Sie war angetreten, die am Boden liegende SPD in Deutschland wieder aufzurichten. Doch nach nur 13 Monaten im Amt gibt Andrea Nahles auf. Die erste Frau an der Spitze der Sozialdemokraten kündigte am Sonntag an, als Partei- und Fraktionsvorsitzende zurückzutreten. Der "notwendige Rückhalt" sei nicht mehr da, schrieb sie an die SPD-Mitglieder.

Nach dem Absturz der SPD bei der Europawahl und dem Ende der SPD-Vorherrschaft in Bremen vor einer Woche hatte sich Nahles noch kämpferisch gezeigt. Nur einen Tag danach kündigte sie Neuwahlen zum Fraktionsvorsitz an. "Wenn ich herausgefordert werde, gehe ich mit offenem Visier vor", sagte sie im ZDF. Bei der Wahl "sollen diejenigen sich hinstellen und sagen: Ich kandidiere." Damit wolle sie "Klarheit schaffen".

Doch diese Klarheit bekam sie nach eigener Darstellung nun schon früher: "Die Diskussion in der Fraktion und die vielen Rückmeldungen aus der Partei haben mir gezeigt, dass der zur Ausübung meiner Ämter notwendige Rückhalt nicht mehr da ist."

Sie war logische Wahl für den Neuanfang

Dabei sollte mit ihr doch alles besser werden für die SPD. Als Nahles im April 2018 auf einem Parteitag in Wiesbaden zur SPD-Chefin gewählt wurde, hatte die Partei sich nach langen und harten Debatten erneut zu einem Bündnis mit der Union durchgerungen. Die Bundestagswahl ein halbes Jahr zuvor hatte mit dem bis dato schlechtesten Nachkriegsergebnis der SPD geendet. Postengerangel nach der Entscheidung für die erneute "GroKo" trübte die Stimmung weiter.

In dieser Lage erschien Nahles die logische Wahl für einen Neuanfang: Eine damals 47 Jahre alte Frau, eine Kämpfernatur, zugleich ein SPD-Gewächs mit vielen Kontakten und Erfahrung beim Organisieren von Mehrheiten.

Geschickte Fädenzieherin

Ihre Karriere hatte die Literaturwissenschaftlerin aus der Eifel bei den Jusos begonnen, deren Vorsitzende sie von 1995 bis 1999 war. Schnell erwarb sie sich den Ruf einer geschickten Fädenzieherin: Sie war 1995 maßgeblich beteiligt am Sturz des damaligen SPD-Vorsitzenden Rudolf Scharping. 1998 zog Nahles erstmals in den Deutschen Bundestag ein.

2005 die nächste gewagte Aktion: Als SPD-Chef Franz Müntefering seinen Vertrauten Kajo Wasserhövel als Generalsekretär installieren wollte, ging Nahles als Gegenkandidatin in eine Kampfabstimmung und setzte sich im Parteivorstand durch. Müntefering zog sich daraufhin vom Vorsitz zurück. Nahles trat den Posten dann aber doch nicht an. Erst nach der SPD-Wahlniederlage von 2009 wurde sie Generalsekretärin - an der Seite des neuen Parteichefs Sigmar Gabriel.

Historisch schlechtestes Ergebnis

In der 2013 gebildeten Großen Koalition war Nahles Arbeitsministerin, in ihre Amtszeit fiel etwa die Einführung des Mindestlohns. Nach der enttäuschenden Bundestagswahl 2017 verließ sie das Ministerium und wurde Fraktionsvorsitzende.

Als Partei- und Fraktionschefin versuchte Nahles seither unermüdlich, die SPD wieder auf die Beine zu bringen. Mit einer Distanzierung vom Hartz-IV-System und einer großen Sozialstaats-Offensive bemühte sich die Parteispitze um eine Schärfung des Profils, im Dauerstreit um die geplante Grundpension blieb sie hart.

Doch die SPD profitierte davon nicht, im Gegenteil: Mit nicht einmal mehr 16 Prozent rutschte die SPD bei der Europawahl Ende Mai auf ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl ab und lag damit sogar hinter den Grünen.

Nun müssen andere versuchen, die SPD wieder aufzurichten. In ihrem Schreiben an die "lieben Genossinnen und Genossen" appellierte Nahles: "Ich hoffe sehr, dass es Euch gelingt, Vertrauen und gegenseitigen Respekt wieder zu stärken und so Personen zu finden, die ihr aus ganzer Kraft unterstützen könnt".

Die SPD-Vorsitzenden seit 1946

Der Posten des deutschen SPD-Vorsitzenden war in der jüngeren Vergangenheit oft ein Schleudersitz - viele Politiker hielten sich nur kurz auf dem Posten. Große Ausnahme der vergangenen Jahre war Sigmar Gabriel, der siebeneinhalb Jahre an der Spitze der Partei stand. Seit 1946 hatte die SPD insgesamt 18 Vorsitzende, darunter drei kommissarische Parteichefs:

© APA