Nach dem massiven Felssturz in der Silvrettagruppe in Tirol sieht der Gletscherforscher Kay Helfricht durchaus Siedlungsgebiete durch ähnliche Vorfälle bedroht. Felsstürze könnten gespeichertes bzw. aufgestautes Wasser freisetzen, das als Mure abgehen könnte. Dadurch seien dann auch Siedlungen potenziell bedroht, auch wenn die Felsstürze an sich in großen Höhen stattfinden, sagte der Forscher der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Innsbruck.

Felsstürze wie jener am Fluchthorn hingen laut Helfricht mit dem Gletscherschwund zusammen. In der Silvrettagruppe sei ein hangseitiger Schwund von Eis in den vergangenen zehn bis 20 Jahren gut dokumentiert. Der Schwund der Gletscher sei dabei nur der sichtbare Teil, auch gehe es um schwindende Eisreste unter Schutt und Permafrost in den Bergen. Das Eis übe einen stabilisierenden Druck auf den Felsen aus, erklärte Helfricht. Geht es zurück, verliert das Gestein an Stabilität und es drohen Felsstürze.

Wassermassen können in Siedlungen donnern

Die Silvretta sei dabei für solche Vorfälle besonders gefährdet, da das Gestein "recht zerklüftet" sei. Schwachstellen würden Felsstürze begünstigen. Der Abbau von Permafrost sei dabei nur Auslöser, entscheidend sei auch das Zusammenspiel mit solchen Störungen im Felsen. Wenn Gestein dann herabstürze, könne Wasser aufgestaut werden. Versagt der natürliche Damm, drohen die Wassermassen, potenziell auch bis zu Siedlungen zu donnern. Das Gleiche gelte, wenn Felsstürze auf unter Felswänden oder Schuttflächen gespeichertes Wasser bzw. Gletscherseen treffen, so der Gebirgsforscher.

Dass Menschen von ähnlichen Ereignissen bedroht sein könnten, zeige sich auch mit Blick auf Katastrophen wie dem Gletscherunglück auf dem Marmolata-Massiv in den Dolomiten, auch wenn der Vorgang nicht direkt mit dem Felssturz am Fluchthorn vergleichbar sei. Zwischen den norditalienischen Regionen Trentino und Venetien waren durch einen Gletscherbruch im Juli 2022 elf Menschen ums Leben gekommen, acht wurden schwer verletzt.

Kann nicht verhindert werden

Direkt verhindern könne man solche Ereignisse nicht, wichtig sei die Beobachtung und das Achten auf Anzeichen. Vorboten können etwa kleinere Felsstürze sein. Je mehr Menschen im Gebirge unterwegs seien, desto mehr würden solche Vorboten auffallen, hoffte Helfricht. Auch die Satellitenfernerkundung würde Hinweise liefern.

In der Silvrettagruppe im Gemeindegebiet von Galtür (Bezirk Landeck) war es am Sonntag zu einem massiven Felssturz gekommen. Im Bereich der Nordwestflanke des südlichen Fluchthorns donnerten mehr als 100.000 Kubikmeter Material über das breite Wasser in Richtung Jamtalhütte. Laut Landesgeologie dürften die Ursachen im aufgehenden Permafrost liegen, weitere Felsabbrüche in dem hochalpinen Bereich können zudem nicht ausgeschlossen werden. Es wurde niemand verletzt.