Aber an wem soll Corona die Rache sein? An Opernballbesuchern? Richard Lugner? Oder hat die Welt dieses Virus erschaffen, um die das Klima zerstörende Spezies Mensch einzubremsen? Der evolutionstechnisch erfolgreiche homo sapiens benützt ja seinen Hauptprozessor vor allem dazu, um die Meere mit Plastikpartikeln, die Luft mit CO2 und die Erde mit Pestiziden zu vergiften. Vielleicht hat die gute alte Pacha Mama einfach die Nase gestrichen voll und diesen kleinen Virus-Samurai losgeschickt, um bei uns Rotzlöffeln aufzuräumen?

Aktuell sehen wir zu, wie zwei Verzweifelte aufeinander zurasen – Wirtschaft und Gesundheitswesen. Mal schauen, wer die Nerven zuerst wegschmeißt. Noch geht es schrittweise zurück in den Lockdown, noch verspricht man uns Weihnachtsmärkte und offene Skipisten. Aber wie soll das funktionieren? Bald werden Theater, Schulen, Gaststätten und Flughäfen wieder schließen, wird es März sein im Dezember.

Das Sicherheitsgefühl durch MNS-Masken ist trügerisch, das Virus erkennt uns trotzdem. Können Sie sich noch an den autofreien Tag in den Siebzigern erinnern? Demnächst werden uns Aufkleber an der Stirn picken, die anzeigen, an welchen Tagen wir hinausdürfen und an welchen nicht. Das worst case Wurst-Käse-Szenario wird sich nicht verhindern lassen. Unsere nächsten Reisen gehen allenfalls nach Terrassistan, Dahamas und Haustralien.

Italien hat den Notstand bis Jahresende verlängert, Israel ist wieder im Lockdown, Tschechien wohl auch bald. Der Fleckerlteppich Risikogebieten wird sich so nicht bändigen lassen. Nur ein gemeinsames globales Vorgehen wird der Pandemie Herr und das Wirtschaftsfiasko verhindern. Schutz der Risikogruppen, Abstand halten, Schnelltests. Nur so kann es eines Tages wieder Bälle geben, vielleicht sogar einen Opernball. Und dann werden wir alle Lugners Stargast zujubeln und denken, gut, wir haben schon Schlimmeres erlebt. Im Fasching werden welche als Babyelefant, Hamster oder Klopapiermumie gehen, und nicht wenige werden darüber lachen. Bis dahin ist Leider-Abgesagt das neue Angesagt.

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